Kopernikus

Die Seele des Kopernikus war da in der alten ägyptischen Zeit; sie hat damals an einer besonders hervorragenden Stelle den Osiriskultus erlebt und hat gesehen, wie Osiris als ein Wesen betrachtet worden ist, das dem hohen Sonnenwesen gleichkommt. Die Sonne stand in geistig-spiritueller Beziehung in dem Mittelpunkte des ägyptischen Denkens und Fühlens, aber nicht die äußerlich sichtbare Sonne, die nur als der körperliche Ausdruck des Geistigen angesehen wurde. So wie das Auge der Ausdruck der Sehkraft ist, so war für den Ägypter die Sonne das Auge des Osiris, der Ausdruck, die Verkörperung dessen, was der Geist der Sonne war. Das alles hatte die Seele des Kopernikus einst durchlebt, und die unbewußte Erinnerung daran war es, die ihn dazu bewog, in der Gestalt, wie es in einem materialistischen Zeitalter sein konnte, diese Idee wieder zu erneuern, diese alte Osirisidee, die damals spirituell war. [1]

Wenn Sie Schriften des Nikolaus von Kues (siehe: Cusanus) lesen, so werden Sie finden, daß in merkwürdiger Weise hineinverwoben ist die prophetische Vorherverkündigung des Weltbildes des Nikolaus Kopernikus. Bei Kopernikus erst war die Sache so, daß die Welt reif war, in der unmittelbaren Gestalt dieses Weltbild entgegenzunehmen. Wenn man den Zusammenhang durchforscht, so bekommt man folgendes heraus. In dem Nikolaus von Kues steckte in einem seiner Wesensglieder eine sehr hohe alte Individualität. Dadurch war es möglich, daß der Astralleib des Nikolaus von Kues aufbewahrt wurde und hinübergeleitet wurde so, daß er eingewoben werden konnte dem Nikolaus Kopernikus. Daher konnte in ihm gleichsam auferstehen, was Nikolaus von Kues in sich hatte. [2] Ein Stück des ägyptischen Hermes war darin enthalten, ein wichtiges Stück. [3] (Ebenso) der astralische Leib Christi und dieser ging später (auch) über auf Kopernikus. [4]

Dieselbe Wesenheit, die in Nikolaus Cusanus war, wirkte weiter in Nikolaus Kopernikus, aber es zeigt sich, wie gerade in jenen Zeiten die Menschheitsorganisation so nach dem Physischen hin vorgerückt ist, daß die ganze Tiefe des Cusanus in Kopernikus nur so wirken konnte, daß eben das äußere physische Weltensystem zustande kam. Was in Cusanus lebte, wurde gleichsam filtriert, das Spirituelle abgeworfen und umgewandelt zu äußerem Wissen. [5] Warum konnte man denn als dieselbe Seele, die als Cusanus auf der Erde war und noch ganz den spirituellen Welten hingegeben war, nun in der nächsten Verkörperung wieder erschien, sozusagen abstrakt, mathematisch, rein räumlich-geometrisch die Himmelsverhältnisse denken? Man konnte es, weil man, wenn man in der Zwischenzeit zwischen dem Dasein des Cusanus und dem des Kopernikus die Mars-Sphäre passiert hatte, gerade hineingekommen war in den Niedergang des Mars. Man brachte sich vom Mars keine Kräfte mit, welche die Seelen im Leben so inspirierten, daß man einen Höhenflug in die geistigen Welten hinauf nahm. Was nur im Physisch-Sinnlichen war, das allein lebte in solchen Seelen, die gerade in jener Zeit den Mars passiert hatten. [6]

Als die Seele anfing, nicht mehr im Äther zu wurzeln mit dem eigenen Ätherleibe, da bereitete sich allmählich auch jene Stimmung vor, die später eine Sternenwissenschaft begründete, der es gleichgültig war, ob der Mensch zum Sternenhimmel dazugehört oder nicht. Den einzigen Tribut, den dieser gewandelte Mensch der alten Zeit brachte, war der, daß er den Ausgangspunkt für sein mechanisches System dorthin verlegte, wo früher der Christus gesehen worden war, nämlich in der Sonne. Die Sonne wurde durch Kopernikus zum Mittelpunkt des Weltenalls, aber nicht des geistigen, sondern des physischen Weltenalls gemacht. Darin lebt noch ein dunkles Gefühl davon, wie stark die Menschheit einstmals die Sonne als den Mittelpunkt der Welt mit dem Christus gefühlt hat. Man wird gerade, wenn man den Kopernikus wirklich zu lesen versteht, in diesem merkwürdigen Empfindungselemente, das einem bei Kopernikus entgegentritt, merken: Er rechnete nicht nur; er hatte einen innerlichen Empfindungstrieb, der Sonne irgend etwas von dem Alten zurückzugeben. Durch diesen innerlichen Empfindungstrieb war es (dazu) gekommen, daß er drei Gesetze fand, von denen das dritte eigentlich alles wiederum in einen gewissen fragwürdigen Zustand bringt, was in den zwei ersten gesagt ist. Denn Kopernikus hat ein drittes Gesetz, das dann die spätere Astronomie einfach ausgelassen hat, weil sie alles mechanisiert hat.

