Ich
► Entwickelung des Ich

In der lemurischen Zeit finden wir den viergliedrigen, wir dürfen sagen, halbtierischen Menschen, jenen Menschen, der zwar schon aus der Vierheit – physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und mit der Anlage zum Ich – besteht, der aber noch nicht in der Lage war, auch nur das geringste an seinen drei Hüllen zu arbeiten. Denn die Kraft, die dem Menschen notwendig ist, um im angedeuteten Sinne an seinen Hüllen zu arbeiten, mußte in diese Träger der eigentlichen Natur des Menschen erst hineinkommen. Dasjenige, was Sie heute als Ihr Ich bezeichnen, was verhüllt Ihre Seele, Ihre tiefste Natur, die schon etwas enthält von dem, was von den drei Hüllen des Menschen umgewandelt ist, das war damals noch nicht da, das wollte damals erst in die Entwickelung eintreten. Das Ich war noch ein hohler Raum, um aufzunehmen, was heute des Menschen tiefstes Innere ist, was man den unsterblichen Teil des Menschen nennt, der durch alle Inkarnationen durchgeht, was mit der Erde in ein anderes planetarisches Dasein übergehen kann. Das senkte sich dazumal erst hernieder in das menschliche Gehäuse. Das war vorher im Schoße der Gottheit, das bildete einen Teil der göttlichen Natur. Was jetzt in uns ist und was vorher in dem Schoße der Gottheit war, als in einem allverfließenden Elemente, das teilte sich dazumal auf die einzelnen menschlichen Leiber aus, so daß heute jeder einen Tropfen dieser einheitlichen göttlichen Substanz in sich hat. Dadurch individualisierte sich dasjenige, was vorher nur Glied in der allgemeinen göttlichen Natur war. [1] Dieses menschliche Ich, das dem Menschen im Verlaufe der Erdenevolution als eine Gabe der Geister der Form, Exusiai zugekommen ist, war ja, wie wir wissen, der luziferischen Versuchung ausgesetzt. So wie der Mensch dieses Ich hat, würde es eigentlich, da es infiziert ist von luziferischen Kräften, der Träger böser Kräfte sein. Nicht durch seine Natur ist das Ich der Träger böser Kräfte; aber dadurch, daß das Ich durch die luziferische Verführung mit luziferischen Kräften infiziert ist, ist es an sich der Träger von wirklich bösen Kräften, von Kräften, welche durch die luziferische Infektion geneigt sind, dasjenige, was das Gedankenleben des Ich bedeutet, ins Böse zu verzerren. Das Ich hat fortwährend die Tendenz, sich tückisch, lügenhaft zu gebärden, sich selbst ins Licht, das andere in den Schatten zu stellen; aber es wird gefesselt durch das Nervensystem des Unterleibes. Da muß es parieren. Durch das Nervensystem des Unterleibes (siehe: Nervensystem sympathisches) zwingen die regelrecht fortschreitenden Mächte, die durch Saturn- und Sonnen- und Mondenentwickelung heraufgekommen sind, das Ich, nicht ein Dämon im bösen Sinne des Wortes zu sein. So daß wir also unser Ich so in uns tragen, daß es gefesselt ist an die Unterleibsorgane.

Nun denken Sie einmal, daß die Unterleibsorgane in irgendeiner Weise ungesund wären. Nicht im normalen Zustande sein, heißt, nicht voll in sich aufnehmen wollen dasjenige, was geistig in sie hineinpaßt, was geistig zu ihnen gehört. Das Ich kann in gewisser Weise frei werden in seiner Tätigkeit, wenn die Unterleibsorgane nicht ganz gesund sind. Dann kommen sie heraus, die Eigenschaften des Ich. Man braucht wahrhaftig deshalb nicht Materialist zu werden, weil man die Gebundenheit des Geistigen, also hier des Ich, an die physischen Organe in dem Leben zwischen Geburt und Tod – aber in einem höheren Sinne, als der Materialist es sich vorstellt – voll einsieht, und wenn man auch einsieht, daß gewissermaßen der Teufel los werden kann, seiner Fesseln ledig werden kann. Es muß nicht unbedingt psychische Ungesundheit sein, wenn die Freiheit des Ich eintritt, sondern (es kann sich) gewissermaßen um eine Ausschaltung seiner regulären Tätigkeit (handeln). Das ist bei weitaus den meisten Fällen des Somnambulismus der Fall. Da wird das Gangliensystem mit seiner Funktion im Unterleibe so präpariert, sei es durch die Natur selber, sei es durch allerlei Einflüsse magnetischer Art, daß es das Ich nicht voll in seiner Gewalt halten kann. Dann kommt das Ich dazu, in freierer Weise mit der Umgebung zu korrespondieren. Es ist dann nicht eingelagert in das Gangliensystem und kann daher jene Verbindungskanäle mit der Welt benützen, die es ihm möglich machen, im Raume und in der Zeit allerlei von ferne zu sehen, was normalerweise in das Ich, in das Gangliensystem eingebettet ist, wodurch diese Prozesse nicht wahrgenommen werden können. Es besteht eine gewisse Verwandtschaft zwischen dem Somnambulismus und gewissen Formen des Wahnsinnes, der hervorgerufen wird, wenn die Ausschaltung durch Deformierung, durch Erkrankung gewisser Organe des Unterleibes stattfindet. Deshalb aber treten bei gewissen Formen des Wahnsinns gerade die Eigenschaften der Tücke, der Lügenhaftigkeit, der Verschmitztheit, der Listigkeit auf, alles, was von luziferischen Infektionen kommt – das Bedürfnis, sich selber ins Licht und alles andere in den Schatten zu stellen und dergleichen. [2]

