Eindrücke

Die meisten Eindrücke – eigentlich alle Eindrücke, die auf uns gemacht werden – sind von Gefühlen begleitet. Und die Gefühle drücken sich nicht nur an der bewußten Oberfläche des Lebens aus, sondern sie wirken tief hinein bis in den physischen Leib. Sie brauchen nur daran zu denken, wie ein Eindruck Sie erblassen läßt, ein anderer Sie erröten macht. Bis in die Umlagerung des Blutes wirken da die Eindrücke. Und nun gehen Sie über zu dem, was weder überhaupt nicht oder nur flüchtig zum Bewußtsein kommt – und es nicht bis zur Erinnerung bringt. Da zeigt uns die Geisteswissenschaft, daß solche Eindrücke keineswegs weniger von ähnlichen Erregungen begleitet sind als die bewußten. Wenn Sie einen Eindruck empfangen von der Außenwelt, der, wenn Sie ihn bewußt empfangen hätten, Sie erschreckt hätte, daß vielleicht Ihr Herz gepocht hätte, so bleibt derselbe Eindruck, wenn er nicht bewußt wird, doch nicht ohne Wirkung. Es tritt da sogar das Eigentümliche auf, daß ein Eindruck, der eine bewußte Vorstellung hervorruft, eine Art von Widerstand findet beim Hineinwirken in die tiefere menschliche Organisation; wenn aber der Eindruck auf uns einfach wirkt, ohne daß wir es zur bewußten Vorstellung bringen, dann hemmt ihn nichts, aber er ist deshalb nicht weniger wirksam. Es ist das menschliche Leben ein viel reicheres als das, was uns davon bewußt wird. Es gibt eine Zeit im menschlichen Leben, wo solche Eindrücke, die so lebendig auf die menschliche Organisation wirken und keine Erinnerungsfähigkeit haben, in besonders reichem Maße erlebt werden. In der ganzen Zeit von der Geburt bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Erinnerung beginnt, sind unzählige reiche Eindrücke auf den Menschen gemacht worden, welche alle im Menschen drinnensitzen und auch in dieser Zeit den Menschen verändert haben. Sie wirken ebenso wie die bewußten Eindrücke; aber ihnen steht, besonders wenn sie vergessen sind, nichts entgegen von dem, was sich sonst einordnet in das Seelenleben als bewußte Vorstellungen und dadurch gleichsam einen Damm bildet.

Nun kann sich herausstellen, daß solche Eindrücke der Kindheit – besonders wenn sie sich wiederholt haben – die ganze Lebensstimmung so beeinflussen, daß von einem gewissen Zeitpunkt an eine Gemütsverstimmung eintritt, die unerklärlich ist und die nur erklärlich wird, wenn man zurück geht und weiß, welche Eindrücke aus der früheren Zeit ihre Lichter oder Schatten hineinwerfen in das spätere Leben; denn die sind es, die jetzt in einer dauernden Gemütsverstimmung zum Ausdruck kommen. Wenn Affekte, Gefühle und Empfindungen besonders mitwirkend sind an den Eindrücken, die später vergessen werden, dann sind diese Affekte und Gefühlsergüsse ganz besonders wirksam in dem Hervortreiben solch ähnlicher Erlebnisse. [1]

Wenn wir also schon im gewöhnlichen Leben so stark berührt werden können durch gewisse Erlebnisse, besonders wenn es Gefühlseindrücke waren, daß sie eine Gemütsverstimmung bewirken können, so werden wir begreifen, daß die viel stärkeren Eindrücke des Kamalokalebens sich so eindrücken können, daß sie bei einer neuen Inkarnation bis tief in die Organisation des physischen Leibes hineinwirken. Da sehen Sie eine Steigerung einer Erscheinung, die Sie bei aufmerksamer Beobachtung schon im Leben zwischen Geburt und Tod finden können. Solche Vorstellungen, denen mit Bewußtsein kein Damm entgegengebracht wird, werden schon zu mehr Unregelmäßigkeiten in der Seele führen können: zu Neurasthenie, zu nervenkrankheitsartigen Erscheinungen, vielleicht auch zu Geisteskrankheiten. Alle diese Erscheinungen stellen sich uns dar wie ursächliche Zusammenhänge von früheren mit späteren Ereignissen und geben uns ein anschauliches Bild dafür. [2]

Zitate:

[1]  GA 120, Seite 70f   (Ausgabe 1975, 230 Seiten)
[2]  GA 120, Seite 72   (Ausgabe 1975, 230 Seiten)

Quellen:

GA 120:  Die Offenbarungen des Karma (1910)