Laute

Für uns liegt der Laut außerhalb unseres Bewußtseins, ist kein unmittelbares Erleben; für das Bewußtsein der Angeloi ist der Laut aber unmittelbares Erleben. Der Angelos erlebt in der Kraft des Lautes etwas ganz Besonderes (siehe: Lautverschiebung). [1] Der obere Teil des menschlichen Rumpfes will fortwährend Kopf werden, er kann es nur nicht. Der andere Kopf hindert ihn daran. Daher bringt er nur fortwährend ein Abbild des Kopfes hervor, man möchte sagen, etwas, was ausmacht den Beginn der Kopfbildung. Können wir nicht deutlich erkennen, wie im oberen Teil der Brustbildung der Ansatz gemacht wird zur Kopfbildung? Ja, da ist der Kehlkopf da, der ja aus der naiven Sprache heraus sogar Kehlkopf genannt wird. Der Kehlkopf des Menschen ist ganz und gar ein verkümmertes Haupt des Menschen, ein Kopf, der nicht ganz Kopf werden kann und daher seine Kopfesnatur auslebt in der menschlichen Sprache. Die menschliche Sprache ist der fortwährend vom Kehlkopf in der Luft unternommene Versuch Kopf zu werden. Wenn der Kehlkopf versucht, der oberste Teil des Kopfes zu werden, da kommen zum Vorschein diejenigen Laute, welche deutlich zeigen, daß sie am stärksten von der menschlichen Natur zurückgehalten werden. Wenn der menschliche Kehlkopf versucht Nase zu werden, da kann er nicht Nase werden, weil ihn die wirklich vorhandene Nase daran verhindert. Aber er bringt hervor in der Luft den Versuch, Nase zu werden, in den Nasenlauten. Die vorhandene Nase staut also die Luftnase, die da entstehen will, in den Nasenlauten. Es ist außerordentlich bedeutungsvoll, wie der Mensch, indem er spricht, fortwährend in der Luft den Versuch macht, Stücke von einem Kopf hervorzubringen, und wie sich wiederum diese Stücke von dem Kopf in welligen Bewegungen fortsetzen, die sich dann stauen an dem leiblich ausgebildeten Kopf. Da haben Sie dasjenige, was die menschliche Sprache ist. [2] Das, was wir in der Seele haben, sind nämlich die Laute als solche, und das hängt sehr stark ab von der Art und Weise, wie unsere Seele beschaffen ist. [3] Wenn der Ton erfaßt wird von der Imagination, sich in sie hineinergießt, um sie als eine Hülle auszufüllen, dann wird der Laut daraus, der wirkliche Laut. [4]

Mitlaute (Konsonanten) werden immer auf Nachahmung äußerer Dinge zurückgeführt werden können, Selbstlaute (Vokale) dagegen auf die ganz elementaren Äußerungen der menschlichen Gefühlsnuancen den Dingen gegenüber. Daher können Sie die Sprache geradezu auffassen als ein Begegnen von Antipathie und Sympathie. Die Sympathien liegen immer in den Selbstlauten, die Antipathie immer in den Mitlauten, in den Konsonanten. [5] Was da gefühlt wird (bei Vokalen) ist ja reiner innerer Seelenvorgang. Diesem seelischen Vorgang, der eigentlich durchaus auf dem Auswirken einer Sympathie beruht, kann die Antipathie von außen begegnen. Das geschieht durch die Konsonanten, durch die Mitlaute. Wenn wir einen Konsonanten mit einem Vokal zusammenfügen, dann fügen wir immer Sympathie und Antipathie ineinander, und unsere Zunge, unsere Lippen und unser Gaumen sind eigentlich dazu da, um sich als Antipathieorgane geltend zu machen, um die Dinge abzuhalten. Würden wir bloß in Vokalen sprechen, so würden wir nur hingebungsvoll sein an die Dinge. Wir würden eigentlich mit den Dingen zusammenfließen, würden sehr unegoistisch sein. [6]

