Geistige Welt

Wenn wir durch Meditation uns so stark machen könnten, dieses Tagesbewußtsein so herabzudämpfen, der Nichtigkeit der Umwelt uns vollständig bewußt zu werden, dann würden wir uns mit unseren Seelen immer in der geistigen Welt erleben. [1] Hinter dem physischen Plan ist aber die eigentliche geistige Welt. Der physische Plan ist Maya. Diesen physischen Plan schafft der visionäre Hellseher nicht hinweg; der verschwindet erst für den, der ihn mit den Mitteln des Gedankens fortschafft. [2] Was kennt der Mensch von der elementarischen Welt (siehe: Astralplan)? Er kennt dasjenige, was ihm durch die Sinne widergespiegelt wird von der elementarischen Welt. Licht, Töne und so weiter. Was kennt der Mensch von der sogenannten geistigen Welt (siehe: Devachan)? Er kennt dasjenige, was ihm seine Nerven zurückspiegeln. Das ist dasjenige, was man gewöhnlich die Naturgesetze nennt. Die Naturgesetze, die der Mensch kennenlernt, sind nichts anderes als ein abgeschwächtes Schattenbild der geistigen Welt. Und dasjenige, was der Mensch als ein inneres geistiges Leben, als seine Vernunft kennt, das ist ein abgeschwächtes Spiegelbild der äußeren Vernunft. Was man gewöhnlich Intellekt nennt, das würde also in unserer Sprache ein Abbild sein der eigentlichen Vernunftwelt (siehe: Devachan oberes), aber ein schwaches, schattenhaftes Abbild. [3]

Das, was der Seher da schaut in der geistigen Welt, er kann es, wenn er es in die Sprachen der physischen Welt übersetzen will, nur in Bildern ausdrücken, aber in Bildern, welche, wenn die Fähigkeit des seherhaften Darstellers hinreicht, in entsprechender Weise eine Vorstellung davon hervorrufen können, was der Seher selbst erschaut in den geistigen Welten. Dann kommt allerdings etwas zustande, was nicht verwechselt werden darf mit irgendeiner Beschreibung von Dingen oder Ereignissen der physisch-sinnlichen Welt, es kommt etwas zustande, bei dem man sich fortdauernd bewußt sein muß, daß man es mit einer ganz anderen Welt zu tun hat, mit einer Welt, die der sinnlichen zwar zugrunde liegt, die aber im eigentlichen Sinne sich in keiner Art deckt mit den Vorstellungen, Eindrücken und Wahrnehmungen der gewöhnlichen Sinneswelt. [4] In unzähligen Variationen können Sie das hören, jene bequeme Weise: Ach, was kümmere ich mich vor meinem Tode um das Geistige! Ich werde ja sehen, was daran ist; denn das kann ja nichts ändern an meinem Verhältnis zur geistigen Welt, ob ich mich hier damit befasse oder nicht! – So ist es aber nicht. Der Mensch der so denkt, wird (nachtodlich) eine finstere und düstere Welt kennenlernen. Denn daß der Mensch hier in der physischen Welt seinen Geist und seine Seele verbindet mit der geistigen Welt, das macht ihn erst fähig zu sehen, indem er sich hier darauf vorbereitet. Die geistige Welt ist da; die Fähigkeit darin etwas zu sehen, müssen Sie sich hier auf der Erde erringen, sonst sind Sie blind in der geistigen Welt (denn in der geistigen Welt sieht man nur etwas, indem man es selber beleuchten kann). So ist Geisteswissenschaft die Macht, die Ihnen erst die Möglichkeit gibt, überhaupt bewußt in die geistige Welt einzudringen. Wäre der Christus nicht in der physischen Welt erschienen, so würde der Mensch versinken in der physischen Welt, könnte nicht in die geistige Welt eintreten. Das hängt davon ab, daß er sich auch zu verbinden weiß mit dem, den der Christus gesandt hat, mit dem Geist; sonst ist er unbewußt. Der Mensch muß sich seine Unsterblichkeit erwerben, denn eine Unsterblichkeit, die unbewußt ist, ist noch keine Unsterblichkeit. [5]

Zitate:

[1]  GA 266/3, Seite 316   (Ausgabe 0, 0 Seiten)
[2]  GA 117, Seite 91   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[3]  GA 119, Seite 189   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[4]  GA 122, Seite 31   (Ausgabe 1961, 200 Seiten)
[5]  GA 107, Seite 257f   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)

Quellen:

GA 107:  Geisteswissenschaftliche Menschenkunde (1908/1909)
GA 117:  Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien (1909)
GA 119:  Makrokosmos und Mikrokosmos.. Die große und die kleine Welt. Seelenfragen, Lebensfragen, Geistesfragen (1910)
GA 122:  Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte. Das Sechstagewerk im 1. Buch Moses (1910)
GA 266/3:  Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Band III (1913, 1914; 1920 – 1923) (1913-1923)