Weltanschauung

Für den, der nicht darauf aus ist, alles, was er auf einem bestimmten engbegrenzten Gebiete zu beobachten, zu überdenken in der Lage war, zu einem Begriffssystem zusammenzuschmieden und dann die Beweise dafür zu suchen, sondern für den, der darauf aus ist, wirklich in die Wahrheit der Welt einzudringen, ist es wichtig zu wissen, daß diese Allseitigkeit notwendig ist, die sich darin ausspricht, daß dem menschlichen Geist wirklich 12 typische Weltanschauungsnuancen – auf die Übergänge dazwischen kommt es jetzt nicht an – möglich sind.

Will man wirklich zur Wahrheit kommen, dann muß man den Versuch machen, sich die Bedeutung dieser Weltanschauungsnuancen einmal klarzumachen, muß den Versuch machen, zu erkennen, auf welchen Gebieten des Daseins die eine oder die andere dieser Weltanschauungsnuancen den besseren Schlüssel bildet. [1]

Betrachten Sie nun einmal die Art und Weise, wie der Mensch zu einer Weltanschauung kommt. Wir bemühen uns zu zeigen, wie man zu einer geisteswissenschaftlichen Weltanschauung kommen soll in einer objektiven Weise. Aber so kommt man nicht immer zu einer geisteswissenschaftlichen, auch nicht zu einer materialistischen Weltanschauung, sondern weil man dazu gefühlsmäßig prädestiniert ist. Was logisch für eine Weltanschauung spricht, kommt erst in zweiter oder gar dritter Beziehung in Betracht. Gehen Sie zum Beispiel durch die Versammlungen der Kommunisten oder Materialisten und prüfen Sie, was sie vorbringen, um logisch ihre Weltanschauung zu fundieren, dann können Sie bemerken, daß nicht ihre Logik, sondern ihr Gefühl dafür prädestiniert ist. Und so ist es auch mit der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung. Vielleicht haben Sie die mystische Weltanschauung aus Ihrem Gefühl heraus, weil sie Ihnen mehr wohl tut als eine materialistische Weltanschauung. Der Gefühls-, der Affektfaktor spielt da eine ungeheure Rolle. Ebenso ist es auch mit dem Haß gegenüber der Außenwelt. Das Haßbedürfnis ist in ihm und das Objekt ergibt sich einem dann von selbst. Er muß hassen, wie man zu bestimmten Zeiten essen muß. [2] Und wenn man von «ehrlichen» Gegnern des Spiritualismus spricht, so muß man unter ihnen eigentlich in erster Linie die theoretischen Materialisten ins Auge fassen, denn diejenigen Menschen, welche von vornherein, ich möchte sagen «gewerbsmäßig» diese oder jene Weltanschauung vertreten zu müssen glauben, brauchen ja nicht immer mit dem Prädikat «ehrliche» Vertreter einer Weltanschauung bezeichnet zu werden. [3]

Es ist nun in der wirklichen Welt des menschlichen Forschungsstrebens nach der Wahrheit leider so, daß bei den einzelnen Geistern, bei den einzelnen Persönlichkeiten immer die Hinneigung zu der einen oder der anderen dieser Weltanschauungsnuancen überwiegt und daß dadurch die Einseitigkeiten in den verschiedenen Weltanschauungen der verschiedenen Epochen auf die Menschen wieder wirken. Was ich so als die zwölf Hauptweltanschauungen hingestellt habe –

Materialismus Sensualismus Phänomenalismus
Realismus Dynamismus Monadismus
Spiritualismus Pneumatismus Psychismus
Idealismus Rationalismus Mathematizismus

