Ich
► Ich in der Kindheit

Später erst tritt das Ich des Menschen, dasjenige, woran alles gebunden ist, auf. Aber kein Mensch sollte behaupten, daß dieses Ich vorher untätig war. Es wird nicht erst geboren mit dem dritten Jahre; es war da, es hatte nur eine andere Aufgabe als in die Tätigkeit des Bewußtseins einzugreifen. Was hatte es für eine Aufgabe? Es ist der wichtigste spirituelle Faktor bei der Bildung der drei Hüllen des Kindes, des Astralleibes, Ätherleibes und physischen Leibes. Die physische Hülle des Gehirns wird fortwährend umgebildet. Da haben wir fortwährend das Ich an der Arbeit. Es kann nicht bewußt werden, weil es eine ganz andere Aufgabe hat: es muß erst das Werkzeug des Bewußtseins formen. Dasselbe, was uns später bewußt wird, arbeitet erst an unserem physischen Gehirn in den ersten Lebensjahren. Es ist sozusagen nur eine Änderung der Aufgabe des Ich. Erst arbeitet es an uns, dann in uns. Diese Kraft hat es aus dem Grunde, weil in das Ich in den ersten drei Lebensjahren die Kräfte der nächsthöheren Hierarchie, der Angeloi einströmen. Ein Angelos arbeitet in dem Ich und durch das Ich an dem Menschen, ihn plastisch ausgestaltend. Und in dem Augenblick, wo er lernt Ich zu sagen, ist es so, als ob etwas von der Kraft abgetrennt würde, wie wenn er dazu berufen würde, etwas zu tun von dem, was der Angelos vorher tat. [1]

Und wenn derjenige, der selber in die geistigen Welten hineinschauen kann, das Kind vor sich hat mit dem Strom, der in die geistige Welt hinaufgeht, dann ist das so – verzeihen Sie den trivialen Ausdruck –, dann hat derjenige, der in die geistigen Welten hineinzusehen vermag, in dem Kinde etwas wie einen Telefonanschluß in die geistigen Welten. Durch das Kind spricht die geistige Welt. Die Menschen wissen es nur nicht. Der Weiseste kann am meisten von dem Kinde lernen. Das Kind spricht nicht, sondern der Angelos aus dem Kinde. Wir können geradezu das Kindes-Ich als das unterste Glied des Angelos aufzählen. Daher sind auch in diesen ersten Lebensjahren am Menschen am intensivsten bemerkbar diejenigen Kräfte, die er aus seinen früheren Inkarnationen mitbringt. Heute erben wir schon mit der Geburt einen so dichten und anspruchsvollen physischen Leib, daß nur ein geringer Teil der Arbeit von dem Ich geleistet werden kann, der früher geleistet worden ist. Unser physischer Leib ist nicht mehr geeignet für das, was wir in den ersten drei Jahren sind. Wir erben jenen physischen Leib, den wir für die späteren Lebensjahre brauchen, und der ist nicht geeignet, das Auge hinaufzurichten in die geistigen Welten. [2]

Vom 7. Jahre an befestigt sich das Ich nur noch im Ätherleibe; vorher aber, wenn der Mensch ein Nachahmer ist, befestigt sich gerade durch diese nachahmende Tätigkeit das Ich im physischen Leibe; und dann später, noch nach der Geschlechtsreife, befestigt sich das Ich im astralischen Leibe. Also es ist ein fortwährendes Durchdringen der menschlichen Organisation mit dem Ich. Das Ich darf (aber) nicht zu gründlich hineingehen, darf aber auch nicht zu stark draußen gehalten werden. (Extreme: Verbrecher oder Schwärmer). [3] Alles Lernen besteht darin, daß der Mensch Gedanken bekommt. Wenn er spricht braucht er bloß nachzuahmen. Wenn er denkt, muß er selbst tätig sein. Der Mensch also lernt durch Gedanken. Er lernt auch das Gehen, er lernt auch das Sprechen durch Gedanken, nur weiß er die noch nicht sehr. Daß wir etwas lernen können, was das Tier nicht kann, das kommt daher, daß wir außer dem physischen Leib und dem Ätherleib und dem astralischen Leib noch ein Ich haben, das uns ganz durchdringt. [4] Zwischen dem 9. und 10. Jahre lernt das Kind mit vollem Bewußtsein zu sich «Ich» zu sagen. Es lernt dies schon früher, aber jetzt mit vollem Bewußtsein. [5]

Zitate:

[1]  GA 127, Seite 62f   (Ausgabe 1975, 256 Seiten)
[2]  GA 127, Seite 64f   (Ausgabe 1975, 256 Seiten)
[3]  GA 302a, Seite 55f   (Ausgabe 1983, 160 Seiten)
[4]  GA 349, Seite 88   (Ausgabe 1961, 264 Seiten)
[5]  GA 310, Seite 73   (Ausgabe 1965, 184 Seiten)

Quellen:

GA 127:  Die Mission der neuen Geistesoffenbarung. Das Christus-Ereignis als Mittelpunktsgeschehen der Erdenevolution (1911)
GA 302a:  Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis (1920-1923)
GA 310:  Der pädagogische Wert der Menschenerkenntnis und der Kulturwert der Pädagogik (1924)
GA 349:  Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums (1923)