Kopernikus hat ein Gesetz, wonach die Bewegung der Erde um die Sonne durchaus nicht so absolut hingestellt wird, wie man sie heute ansieht. Heute sieht man ja das Kopernikanische System als einen Tatbestand an, der sich etwa ergeben würde für die Beobachtung, wenn man sich einen Stuhl in den weiten Weltenraum, aber ziemlich weit hinaus, stellen würde, und von dort aus sehen würde, wie die Sonne ist und wie da die Erde herumkreist. Ein Beobachtungsresultat ist das ja nicht. Kopernikus hatte, ich möchte sagen, noch nicht ein so robust konträres Gewissen in solchen Dingen, wie es die späteren Menschen beim Mechanisieren des ganzen Weltengebäudes hatten. Er hat auch diejenigen Erscheinungen angeführt, die eigentlich dafür sprechen, daß es doch nicht so ganz unbedingt richtig ist mit der Bewegung der Erde um die Sonne. [7]

Planetenbewegung Die Frage des Kopernikus war: Wie kommt man dazu, diese kompliziert erscheinende Planetenbewegung (siehe Zeichnung) – denn so erscheint sie von der Erde aus beobachtet – auf einfachere Linien zurückzuführen? Wenn man also den Mittelpunkt der Erde als Koordinatenmittelpunkt ansieht, hat man nötig, außerordentlich komplizierte Bewegungskurven den Planeten zugrunde zu legen. Kopernikus sagte sich etwa: Ich verlege einmal zunächst probeweise den Mittelpunkt des ganzen Koordinatensystems in den Mittelpunkt der Sonne, dann reduzieren sich die komplizierten Planetenbewegungskurven auf einfache Kreisbewegungen oder, wie später gesagt worden ist, auf Ellipsenbewegungen. Es war das Ganze nur ein Konstruieren eines Weltensystems mit dem Zwecke, die Planetenbahnen in möglichst einfachen Kurven darstellen zu können. Kopernikus legt nun aus seinen Erwägungen heraus drei Hauptsätze seinem Weltensystem zugrunde. Der eine Hauptsatz ist der, daß sich die Erde in 24 Stunden um die eigene Nord-Süd-Achse dreht. Das zweite Prinzip ist dieses, daß die Erde sich um die Sonne herum bewegt, daß also eine Revolution der Erde um die Sonne vorhanden ist, daß dabei natürlich sich die Erde auch in einer gewissen Weise dreht. Diese Drehung geschieht aber nicht um die Nord-Süd-Achse der Erde, die immer nach dem (Himmels-) Nordpol hinweist, sondern um die Ekliptikachse (steht senkrecht auf der Ebene der Ekliptik und erzeugt die verschiedenen Jahreszeiten), die ja einen Winkel bildet mit der eigentlichen Erdachse. So daß also gewissermaßen die Erde eine Drehung erfährt während eines 24-stündigen Tages um ihre Nord-Süd-Achse, und dann, indem sie ungefähr 365 solcher Drehungen im Jahre ausführt, kommt noch dazu eine andere Drehung, eine Jahresdrehung, wenn wir absehen von der Bewegung um die Sonne. Nicht wahr, wenn sie sich immer so umdreht und sich noch einmal um die Sonne dreht, ist das so, wie sich der Mond um die Erde dreht, der dieselbe Fläche uns immer zuwendet. Das tut die Erde auch (wenn man von der Tagesrotation absieht), indem sie sich um die Sonne dreht, aber nicht um dieselbe Achse, um die sie sich dreht, indem sie die tägliche Achsendrehung ausführt. Sie dreht sich also gewissermaßen in diesem Jahrestag, der zu den (gewöhnlichen) Tagen hinzukommt, die nur 24 Stunden lang sind, um eine andere Achse. Das dritte Prinzip, das Kopernikus geltend macht, ist dieses, daß noch eine dritte Drehung stattfindet, welche sich darstellt als eine rückläufige Bewegung der Nord-Süd-Achse um die Ekliptikachse selber. Dadurch wird in einem gewissen Sinne die Drehung um die Ekliptikachse wiederum aufgehoben.