das muß man kennen als etwas, was man wirklich so überschaut, daß man gleichsam immer die eine Weltanschauung neben die andere so kreisförmig hinstellt und sie als ruhend betrachtet. Sie sind möglich; man muß sie kennen. Sie verhalten sich wirklich so, daß sie ein geistiges Abbild des uns ja wohlbekannten Tierkreises sind. Wie den Tierkreis scheinbar die Sonne durchläuft und wie die anderen Planeten scheinbar den Tierkreis durchlaufen, so ist es der menschlichen Seele möglich, einen Geisteskreis zu durchlaufen, welcher 12 Weltanschauungsbilder enthält. Ja man kann sogar die Eigentümlichkeiten dieser Weltanschauungsbilder in Zusammenhang bringen mit den einzelnen Zeichen des Tierkreises. Und zwar ist dieses In-Beziehung bringen gar nichts Willkürliches, sondern es besteht wirklich ein ähnliches Verhältnis zwischen den einzelnen Tierkreisbildern und der Erde wie zwischen diesen 12 Weltanschauungen und der menschlichen Seele. Man ist nicht Sensualist, Materialist, Spritualist oder Pneumatiker, weil die eine oder die andere Anschauung richtig ist und man die Richtigkeit der einen oder der anderen Anschauung einsehen kann, sondern man ist Pneumatiker, Spiritualist, Materialist oder Sensualist, weil man in seiner Seele so veranlagt ist, daß man von dem betreffenden Geistes-Tierkreisbilde geistig-seelisch beschienen wird. So haben wir in diesen 12 Geistes-Tierkreisbildern etwas, was uns tief hineinführen kann in die Art, wie menschliche Weltanschauungen entstehen, und was uns tief hineinführen kann in die Gründe, warum die Menschen auf der einen Seite sich streiten über Weltanschauungen, auf der anderen Seite aber sich nicht streiten sollten, sondern viel lieber einsehen sollten, wodurch es kommt, daß die Menschen verschiedene Weltanschauungsnuancen haben. [4]

Es kann Menschen geben, welche einmal so veranlagt sind, daß es ihnen unmöglich ist, den Weg zum Geiste zu finden. Es wird schwer werden, solchen Menschen das Geistige jemals zu beweisen. Sie bleiben bei dem stehen, wovon sie etwas wissen, wovon etwas zu wissen sie veranlagt sind. Sie bleiben, sagen wir, bei dem stehen, was den grobklotzigsten Eindruck auf sie macht, beim Materiellen. Ein solcher Mensch ist ein Materialist und seine Weltanschauung ist Materialismus. Man hat nicht nötig, das, was von den Materialisten zur Verteidigung, zum Beweise des Materialismus aufgebracht worden ist, immer töricht zu finden, denn es ist ungeheuer viel Scharfsinniges auf diesem Gebiete geschrieben worden. Was geschrieben worden ist, das gilt zunächst für das materielle Gebiet des Lebens, gilt für die Welt des Materiellen und ihre Gesetze.

Andere Menschen kann es geben, die sind durch eine gewisse Innerlichkeit von vornherein dazu veranlagt, in allem Materiellen nur die Offenbarung des Geistigen zu sehen. Wir würden von solchen Menschen sagen müssen: Sie erkennen voll an, was allerdings das Realste ist, den Geist; aber sie sind einseitig, sie leugnen die Bedeutung des Materiellen und seiner Gesetze. Viel Scharfsinn wird sich aufbringen lassen, um die Weltanschauung solcher Menschen zu vertreten. Nennen wir die Weltanschauung solcher Menschen Spiritualismus. Kann man sagen, daß die Spiritualisten recht haben? Für den Geist werden ihre Behauptungen außerordentlich Richtiges zutage fördern können, doch über das Materielle und seine Gesetze werden sie vielleicht wenig Bedeutsames zutage fördern können. Kann man sagen, daß die Materialisten mit ihren Behauptungen recht haben? Ja, über die Materie und ihre Gesetze werden sie vielleicht außerordentlich Nützliches und Wertvolles zutage fördern können; wenn sie aber über den Geist sprechen, dann werden sie vielleicht nur Torheiten herausbringen. Wir müssen also sagen: Für ihre Gebiete haben die Bekenner dieser Weltanschauungen recht.

