Heilung

Die Wege zum Heilen von Krankheiten sind zugleich die Wege zum Erzeugen der Krankheiten. Deshalb wurde in alten Zeiten die Heilkunst mit einer tief moralischen Weltauffassung im Zusammenhang gedacht. [1] Man muß in dem Wesen des Krankseins eine intensive Verbindung des astralischen Leibes oder der Ich-Organisation mit dem physischen Organismus sehen. Aber diese Verbindung ist doch nur eine Verstärkung derjenigen, die in einer loseren Art im gesunden Zustande vorhanden ist. Auch das normale Eingreifen des astralischen Leibes und der Ich-Organisation in den menschlichen Körper sind eben nicht den gesunden Lebensvorgängen verwandt, sondern den kranken. Wirken Geist und Seele, so heben sie die gewöhnlichen Einrichtungen des Körpers auf; sie verwandeln sie in eine entgegengesetzte. Aber damit bringen sie den Organismus auf einen Weg, bei dem das Kranksein beginnen will. Er wird im gewöhnlichen Leben sofort nach dem Entstehen durch eine Selbstheilung reguliert. Eine gewisse Form des Krankseins tritt dann ein, wenn das Geistige oder Seelische zu weit nach dem Organismus vorstossen, so daß die Selbstheilung entweder gar nicht oder nur langsam eintreten kann. In der Geist- und Seelenfähigkeit hat man also die Ursachen des Krankseins zu suchen. Und das Heilen muß in einem Loslösen des Seelischen oder Geistigen von der physischen Organisation bestehen. Der bloße physische Organismus könnte niemals einen Selbstheilungsvorgang hervorrufen. Ein solcher wird in dem ätherischen Organismus angefacht. Damit wird die Gesundheit als der Zustand erkannt, der im ätherischen Organismus seinen Ursprung hat. Heilen muß daher in einer Behandlung des ätherischen Organismus bestehen. [2]

Diejenigen Krankheitsformen, die zusammenhängen mit dem Ich selbst und dadurch mit seinem äußeren Ausdruck, dem Blut, äußern sich in der Regel – aber nur in der Regel, denn in der Welt sind die Dinge nicht so abgezirkelt, trotzdem man scharfe Konturen ziehen kann, wenn man die Dinge betrachten will – als diejenigen Krankheiten, die als chronische Krankheiten auftreten. Was sonst zunächst wahrgenommen werden kann als diese oder jene Schäden, ist in der Regel Symptom. (Diese) Krankheiten, die sich chronisch äußern, und die, wenn wir physisch sprechen, im Blut, wenn wir geistig sprechen, im Ich ihren Ursprung haben. Das sind vorzugsweise die Krankheiten, die so im rechten Sinne vererbbar sind, übergehen von einer Generation auf die andere. Hier wird es sich also vorzugsweise darum handeln, daß man das Richtige zu treffen sucht in bezug auf das, was auf den Charakter des Ichs gerade den richtigen Einfluß ausüben kann. Besonders muß der, der heilen will, eine weite Lebenserfahrung haben, so daß er sich hineinversetzen kann in die Natur des Menschen, daß er sagen kann: dieser Mensch muß, um seine Heilung zu bekommen, seinen Beruf wechseln. Vielleicht wird gerade auf diesem Felde manchmal jegliche Heilung daran scheitern, daß dies eben gar nicht ausgeführt werden kann; aber in vielen Fällen kann es ausgeführt werden, wenn es nur gewußt wird. So kann zum Beispiel viel bei manchem Menschen gewirkt werden, wenn er einfach statt in der Ebene in den Bergen lebt. [3] Dann kommen wir vorzugsweise zu denjenigen Krankheiten, welche ursprünglich – geistig – in Unregelmäßigkeiten des astralischen Leibes ihren Sitz haben und die sich äußern in bestimmten Unfähigkeiten des Nervensystems nach dieser oder jener Richtung hin. (Damit) hängt ein großer Teil der verbreiteten akuten Krankheiten zusammen. Es ist ein Aberglaube, wenn man oftmals meint, wenn einer am Magen oder am Herzen leidet, oder selbst wenn er diese oder jene deutlich wahrnehmbaren Unregelmäßigkeiten da oder dort hat, daß er richtig kuriert wird, wenn man direkt auf dieses Krankheitssymptom losgeht. Das Wesentliche kann es sein, daß dieses Krankheitssymptom da ist, weil das Nervensystem nach dieser Richtung hin unfähig geworden ist zu funktionieren. Da ist es ganz unnötig, das Herz oder im anderen Falle den Magen zu malträtieren, dem im Grunde genommen nichts direkt fehlen würde, sondern wo nur die Nerven, die ihn versorgen sollen, unfähig sind, ihre Arbeit zu verrichten. Getan ist (allerdings) erst etwas, wenn man weiß, daß der Nerv der Ausdruck des astralischen Leibes ist, daß man zurückgehen kann auf das Gefüge des astralischen Leibes und in den Unregelmäßigkeiten des astralischen Leibes die Ursachen suchen kann. Zunächst wird es sich bei solchen Erkrankungen darum handeln, daß bei der Heilweise das in Betracht kommt, was man Diät nennt, daß man die richtige Zusammenmischung der Speisen und dessen, was der Mensch genießt, trifft. Also auf die Lebensweise, nicht in bezug auf das Äußere, sondern in bezug auf das, was vom Menschen verdaut und verarbeitet werden soll, kommt es an, und darüber kann überhaupt niemals jemand auf Grund einer bloß materialistischen Wissenschaft etwas wissen. Da muß man sich klar sein, daß alles, was um uns herum ist in der weiten Welt als Makrokosmos, einen Bezug hat zu unserem komplizierten Inneren, zu dem Mikrokosmos, daß also ein jedes Nahrungsmittel, das gefunden werden kann, in einem bestimmten Zusammenhang steht mit dem, was in unserem Organismus ist. Es ist immer ein oberflächliches Urteil, wenn im Erkrankungsfalle die Diät eines Menschen bestimmt werden soll nach rein äußerlich gefundenen Gesetzen, die der Statistik oder der Chemie entnommen worden sind. [4]