Dadurch weist die Erdachse stets auf den (Himmels-) Nordpol – den Polarstern hin. Während sie sonst, indem sie um die Sonne herumgeht, eigentlich einen Kreis, beziehungsweise eine Ellipse beschreiben müßte um den Ekliptikpol, weist sie durch ihre eigene (dritte) Drehung, die im entgegengesetzten Sinne erfolgt jedesmal, wenn die Erde ein Stück weiter rückt, dreht sich die Erdachse zurück –, immerfort auf den Polarstern hin. Kopernikus hat dieses dritte Prinzip angenommen, daß das Hinweisen auf den (Himmels-)Nordpol dadurch geschieht, daß die Erdachse selber durch eine Drehung in sich, eine Art Inklination, fortwährend die andere Drehung aufhebt. So daß diese eigentlich im Laufe des Jahres nichts bedeutet, indem sie fortwährend aufgehoben wird. [8] In der neueren Astronomie, die auf Kopernikus aufgebaut hat, ist das Eigentümliche eingetreten, daß man die zwei ersten Hauptsätze gelten läßt und den dritten ignoriert. Nur dadurch ist man überhaupt imstande, noch immer die Geschichte so schön zu zeichnen, daß man sagt: Hier die Sonne, die Erde geht herum in einer Ellipse, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. [9]

Beachtet man nur die zwei ersten kopernikanischen Sätze, dann kommt das kopernikanische System, im Keplerschen, im Newtonschen Sinn weitergeführt, heraus. Nur stimmt dieses System nicht. Wenn irgend ein Planet nach der Rechnung dieses Systems an einer bestimmten Stelle sein sollte und man richtet das Fernrohr hin – er ist nicht da! Aber er müßte da sein nach diesem System. Daher setzt man schon seit längerer Zeit die sogenannten «Besselschen Reduktionen» ein. Diese bedeuten, daß man immer von neuem anwenden muß das, was man auf einmal anwenden würde, wenn alle drei kopernikanischen Gesetze beachtet würden, das heißt, wenn man dieses dritte nicht unberücksichtigt gelassen hätte. Aber wenn man dieses dritte kopernikanische Gesetz berücksichtigt, dann stimmt die Geschichte wieder nicht mit den schönen Umdrehungen der Planeten um die Sonne. Dann muß man an ein anderes Weltensystem denken. [10]

1543 ist das Werk des Kopernikus in die Welt hinausgegangen. 1851 war das erst möglich, was man einen wirklichen Beweis für die Lehre des Kopernikus nennen kann, denn da erst wurde der Foucaultsche Pendelbeweis gefunden, (daraus sich die Drehung der Erde ergab). [11] (Das allerdings durch das Michelson-Morley-Experiment wieder relativiert ist, da die Lichtgeschwindigkeit konstant ist unabhängig von der Bewegung der Sonne oder des Beobachters mit der Erde).

Zitate:

[1]  GA 105, Seite 185f   (Ausgabe 1983, 208 Seiten)
[2]  GA 109, Seite 53   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[3]  GA 109, Seite 290   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[4]  GA 109, Seite 288   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[5]  GA 126, Seite 102   (Ausgabe 1956, 120 Seiten)
[6]  GA 141, Seite 98   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)
[7]  GA 220, Seite 20f   (Ausgabe 1966, 214 Seiten)
[8]  GA 323, Seite 40ff   (Ausgabe 1983, 376 Seiten)
[9]  GA 323, Seite 43   (Ausgabe 1983, 376 Seiten)
[10]  GA 191, Seite 26   (Ausgabe 1983, 296 Seiten)
[11]  GA 61, Seite 376   (Ausgabe 1962, 536 Seiten)

Quellen:

GA 61:  Menschengeschichte im Lichte der Geistesforschung (1911/1912)
GA 105:  Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwickelung sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur (1908)
GA 109:  Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit (1909)
GA 126:  Okkulte Geschichte. Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge von Persönlichkeiten und Ereignissen der Weltgeschichte (1910/1911)
GA 141:  Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen (1912/1913)
GA 191:  Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis (1919)
GA 220:  Lebendiges Naturerkennen. Intellektueller Sündenfall und spirituelle Sündenerhebung (1923)
GA 323:  Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie. Dritter naturwissenschaftlicher Kurs: Himmelskunde in Beziehung zum Menschen und zur Menschenkunde (1921)