Es kann Menschen geben, die sagen: Ja, ob es nun in der Welt der Wahrheit nur Materie oder nur Geist gibt, darüber kann ich nichts Besonderes wissen; darauf kann sich das menschliche Erkenntnisvermögen überhaupt nicht beziehen. Klar ist nur das eine, daß eine Welt um uns ist, die sich ausbreitet. Solche Menschen kann man Realisten nennen. Es kann aber noch andere Menschen geben, die etwa folgendes sagen: Um uns herum ist die Materie und die Welt der materiellen Erscheinungen. Aber die Welt der materiellen Erscheinungen ist in sich sinnleer. Sie hat keinen rechten Sinn, wenn nicht in ihr die Tendenz liegt, die sich eben bewegt nach vorwärts, wenn nicht aus dieser Welt, die da um uns herum ausgebreitet ist, das geboren werden kann, wonach die Menschenseele sich richten kann als nicht in der Welt enthalten, die um uns herum ausgebreitet ist. Es muß nach der Anschauung solcher Menschen das Ideelle und das Ideale im Weltprozesse drinnen sein. Solche Menschen geben den realen Weltprozessen ihr Recht. Sie sind nicht Realisten, trotzdem sie dem realen Leben recht geben, sondern sie sind der Anschauung, das reale Leben muß durchtränkt werden von dem Ideellen, nur dann bekommt es einen Sinn.

Die Vertreter solcher Weltanschauung, die alles nur Mittel sein läßt für Ideen, die den Weltprozeß durchdringen, kann man Idealisten nennen und ihre Weltanschauung Idealismus. Schönes und Großes und Herrliches ist für diesen Idealismus vorgebracht worden. Und auf dem Gebiete, das ich eben charakterisiert habe, wo es darauf ankommt, zu zeigen, wie die Welt zweck- und sinnlos wäre, wenn die Ideen nur menschliche Phantasiegebilde wären und nicht im Weltprozesse drinnen wirklich begründet wären, auf diesem Gebiete hat der Idealismus seine volle Bedeutung. Aber mit diesem Idealismus kann man zum Beispiel die äußere Wirklichkeit, die äußere Realität des Realisten nicht erklären. [5]

Wir haben jetzt schon vier nebeneinander berechtigte Weltanschauungen, von denen jede ihre Bedeutung hat für ihr besonderes Gebiet. Zwischen dem Materialismus und dem Idealismus ist ein gewisser Übergang. Man kann vom Materialisten zum Rechenknecht des Universums werden, indem man nichts anderes gelten läßt als die Welt, angefüllt mit materiellen Atomen. Sie stoßen sich, wirbeln durcheinander, und man rechnet dann aus, wie die Atome durcheinanderwirbeln. Da bekommt man sehr schöne Resultate heraus, was bezeugen mag, daß diese Weltanschauung ihre volle Berechtigung hat. So bekommt man zum Beispiel die Schwingungszahlen für Blau, für Rot und so weiter; man bekommt die ganze Welt wie eine Art von mechanischem Apparat und kann diesen fein berechnen. Das ergibt eine Weltanschauung, die eigentlich nichts gelten läßt, als die mathematische Formel. Man kann sie Mathematizismus nennen. Es kann sich aber einer nun überlegen und dann, nachdem er Mathematizist gewesen ist, sich sagen: Das kann kein Aberglaube sein, daß die blaue Farbe so und so viele Schwingungen hat. Mathematisch ist nun einmal doch die Welt angeordnet.

Warum sollen, wenn mathematische Ideen in der Welt verwirklicht sind, nicht auch andere Ideen in der Welt verwirklicht sein? Ein solcher nimmt an: es leben doch Ideen in der Welt. Aber er läßt nur diejenigen Ideen gelten, die er findet, nicht solche Ideen, die er von innen heraus etwa durch irgendeine Intuition oder Inspiration erfassen würde, sondern nur die, welche er von den äußerlich sinnlich-realen Dingen abliest. Ein solcher Mensch wird Rationalist, und seine Weltanschauung ist Rationalismus. – Läßt man zu den Ideen, die man findet, auch noch diejenigen gelten, die man aus dem Moralischen, aus dem Intellektuellen heraus gewinnt, dann ist man schon Idealist. So geht ein Weg von dem grobklotzigen Materialismus über den Mathematizismus und Rationalismus zum Idealismus. [6]