Dann gibt es gewisse Krankheitsformen, welche zum Teil mehr chronischen, zum Teil mehr akuten Charakter annehmen, die aber jetzt zusammenhängen mit dem menschlichen Ätherleib und daher ihren Ausdruck finden in den menschlichen Drüsenorganen. Diese Krankheiten haben in der Regel gar nichts eigentlich mit dem zu tun, was man Vererbung nennt, dagegen haben sie viel zu tun mit dem Volkszusammenhang, mit dem Rassen- und Stammeszusammenhang. Diese Krankheiten hängen mit dem Volkscharakter zusammen und äußern sich daher ganz verschieden. [5]

Nun haben Sie vielleicht die Vorstellung bekommen: Ja, wenn man einen Menschen da oder dort hinschicken soll, dann kann man ihm in der Regel, wenn er an einen Beruf gefesselt ist und die Dinge nicht ausführen kann, nicht helfen. Da tritt in der Tat die psychische Methode in jedem Fall als wirksam ein. Was man psychische Methode (der Heilung) nennt, ist am allerwirksamsten, wenn man die Krankheit im eigentlichen Ich des Menschen zu suchen hat. Werden die psychischen Heilmittel in der richtigen Weise ausgeführt, dann können sie durch das, was auf das Ich wirkt, einen vollgültigen Ersatz bilden für das, was von außen auf den Menschen einströmt. Nun kann der Heiler, wenn er seine Methode richtig ausübt, das durch seinen persönlichen Einfluß nach und nach ersetzen, und die psychischen Methoden haben ihre stärkste Berechtigung bei dieser Form der Erkrankungen, und das ist aus dem Grunde schon nicht zu übergehen, weil der größte Teil der Krankheiten auf einer Unregelmäßigkeit des Ich-Teiles des Menschen beruht. [6]

Dann kommen wir zu den Krankheiten, die durch Unregelmäßigkeiten des astralischen Leibes entstehen. Da verlieren allerdings die bloß psychischen Methoden, trotzdem sie anwendbar sind, ihren großen Wert; daher sind auch diese Methoden, trotzdem sie anwendbar sind, die selteneren. Da tritt nun die diätetische Heilmethode ein. Erst bei den Krankheiten (die aus dem Ätherleibe stammen), ist es eigentlich berechtigt, mit den äußeren medizinischen Heilmitteln den Verlauf der Heilung zu unterstützen. Die Krankheiten die im physischen Leibe selber urständen, die sich auf den physischen Leib beziehen, und das sind die eigentlichen Infektionskrankheiten. Wenn wir diese vierte Krankheitsform betrachtet haben, haben wir immer noch nicht alle wesentlichen (Arten von) Krankheiten erschöpft. Das Karma ist noch ein fünftes, das in Betracht kommt.

Es wird sich uns nach und nach etwas enthüllen über die fünf verschiedenen Formen der Erkrankungen. Davon kann es erst abhängen, daß ein Heil eintritt in bezug auf die medizinische Denkweise, daß sich die ganze medizinische Denkweise durchdringt mit der Erkenntnis der höheren Glieder der menschlichen Natur. [7]

Wenn es uns gelänge, das Heilmittel so zu nehmen, daß der Mensch einfach physisch gesund würde, so müßte er noch in die tiefsten Tiefen seines seelischen Lebens zurückschieben dasjenige, was in seinem Schicksal liegt und weswegen er sich in die nicht-lichterfüllte Welt hineingesehnt hat. Und nur wenn es uns gelingt, auch das zu treffen, was sich in das Unterbewußte hinunterstellte, wenn wir den Menschen in die Lage setzen, zum Bewußtsein zu bringen, was er zu tun hat, nur wenn wir auf den ganzen Menschen nach Leib, Seele und Geist sehen können, nur dann können wir eine volle Wissenschaft auch des Medizinischen begründen. [8]

Zitate:

[1]  GA 171, Seite 143   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[2]  GA 27, Seite 23f   (Ausgabe 1984, 142 Seiten)
[3]  GA 107, Seite 104ff   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[4]  GA 107, Seite 106ff   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[5]  GA 107, Seite 108f   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[6]  GA 107, Seite 110f   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[7]  GA 107, Seite 111f   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[8]  GA 211, Seite 210   (Ausgabe 1986, 223 Seiten)

Quellen:

GA 27:  Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen. Von Dr. Rudolf Steiner und Dr. Ita Wegman (1925)
GA 107:  Geisteswissenschaftliche Menschenkunde (1908/1909)
GA 171:  Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts (1916)
GA 211:  Das Sonnenmysterium und das Mysterium von Tod und Auferstehung. Exoterisches und esoterisches Christentum (1922)