Wir sehen im 7. bis 8. Jahrhundert vor Christus auftreten das Sibyllentum. In ihm lebte das, was zeigte, daß das Ich sich herausbilden kann. Aber das Sibyllentum hing mit den elementarischen Kräften der Erde zusammen, die im Unterbewußten der Seele wirkten und in leidenschaftlicher Art sich herausdrängten. Ohne das Mysterium von Golgatha hätte das Sibyllenelement über die bewußten Ich-Kräfte gesiegt, hätte die Ich-Kräfte zurückgedrängt. Das Ich wäre der Menschheitsentwickelung verlorengegangen. Als Kraft sehen wir den Christus-Impuls in dem Menschheitsgang wirken, auch ohne daß das menschliche Bewußtsein ihn aufgenommen hat. [3]

Es sind die luziferischen Kräfte dasjenige, was ein Zurückbleiben in der Zeit bedeutet. Unser Ich beruht, wie wir es in uns tragen, auf luziferischen Kräften, denn es beruht auf Zurückerinnerung auf das, was uns von unserem Erleben zurückgeblieben ist. [4] Statt unser(eins) genießt während des Tages unsere nächtlichen Erfahrungen Ahriman; statt unser genießt während unseres Schlafens, in unserem Ich, Luzifer unsere täglichen Erfahrungen. Daß Luzifer vom Einschlafen bis zum Aufwachen unser Ich in Anspruch nimmt, dies hindert uns, dasjenige, was wir als Wissen während des Tages erfahren, was wir uns ausdenken über die Welt, was wir urteilen, unterscheiden, verbinden in der Welt, auch während der Nacht zu durchleben. Und so nimmt er uns das Leben der Wissenschaft weg. Jede Nacht saugt er das Leben der Wissenschaft für sich heraus, und uns bleiben nur die abstrakten Begriffe, die toten Begriffe. [5] In demselben Maße, wie sich der Mensch fühlte als eine Ich-Wesenheit, schwand für ihn hin die Wahrnehmung des die Welt durchpulsenden göttlichen Lebensäthers. Der Mensch mußte sich den jetzigen Zustand dadurch erkaufen, daß er gewisse Seiten des äußeren Lebens verlor. [6]

Unser irdisches Ich, das wir uns erst im Laufe der Erdentwickelung erworben haben, kann seine volle Tätigkeit und sein volles Bewußtsein zunächst nur im physischen Leibe entfalten. Im Ätherleibe wird es sich erst während der Jupiterzeit voll entfalten können, so daß in alledem, was im Ätherleibe spielt, das eigentliche Ich des Menschen nicht unmittelbar tätig ist. [7]

Zitate:

[1]  GA 96, Seite 260f   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[2]  GA 174, Seite 128ff   (Ausgabe 1966, 320 Seiten)
[3]  GA 152, Seite 96f   (Ausgabe 1980, 176 Seiten)
[4]  GA 133, Seite 75   (Ausgabe 1964, 175 Seiten)
[5]  GA 162, Seite 182f   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[6]  GA 123, Seite 64   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[7]  GA 158, Seite 136   (Ausgabe 1993, 234 Seiten)

Quellen:

GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 133:  Der irdische und der kosmische Mensch (1911/1912)
GA 152:  Vorstufen zum Mysterium von Golgatha (1913/1914)
GA 158:  Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt. Kalewala – Olaf Åsteson – Das russische Volkstum – Die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen (1912-1914)
GA 162:  Kunst- und Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1915)
GA 174:  Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit – Zweiter Teil (1917)