Der Idealismus kann aber nun gesteigert werden. In unserer Zeit finden sich einige Menschen, welche den Idealismus zu steigern versuchen. Wenn man Ideen findet, dann muß auch solche Wesensart in der Welt vorhanden sein, in der Ideen leben können. Wer da einsieht, daß Ideen, wenn sie überhaupt da sein sollen, an ein Wesen gebunden sind, das Ideen eben haben kann, der wird nicht mehr bloßer Idealist sein, sondern er schreitet vor zu der Annahme, daß die Ideen an Wesen gebunden sind. Er wird Psychist, und seine Weltanschauung ist Psychismus.

Der Psychist, der wieder ungeheuer viel Scharfsinn für seine Weltanschauung aufbringen kann, kommt zu dieser Weltanschauung auch nur durch eine Einseitigkeit, die er eventuell bemerken kann. Ich muß hier gleich einfügen: Für alle die Weltanschauungen, die ich über den horizontalen Strich (Idealismus – Realismus) schreiben werde, gibt es Anhänger, und diese Anhänger sind zumeist Starrköpfe, die diese oder jene Weltanschauung durch irgendwelche Grundbedingungen, die sie in sich haben, nehmen und dabei stehenbleiben. Alles, was unter diesem Strich liegt, hat Bekenner, die leichter zugänglich sind der Erkenntnis, daß die einzelnen Weltanschauungen immer nur von einem bestimmten Gesichtspunkte aus die Dinge ansehen, und die daher leichter dazu kommen, von der einen in die andere Weltanschauung überzugehen. [7]

Wenn jemand Psychist ist und geneigt, weil er Erkenntnismensch ist, die Welt kontemplativ zu betrachten, so kommt er dazu, sich zu sagen, er muß in der Welt Psychisches voraussetzen. In dem Augenblicke aber, wo er nicht nur Erkenntnismensch ist, sondern wo er in ebensolcher Weise eine Sympathie für das Aktive, für das Tätige, für das Willensartige in der Menschennatur hat, da sagt er sich: Es genügt nicht, daß Wesen da sind, die nur Ideen haben können; diese Wesen müssen auch etwas Aktives haben, müssen auch handeln können. Das ist aber nicht zu denken, ohne daß diese Wesen individuelle Wesen sind. Das heißt, ein solcher steigt auf von der Annahme der Beseeltheit der Welt zu der Annahme des Geistes oder der Geister in der Welt. Er ist sich noch nicht klar, ob er einen oder mehrere Geistwesen annehmen soll, aber er steigt auf vom Psychismus zum Pneumatismus, zur Geistlehre.

Weltanschauungsbilder

Ist einer in Wirklichkeit Pneumatist geworden, so kann es durchaus vorkommen, daß er das einsieht, was ich über die Zahl gesagt habe, daß es in bezug auf die Zahlen in der Tat etwas Bedenkliches hat, von einer Einheit zu sprechen. Dann kommt er dazu, sich zu sagen: Dann wird es also eine Verworrenheit sein, von einem einheitlichen Geist, von einem einheitlichen Pneuma zu reden. Und er kommt dann allmählich dazu, von den Geistern der verschiedenen Hierarchien sich eine Vorstellung bilden zu können. Er wird dann im echten Sinne Spiritualist, so daß also auf dieser Seite ein unmittelbarer Übergang vom Pneumatismus zum Spiritualismus ist. Alles, was ich auf die Tafel geschrieben habe, sind Weltanschauungen, die für ihre Gebiete ihre Berechtigung haben. Denn es gibt Gebiete, für die der Psychismus erklärend wirkt, es gibt Gebiete, für die der Pneumatismus erklärend wirkt. Will man allerdings so gründlich mit der Welterklärung zu Rate gehen, wie wir es versucht haben, dann muß man zum Spiritualismus kommen, zu der Annahme der Geister der Hierarchien.

