Geistesforschung

Für das, was der Mensch braucht, ist es ganz gleichgültig, ob man die Dinge der Geistesforschung selber erforscht hat, oder ob man sie von anderer glaubwürdiger Seite erhalten hat. Es ist daher eine irrtümliche Vorstellung, wenn man glaubt, ein jeder müsse ein Geistesforscher werden. [1] Bei den Anleitungen zur Geistesforschung handelt es sich zum großen Teile darum, daß der Geistesforscher auf diesem Wege nicht verliere den inneren Halt, die innere Zucht des Ich. [2] Aber man stellt sich gewöhnlich nur vor, daß Geisteswissenschaft so leicht zu ihren Resultaten kommt. Man braucht nur hineinzuschauen in die geistige Welt, dann bekommt man das alles heraus, während man es schwierig hat, wenn man in Laboratorien arbeiten muß, in physikalischen Kabinetten oder auf der Klinik; da müsse man sich Mühe geben – so denkt man nämlich –, in der Geisteswissenschaft handle es sich nur darum, daß man hineinschaue in die Welt des Geistes, dann kriege man alles heraus. So ist es eben nicht. Gerade die gewissenhafte Geistesforschung erfordert mehr Mühe und vor allen Dingen mehr Verantwortung als das Hantieren in den Laboratorien oder auf der Klinik oder der Sternwarte. [3] Geistesforschung erfordert weit mehr Arbeit als Laboratoriums- oder Sternwartenforschung. Sie erfordert vor allen Dingen eine intensive Anstrengung des eigenen Willens. [4] Der Mensch kommt erst dadurch zu den geistigen Wesen in ein rechtes Verhältnis, daß er sich eben anstrengen muß. Und es kostet die allergrößte innere Anstrengung, um in der geistigen Welt forschen zu können. [5]

Während man auf dem physischen Plane falsche Forschungsergebnisse einfach dadurch richtigstellt, daß man sie mit physischen Mitteln nachprüft, und dann verhältnismäßig leicht herausbekommen kann, daß sie unrichtig sind, so ist das natürlich in den geistigen Welten doch noch anders. In den geistigen Welten ist das Vorhandensein einer falschen, unrichtigen Vorstellung über einen Tatbestand für die Forschung selbst verwirrend. Etwas, was auf dem physischen Plane gesagt wird, kann man zurückweisen. Ein falsches Forschungsresultat in der geistigen Welt ist ein lebendiges Wesen. Das ist da, das muß man erst bekämpfen, das muß man erst wegschaffen. Gerade so, wie ich Ihnen gesagt habe, daß die Gedanken lebendige Wesen sind, so sind auch die falschen Forschungsresultate reale Mächte, die sofort da sind, wenn man die Schwelle der geistigen Welt übertritt. Jetzt stehen die falschen Gedanken, die produziert worden sind, als lebendige Wesen vor einem. Die sind real; die erwecken zunächst den Anschein, daß sie real sind, daß sie wahr sind. Man muß erst prüfen, ob sie die Eigenschaften haben, welche unwahre Gedanken haben, oder ob sie die Eigenschaften des Wahren, das heißt, lebensfähige Eigenschaften haben. Das muß man zunächst prüfen, und das dauert zuweilen lange Zeit. [6]

Zitate:

[1]  GA 178, Seite 39   (Ausgabe 1980, 248 Seiten)
[2]  GA 322, Seite 69   (Ausgabe 1969, 140 Seiten)
[3]  GA 319, Seite 12   (Ausgabe 1982, 256 Seiten)
[4]  GA 322, Seite 114   (Ausgabe 1969, 140 Seiten)
[5]  GA 350, Seite 200   (Ausgabe 1962, 314 Seiten)
[6]  GA 254, Seite 126f   (Ausgabe 1969, 279 Seiten)

Quellen:

GA 178:  Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen (1917)
GA 254:  Die okkulte Bewegung im neunzehnten Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur. Bedeutsames aus dem äußeren Geistesleben um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts (1915)
GA 319:  Anthroposophische Menschenerkenntnis und Medizin (1923/1924)
GA 322:  Grenzen der Naturerkenntnis (1920)
GA 350:  Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen. Wie kommt man zum Schauen der geistigen Welt? (1923)