Kristalle

Wenn ein Prozeß im Weltenall fortgeschritten ist bis zur Form, die noch ganz im Geistig-Seelischen ist, die noch keine Raumesform ist, wenn der Prozeß (der Schöpfung) fortgeschritten ist bis zu dieser übersinnlichen Form, dann ist der nächste Schritt nur noch möglich dadurch, daß die Form als solche zerbricht. Und das ist nämlich das, was sich dem okkulten Anblick darbietet: wenn gewisse Formen, die unter dem Einfluß der Geister der Form geschaffen sind, sich bis zu einem gewissen Zustand entwickelt haben, dann zerbrechen die Formen. Und wenn Sie nun ins Auge fassen zerbrochene Formen, etwas, was also dadurch entsteht, daß Formen, die noch übersinnlich sind, zerbrechen, dann haben Sie den Übergang von dem Übersinnlichen in das Sinnliche des Raumes. Und das, was zerbrochene Form ist, das ist Materie. Materie ist ein Trümmerhaufen des Geistes, ist also in Wirklichkeit Geist, aber zerbrochener Geist. Wenn Sie jetzt weiter nachdenken, so werden Sie sich sagen: Ja, aber es treten uns doch räumliche Formen entgegen wie die schönen Kristallformen. – Denken Sie sich zunächst einmal, damit Sie eine gewisse Vorstellung (zur Verdeutlichung) haben, einen herabfallenden Wasserstrahl. Nehmen Sie aber an, er wäre unsichtbar. Dadurch, daß dieser Wasserstrahl auffällt (auf einem Widerlager), wird er in Tropfen zerbersten. Nun nehmen Sie an, der Wasserstrahl, der herunterfällt wäre unsichtbar, aber das, was zerborsten ist, würde sichtbar. Dann hätten sie hier einen zertrümmerten Wasserstrahl, hätten ein Bild der Materie. Aber jetzt müssen Sie sich wegdenken die Widerlage, sie müssen sich vorstellen: ohne daß eine solche Widerlage da ist, ist die Materie, indem sie sich geistig zur Form gliedert, übersinnlich ist die Materie in Bewegung, denn die Bewegung geht der Form voraus. Es gibt nirgends etwas anderes als das, was durchdrungen ist von den Taten der Geister der Bewegung, Dynamis. An einem bestimmten Punkt kommt die Bewegung bei der Form an, erlahmt in sich selber und zerbirst in sich selber. Die Hauptsache ist, daß wir es so auffassen, daß das, was zunächst geistig-seelisch ist, hinstrahlt, aber nur eine gewisse Schwungkraft hat, an das Ende der Schwungkraft kommt und nun in sich selber zurückprallt und dabei zerbirst. Aber bevor es zerbirst, da hat es innerlich geistig noch die Formen. Nun wirkt in den einzelnen auseinander-fallenden Trümmern, wenn es zerborsten ist, nach das, was als geistige Form vorhanden war. Wo das stark nachwirkt, da setzen sich nach dem Zerbersten noch die Linien der geistigen Formen fort, und da drückt sich in den Linien, die sie dann beschreiben, noch eine Nachwirkung der geistigen Linien aus. Dadurch entstehen Kristalle.

Kristalle sind Nachbildungen geistiger Formen, die gleichsam noch durch die eigene Schwungkraft die ursprüngliche Richtung im entgegengesetzten Sinn beibehalten. [1]

Nun setzen sich alle Raumesdimensionen in Wahrheit zusammen aus diesen Gegensätzen (Inneres und Äußeres), so daß Sie überall, wo Sie zunächst eine Raumdimension haben, diese Raumdimension auffassen können als irgendwo ausgehend von einem Punkt: das ist das Innere, und alles übrige ist Äußeres. Für die Fläche ist die Gerade (als Generator) ein Inneres, alles übrige ist Äußeres und so weiter. So ist der Raum nichts anderes als das, was selbst mit entsteht, indem der Geist zerbersten muß und dadurch in das materielle Sein übergeht. [2] Wenn der Geist ins Leere hinein zerbricht, dann entsteht mineralische Materie. Wenn Geist in Äthersubstanz hinein zerbirst, dann entsteht Pflanzenmaterie. [3]

Der Mensch lebt mit der Schwere verbunden auf der Erde. Die Schwere empfindet er als ihn zur Erde ziehend. Der Kristall gibt sich selber die Form, dadrinnen ist dieselbe Kraft, die der Mensch fühlt, ihn hinunterdrückend, dieselbe Kraft, die der ganzen Erde die Form gibt. So gibt dieselbe Kraft dem Kristall die Form, nur wirkt sie da im Inneren. [4]

Zitate:

[1]  GA 134, Seite 72ff   (Ausgabe 1979, 126 Seiten)
[2]  GA 134, Seite 75f   (Ausgabe 1979, 126 Seiten)
[3]  GA 134, Seite 76   (Ausgabe 1979, 126 Seiten)
[4]  GA 198, Seite 297   (Ausgabe 1984, 320 Seiten)

Quellen:

GA 134:  Die Welt der Sinne und die Welt des Geistes (1911/1912)
GA 198:  Heilfaktoren für den sozialen Organismus (1920)