Nun gibt es noch eine andere Möglichkeit, die, daß jemand nicht auf den Wegen, die wir (in der Geisteswissenschaft) zu gehen versucht haben, zu dem Wirken geistiger Wesenheiten kommt, daß er aber doch zu der Annahme gewisser geistiger Grundwesen der Welt kommt. Ein solcher Mensch war zum Beispiel Leibniz. Er war der Anschauung, daß es ein Wesen gibt, das in sich die Existenz erbilden kann, wie zum Beispiel die Menschenseele. Aber er machte sich nicht weiter Begriffe darüber. Das ist für Leibniz eine Monade. Und er sagte sich: Es muß viele Monaden geben und Monaden von der verschiedensten Klarheit. Es gibt Monaden, die träumen, es gibt Monaden, die wache Vorstellungen in sich entwickeln, kurz, Monaden der verschiedensten Grade. – Ein solcher Mensch kommt nicht dazu, sich das Konkrete der einzelnen geistigen Wesenheiten so vorzustellen wie der Spiritualist; aber er reflektiert in der Welt auf das Geistige, das er nur unbestimmt sein läßt. Er nennt es Monade. Der Monadismus ist ein abstrakter Spiritualismus. [8]

Es kann aber Menschen geben, die sich nicht bis zur Monade erheben, die nicht zugeben können, daß dasjenige, was existiert, Wesen sind von verschiedenem Grade des Vorstellungsvermögens, die aber auch nicht etwa damit zufrieden sind, daß sie nur zugeben, was sich in der äußeren Realität ausbreitet, sondern sie lassen das, was sich in der äußeren Realität ausbreitet, überall von Kräften beherrscht sein. Man kann eine solche Weltanschauung bilden, die überall die Kräfte zu dem sucht, was in der Welt vorgeht, und kann sie Dynamismus nennen. Dann kann man auch sagen: Nein, an Kräfte zu glauben, das ist Aberglaube! Ein Beispiel dafür, wie einer ausführlicher darstellt, wie an Kräfte zu glauben Aberglaube ist, haben Sie in Fritz Mauthners «Kritik der Sprache». In diesem Falle bleibt man bei dem stehen, was sich real um uns herum ausbreitet. Wir kommen also auf diesem Wege vom Spiritualismus über den Monadismus und Dynamismus wiederum zum Realismus.

Nun kann man aber auch noch etwas anderes machen. Man kann sagen : Gewiß, ich halte mich an die Welt, die mich ringsherum umgibt. Aber ich behaupte nicht, daß ich ein Recht habe zu sagen, diese Welt sei die wirkliche. Ich weiß nur von ihr zu sagen, daß sie mir erscheint. Ich habe kein Recht, von ihr mehr zu sagen. Sie ist die Welt der Phänomene. Phänomenalismus ist die Weltanschauung, um die es sich hier handeln würde. [9]

Man kann aber weiter gehen und kann sagen: Die Welt der Phänomene haben wir zwar um uns herum. Aber alles, was wir in diesen Phänomenen zu haben glauben so, daß wir es selber hinzugegeben haben, daß wir es selber hinzugedacht haben – das haben wir eben hinzugedacht zu den Phänomenen. Berechtigt ist aber nur das, was uns die Sinne sagen. Diese Weltanschauung kann man Sensualismus nennen. Greift man dazu, zu sagen: Mögt ihr nachdenken darüber, daß das (was) die Sinne sagen, und mögt ihr noch so scharfsinnige Gründe dafür anführen – ich stelle mich auf den Standpunkt, es gibt nur das, was so aussieht wie das, was die Sinne sagen; das lasse ich als Materielles gelten, dann ist man wieder Materialist. Wir sind also auf dem anderen Wege wieder beim Materialismus angekommen.