Zuerst ist der Mensch ein Wesen, das mehr in der Außenwelt lebt, er wird nach und nach erst ein innerliches Wesen; er lebt zunächst in der Außenwelt. Er lebt mit den Dingen besonders in jenen Zeiten, wo noch das ursprüngliche, primitive Hellsehen vorhanden ist. In den Zeiten dieses ganz ursprünglichen, primitiven Hellsehens, da denkt der Mensch nicht viel an sich; er hat auch nicht eine bestimmte Anschauung von sich, sondern er weiß, daß es allerlei Gespenster, allerlei Elementargeister gibt, die er in dem wahrnimmt, was wir jetzt äußerlich Dinge nennen; aber er sieht auch in sich selbst noch ein Elementarwesen. Du, sagt er sich, bist durch Vater und Mutter in die Welt hereingezogen. Er objektiviert sich noch selber. Daher werden wir finden, daß der sprachbildende Genius auf ersten sprachbildenden Stufen zunächst hauptsächlich konsonantisch wirkt, und die primitiven Sprachen werden hauptsächlich konsonantische Sprachen sein, weil dem primitiven Menschen die Innerlichkeit noch fehlt. Primitive Völker, die also stehengeblieben sind auf diesen ursprünglichen Stufen, die haben daher reichlich konsonantische Bildung in ihrer Sprache, konsonantische Laute, die sehr deutlich das Element der Nachahmung äußerer Tatbestände zeigen. Eine zweite Stufe wird dann gesehen werden müssen in den vokalischen Bildungen. Aber diejenige Innerlichkeit, die in diesen vokalischen Bildungen uns entgegentritt, die ist eben ein Durchgangsmoment, und wenn dann wiederum in bezug auf den sprachlichen Genius Alterserscheinungen eintreten, dann hört die vokalisierende Kraft wiederum auf, und die Kraft, konsonantisch zu bilden, tritt ein. Es geht also eigentlich der Gang, den der Mensch bei der Sprachentwickelung nimmt, von außen nach innen und wiederum von innen nach außen. [7]

Im Konsonanten haben wir etwas, worin wir uns anpassen an die Formen, an die Gestaltungen der Außenwelt. In den Vokalen geben wir unser eigenes Inneres. Es wird einmal eine von Geisteswissenschaft durchdrungene interessante Wissenschaft geben, die konstatieren wird, daß in Sprachen, in denen die Konsonanten vorwiegen, viel weniger die Menschen moralisch angeklagt werden können, weil sie viel weniger verantwortlich sind für ihre Taten als in solchen Sprachen, wo die Vokale überwiegen. Denn die Vokale sind der Nachklang an unser Zusammenleben mit den geistigen Hierarchien. Das bringen wir mit, das tragen wir hier auf die Erde herein. Und es bleibt in uns. Es ist unsere eigene Offenbarung. In den Konsonanten passen wir uns an die äußere Welt an. Die ist irdisch, die Konsonantenwelt. Und würden wir uns eine Sprache denken können, die nur Konsonanten hat, so würde diese Sprache eine solche sein, von der etwa ein Eingeweihter sagen würde: Sie ist für das Irdische; willst du das Himmlische haben, dann mußt du die Vokale dazunehmen. Aber da gib acht, denn da wirst du dem Göttlichen gegenüber verantwortlich, das darfst du nicht so profan behandeln wie die Konsonanten. Das haben ja die alten Hebräer getan die Konsonanten bloß geschrieben (erst später haben sie die Vokale angedeutet durch Punktation). Kurz in unserer Sprache klingt zusammen das Himmlische und das Irdische. [8]

Zitate:

[1]  GA 162, Seite 120   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[2]  GA 293, Seite 197   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[3]  GA 306, Seite 86   (Ausgabe 1956, 214 Seiten)
[4]  GA 127, Seite 215   (Ausgabe 1975, 256 Seiten)
[5]  GA 294, Seite 28   (Ausgabe 1966, 202 Seiten)
[6]  GA 294, Seite 27f   (Ausgabe 1966, 202 Seiten)
[7]  GA 299, Seite 72f   (Ausgabe 1981, 90 Seiten)
[8]  GA 218, Seite 316   (Ausgabe 1976, 336 Seiten)

Quellen:

GA 127:  Die Mission der neuen Geistesoffenbarung. Das Christus-Ereignis als Mittelpunktsgeschehen der Erdenevolution (1911)
GA 162:  Kunst- und Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1915)
GA 218:  Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus (1922)
GA 293:  Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (1919)
GA 294:  Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches (1919)
GA 299:  Geisteswissenschaftliche Sprachbetrachtungen. Eine Anregung für Erzieher (1920)
GA 306:  Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis. Die Erziehung des Kindes und jüngeren Menschen (1923)