Karmische Reihen
► Conrad Ferdinand Meyer

Ich darf gestehen, daß eine der interessantesten Persönlichkeiten mit Bezug auf ihr Karma aus dem neueren Geisteslebens für mich Conrad Ferdinand Meyer war. Die schönsten Leistungen C. F. Meyers beruhen darauf, daß immer und immer wieder in seiner gesamtmenschheitlichen Verfassung etwas da war wie ein Entfliehenwollen des Ich und des astralischen Leibes heraus aus dem physischen Leib und dem Ätherleib. Krankhafte Zustände treten bei ihm auf, bis hart an die Grenze des Geistesgestörtseins kommend. Es sind Zustände, die nur in einer etwas extremeren Form das zustande bringen, was eigentlich im Entstehungsgrunde, im status nascendi immer bei ihm vorhanden ist: heraus will das eigentliche Geistig-Seelische und hält nur mit leisem Band das Physisch-Ätherische. Und in diesen Zuständen entstehen die schönsten seiner Leistungen, sowohl die schönsten seiner größeren Dichtungen wie auch die schönsten seiner kleineren Gedichte. Man hat immer das Gefühl: Wenn Conrad Ferdinand Meyer schreibt, so erinnert er sich an etwas, aber nicht genau. Er verändert es, aber er verändert es ins Schöne und ins Formvollendete. Man kommt zu einer Inkarnation in Italien in den ersten christlichen Jahrhunderten, wo die Seele, bei der man zunächst halt machen muß, gelebt hat – viel in Ravenna, viel am römischen Hofe. Er lebte dazumal in Italien in einem gewissen Verhältnis zu einem Papste, der diese Individualität mit anderen zusammen in einer katholischen christlichen Mission nach England schickte. So daß diese Individualität, die dann Conrad Ferdinand Meyer wurde, erst all jenen wunderbaren Formensinn aufgenommen hatte, den man gerade in jener Zeit in Italien aufnehmen konnte, von dem dann namentlich die Mosaik-Künste in Italien sprechen, von dem die ältere italienische Malerei spricht, die zum größten Teile ja überhaupt ganz zugrunde gegangen ist – das hat ja aufgehört –, und er ging dann mit einer katholisch-christlichen Mission zu den Angelsachsen. Ein Genosse von ihm begründete das Bistum Canterbury. Es war in der Seele des Conrad Ferdinand Meyer, während er in England verweilte, etwas, was sie ihres Lebens nicht froh werden ließ. Diese Seele wurzelte eigentlich in der damaligen italienischen Kunst, wenn man das so nennen will, in dem italienischen Geistesleben. Sie wurde nicht froh bei der Ausübung der Missionstätigkeit in England, widmete sich aber dieser Missionstätigkeit dennoch in einer intensiven Weise, so daß dann die Ermordung sogar die Reaktion darauf war. Dieses Nicht-froh-Werden, dieses eigentlich Abgestossensein von etwas, das er aber wiederum auf einem anderen Trieb des Herzens heraus mit aller Kraft, mit aller Hingabe ausführte, das wirkte in einer gewissen Weise so, daß nun beim Durchgang durch das nächste Erdenleben eine kosmische Trübung des Gedächtnisses eintrat. Der Impuls war da, aber er deckte sich nicht mit irgendeinem Begriffe mehr. Und so wurde zustande gebracht, daß dann in der Conrad Ferdinand Meyer-Inkarnation ein unbestimmter Impuls sich geltend machte: In England wirkte ich; etwas hängt zusammen mit Canterbury; ermordet worden bin ich wegen meines Zusammenhanges mit Canterbury. Daraufhin wirkt nun das äußere Leben der Conrad Ferdinand Meyer-Inkarnation. Er studiert englische Geschichte, er studiert Canterbury, er stößt auf Thomas Becket, dann erschien dem Conrad Ferdinand Meyer in diesem Thomas Becket sein eigenes halbvergessenes Schicksal. Und da schildert er sein eigenes Schicksal aus uralter Zeit, indem er es in der Geschichte, die sich im 12. Jahrhundert zwischen dem König Heinrich II. und dem Thomas Becket von Canterbury abgespielt hat, schildert dieses Schicksal in seiner Dichtung «Der Heilige». Nun geht es aber fort bei Conrad Ferdinand Meyer – das ist das Interessante: er wird wiedergeboren so im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, als Frau wiedergeboren, als regsame, geistig interessenreiche Frau, die manches Abenteuerliche sieht. Diese Frau heiratet einen Mann, der zunächst an all den Wirren, die da waren im Dreißigjährigen Kriege, teilnahm, dem es aber dann zu dumm geworden ist und der nach der Schweiz auswanderte, nach Graubünden, und da als ein ziemlich philiströser Herr lebte. Und aus dem, was diese Frau erlebt hat in ihrer Anschauung, entsteht die wunderbare Charakteristik des «Jürg Jenatsch», des Mannes aus Graubünden. [1]

Zitate:

[1]  GA 236, Seite 39uf   (Ausgabe 1988, 310 Seiten)

Quellen:

GA 236:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Zweiter Band (1924)