Was ich Ihnen hier als Weltanschauung aufgeschrieben und charakterisiert habe, das gibt es, das kann verteidigt werden. Und es ist möglich, für jede einzelne der Weltanschauungen die scharfsinnigsten Gründe vorzubringen, es ist möglich, sich auf den Standpunkt jeder dieser Weltanschauungen zu stellen und mit scharfsinnigsten Gründen die anderen Weltanschauungen zu widerlegen. Man kann zwischen diesen Weltanschauungen noch andere ausdenken; die sind aber nur gradweise von den angeführten verschieden und lassen sich auf die Haupttypen zurückführen. Will man das Gewebe der Welt kennenlernen, dann muß man wissen, daß man es durch diese 12 Eingangstore kennenlernt. Es gibt nicht eine Weltanschauung, die sich verteidigen läßt, die berechtigt ist, sondern es gibt 12 Weltanschauungen. Man muß in der Lage sein, um die Welt herumgehen zu können und sich einleben zu können in die zwölf verschiedenen Standpunkte, von denen man aus die Welt betrachten kann. Denkerisch sind alle 12 verschiedenen Standpunkte voll berechtigt. [10] Will man wirklich zur Wahrheit kommen, dann muß man den Versuch machen, sich die Bedeutung dieser Weltanschauungsnuancen einmal klarzumachen, muß den Versuch machen, zu erkennen, auf welchen Gebieten des Daseins die eine oder die andere dieser Weltanschauungsnuancen den besseren Schlüssel bildet. [11]

Was ich bis jetzt gesagt habe, bezieht sich also auf die Ausformung des menschlichen Gedankens durch den geistigen Kosmos der gleichsam in unserem geistigen Umkreise ruhenden 12 Geistes-Tierkreisbilder. Aber es gibt noch etwas anderes, was die menschliche Weltanschauung bestimmt. Man kann in seiner Seele so gestimmt sein, gleichgültig jetzt sogar, von welchem dieser 12 Geistes-Tierkreisbilder man in der Seele beschienen ist, daß man diese Stimmung der Seele zum Ausdruck bringt, bezeichnen kann als Gnosis. Man ist ein Gnostiker, wenn man daraufhin gestimmt ist, durch gewisse in der Seele selbst liegenden Erkenntniskräfte, nicht durch die Sinne oder dergleichen, die Dinge der Welt kennenzulernen. Man kann ein Gnostiker sein und zum Beispiel eine gewisse Neigung haben, sich bescheinen zu lassen von dem Geistes-Tierkreisbilde, das wir hier als Spiritualismus bezeichnet haben. Dann wird man in seiner Gnostik tief hineinleuchten können in die Zusammenhänge der geistigen Welten. Man kann aber auch zum Beispiel ein Gnostiker des Idealismus sein; dann wird man eine besondere Veranlagung haben, die Ideale der Menschheit und die Ideen der Welt klar zu sehen. Es gibt auch Gnostiker des Materialismus. Es sind das Menschen, die nur Sinn und Gefühl und Empfinden haben für das Stoffliche, die das Stoffliche durch die unmittelbare Berührung kennenzulernen suchen, wie der Hund, der die Stoffe beriecht und dadurch intim kennenlernt, und der eigentlich in bezug auf die materiellen Dinge ein ausgezeichneter Gnostiker ist. Man kann Gnostiker sein für alle 12 Weltanschauungsbilder. Die Gnosis kann herumwandeln durch alle 12 Weltanschauungsbilder. Wie ein Planet die 12 Tierkreisbilder durchwandelt, so kann die Gnosis alle 12 Weltanschauungsbilder durchwandeln. Allerdings wird die Gnosis die Größten Dienste für das Heil der Seelen dann leisten, wenn die gnostische Stimmung angewendet wird für den Spiritualismus. Man könnte sagen: Die Gnosis ist im Spiritualismus in «ihrem» Haus. [12]

Die Weltanschauungsstimmung des Logismus besteht vorzugsweise darin, daß sich die Seele in die Lage versetzen kann, wirkliche Gedanken, Begriffe und Ideen in sich gegenwärtig zu machen, diese Gedanken und Ideen so in sich gegenwärtig zu haben, daß eine solche Seele von einem Begriffe oder einem Gedanken zu dem anderen so kommt, wie man, wenn man einen menschlichen Organismus ansieht, von dem Auge zur Nase und zum Mund kommt, und alles dieses als zusammengehörig betrachtet, wie es (beispielsweise) bei Hegel ist, wo alle Begriffe, die er fassen kann, sich zu einem großen Begriffsorganismus zusammenordnen. Man kann den Logismus ausbilden so wie Hegel, im Sternbilde des Idealismus, kann ihn ausbilden so wie Fichte, im Sternbilde des Psychismus, und man kann ihn in anderen Geistes-Sternbildern ausbilden. [13]

