Schilderung von Teilen der übersinnlichen Welt
► Träumen

Ein Zwischenzustand zwischen Wachen und Schlafen ist das Träumen. Was die Traumerlebnisse einer sinnigen Betrachtung darbieten, ist das bunte Durcheinanderwogen einer Bilderwelt, das aber doch auch etwas von Regel und Gesetz in sich birgt. Aufsteigen und Abfluten, oft in wirrer Folge, scheint zunächst diese Welt zu zeigen. Losgebunden ist der Mensch in seinem Traumleben von dem Gesetz des wachen Bewußtseins, das ihn kettet an die Wahrnehmung der Sinne und an die Regeln seiner Urteilskraft. Und doch hat der Traum etwas von geheimnisvollen Gesetzen, welche der menschlichen Ahnung reizvoll und anziehend sind und welche die tiefere Ursache davon sind, daß man das schöne Spiel der Phantasie, wie es künstlerischem Empfinden zugrunde liegt, immer gern mit dem Träumen vergleicht. Man braucht sich (ja) nur an einige kennzeichnende Träume zu erinnern, und man wird das bestätigt finden. Ein Mensch träumt zum Beispiel, daß er einen auf ihn losstüzenden Hund verjage. Er wacht auf und findet sich eben noch dabei, wie er unbewußt einen Teil der Bettdecke von sich abschiebt, die sich an eine ungewohnte Stelle seines Körpers gelegt hat und die ihm deshalb lästig geworden ist. Was macht da das Traumleben aus dem sinnlich wahrnehmbaren Vorgang? Was die Sinne im wachen Zustande wahrnehmen würden, läßt das Schlafleben zunächst völlig im Unbewußten liegen. Es hält aber etwas Wesentliches fest, nämlich die Tatsache, daß der Mensch etwas von sich abwehren will. Und um dieses herum spinnt es einen bildhaften Vorgang. Die Bilder als solche sind Nachklänge aus dem wachen Tagesleben. Die Art, wie sie diesem entnommen sind, hat etwas Willkürliches. Der Traum schafft Sinnbilder; er ist ein Symboliker. [1] Man sieht: sofort, wenn die Sinne ihre Tätigkeit einstellen, so macht sich für den Menschen ein Schöpferisches geltend. Es ist dasselbe Schöpferische, welches im vollen traumlosen Schlafe auch vorhanden ist und welches da jenen Seelenzustand darstellt, der als Gegensatz der wachen Seelenverfassung erscheint. Soll der traumlose Schlaf eintreten, so muß der Astralleib vom Ätherleib und vom physischen Leibe herausgezogen sein. Er ist während des Träumens vom physischen Leibe insofern getrennt, als er keinen Zusammenhang mehr hat mit dessen Sinnesorganen; er hält aber mit dem Ätherleibe noch einen gewissen Zusammenhang aufrecht. Daß die Vorgänge des Astralleibes in Bildern wahrgenommen werden können, das kommt von diesem seinem Zusammenhang mit dem Ätherleibe. In dem Augenblick, in dem auch dieser Zusammenhang aufhört, versinken die Bilder in das Dunkel der Bewußtlosigkeit, und der traumlose Schlaf ist da. Das Willkürliche und oft Widersinnige der Traumbilder rührt aber davon her, daß der Astralleib wegen seiner Trennung von den Sinnesorganen des physischen Leibes seine Bilder nicht auf die richtigen Gegenstände und Vorgänge der äußeren Umgebung beziehen kann. Besonders klärend ist für diesen Tatbestand die Betrachtung eines solchen Traumes, in dem sich das Ich gewissermaßen spaltet. Wenn jemand zum Beispiel träumt, er könne als Schüler eine ihm vom Lehrer vorgelegte Frage nicht beantworten, während sie gleich darauf der Lehrer selbst beantwortet. Weil der Träumende sich der Wahrnehmungsorgane seines physischen Leibes nicht bedienen kann, ist er nicht imstande, die beiden Vorgänge auf sich, als denselben Menschen, zu beziehen. Also auch um sich selbst als ein bleibendes Ich zu erkennen, gehört für den Menschen zunächst die Ausrüstung mit äußeren Wahrnehmungsorganen. Nur dann, wenn sich der Mensch die Fähigkeit erworben hätte, auf andere Art als durch solche Wahrnehmungsorgane sich seines Ich bewußt zu werden, wäre auch außer seinem physischen Leibe das bleibende Ich für ihn wahrnehmbar. Solche Fähigkeiten hat das übersinnliche Bewußtsein zu erwerben. [2]

Zitate:

[1]  GA 13, Seite 89f   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[2]  GA 13, Seite 91f   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)

Quellen:

GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)