Judas Iskariot

Unter den fünf Söhnen des Mattathias ist einer, der schon im Alten Testament Judas heißt. Er ist damals derjenige, welcher am kräftigsten kämpft für sein Volk, der ganz und gar mit seiner Seele seinem Volkstum hingegeben ist, und dem es auch gelingt, einen Bund mit den Römern zu schließen gegen den König Antiochus von Syrien (1. Makkabäer, Kapitel 8). Dieser Judas ist derselbe, welcher später die Prüfung durchzumachen hat, den Verrat zu begehen, weil er, der am allerinnigsten verbunden ist mit dem spezifisch althebräischen Element, nicht gleich den Übergang zu dem christlichen Elemente finden kann und erst die harte Prüfung braucht durch den Verrat. Es steht, wenn man das rein Künstlerisch-Kompositionelle betrachtet, ganz wunderbar da die, man möchte sagen, grandiose Gestalt des Judas in den letzten Kapiteln des Alten Testamentes und die Gestalt des Judas im Neuen Testament. Und merkwürdig ist in diesem symptomatischen Vorgang, daß der Judas des Alten Testamentes einen Bund schließt mit den Römern, alles das vorbildet, was später geschehen ist, nämlich den Weg, den das Christentum genommen hat durch das Römertum, um in die Welt einzutreten. Gerade durch die spätere Wiederverkörperung des Judas Iskariot geschieht die Verschmelzung des römischen Elementes mit dem christlichen Element und der wiederverkörperte Judas ist der erste, der sozusagen den großen Erfolg hat in der Ausbreitung des romanisierten Christentums. Und was sich dann durch sein späteres Wirken zeigt als Christentum im Römertum und Römertum im Christentum zugleich, das erscheint wie eine ins Geistige umgesetzte Erneuerung des Bündnisses des alttestamentlichen Judas mit den Römern. [1]

Die 12 Apostel sind die Sinnbilder für die 12 Unterrassen. Judas ist der Vertreter einer der Rassen, und zwar der Rasse, welche gerade alles auf den materiellen Plan herabbringt, unserer jetzigen fünften Unterrasse, der materialistischen. Die Entwickelung, derzufolge die Menschen vorher in der geistigen Anschauung gelebt hatten und nun in die physische Welt hineingeführt werden mußten, machte es ganz selbstverständlich, daß der Vertreter dieser fünften Unterrasse gerade der Verräter wurde. Die Tat des Judas gliedert sich ganz organisch in die Mission Christi ein. Judas geht durch eine Art Märtyrertum. Er ist der Verräter und auch in gewissem Sinne Märtyrer. Er führt die Opferung Christi herbei. [2] Das Zeitalter das folgt (auf das Mysterium von Golgatha, also unseres) ist vertreten durch Judas, dem Repräsentanten der niederen Sinnlichkeit. Es wird eine Zeit kommen, in der es so ausschauen wird, wie wenn dasjenige, was auf Golgatha geschah, auch auf der ganzen Erde geschähe! Es wird so aussehen, als wenn der Egoismus dem Christus, der Buddhi, den Tod bringen sollte. Das wird die Zeit des Antichrist sein. Das ist das Gesetz, daß alles, was um das Kreuz herum geschah, auch auf dem physischen Plane wird geschehen müssen. Der Verrat des Judas bedeutet das Überhandnehmen der niederen Triebe. [3]

Zitate:

[1]  GA 139, Seite 44f   (Ausgabe 1960, 212 Seiten)
[2]  GA 97, Seite 46   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[3]  GA 96, Seite 292f   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)

Quellen:

GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 97:  Das christliche Mysterium (1906/1907)
GA 139:  Das Markus-Evangelium (1912)