Eine dritte Stimmung der Seele, die Weltanschauungen macht, können wir zum Beispiel bei Schopenhauer studieren. Schopenhauer faßt durch die besondere Stimmung seiner Seele alles das in der Seele auf, was willensartig ist. Schopenhauer war Voluntarist im Geistes-Sternbilde des Psychismus. Nehmen Sie einmal an, es würde jemand Voluntarist sein und besonders hinneigen zu dem Geistes-Sternbilde des Monadismus, dann würde er nicht wie Schopenhauer so eine Einheitsseele, die eigentlich Wille ist, der Welt zugrunde legen, sondern er würde viele Monaden, die aber Willenswesen sind, der Welt zugrunde legen. Diese Welt des monadologischen Voluntarismus hat in schönster, scharfsinnigster und, ich möchte sagen, innigster Weise der österreichische Dichterphilosoph Hamerling ausgebildet – die Atomistik des Willens. [14]

Man bemüht sich nicht, einen besonderen Zusammenhang hinter den Erscheinungen zu suchen, sondern man läßt die Dinge an sich herankommen und wartet, was sich einem darbietet. Solche Seelenstimmung kann man Empirismus nennen. Durch alle 12 Geistes-Sternbilder hindurch kann man Empirist sein, Erfahrungsweltanschauungs-Mensch.

Ebenso kann man für die Weltanschauung eine solche Seelenstimmung entwickeln, welche sich nicht zufrieden gibt mit demjenigen, was die Erfahrung, die einem so entgegentritt, was das Erleben, dem man ausgesetzt ist, ergibt, wie das beim Empirismus der Fall ist; sondern man kann sich sagen, das heißt, man kann als eine innere Notwendigkeit durchfühlen die Seelenstimmung: Der Mensch ist in die Welt hereingestellt; in seiner eigenen Seele erlebt er etwas über die Welt, was er äußerlich nicht erleben kann. Da erst enthüllt die Welt ihre Geheimnisse. Diese Seelenstimmung kann genannt werden die Mystik. Mystiker kann man wieder durch alle 12 Geistes-Sternbilder hindurch sein. Und Mystiker des Materialismus sein, ist eine Vorbedingung für die Untersuchung der einzelnen Stoffe hinsichtlich ihrer Heilkraft. Man merkt, was die Stoffe tun im Organismus. Mystiker des Idealismus ist der, welcher vor allen Dingen in der eigenen Seele die Möglichkeit hat, aus im Inneren verborgenen Quellen heraufzuholen die Ideale der Menschheit, sie als inneres Göttliches zu empfinden und als solches sich vor die Seele zu stellen. Ein Mystiker des Idealismus ist zum Beispiel der Meister Eckhart. Nun kann die Seele so gestimmt sein, daß sie nicht das gewahr werden kann, was in ihrem Inneren aufsteigt und was sich wie die eigentliche innere Lösung der Weltenrätsel ausnimmt, sondern eine Seele kann so gestimmt sein, daß sie sich sagt: Ja, in der Welt ist irgend etwas hinter allen Dingen, wie hinter meiner eigenen Wesenheit, soweit ich diese Wesenheit wahrnehme. Aber ich kann kein Mystiker sein. Der Mystiker glaubt das fließt herein in seine Seele. Ich fühle es nicht in meine Seele hereinfließen; ich fühle nur, daß es da sein muß, draußen. – Man setzt in dieser Seelenstimmung voraus, daß außer unserer Seele und außer dem, was unsere Seele erfahren kann, das Wesen der Dinge steckt; aber man setzt nicht voraus, daß dieses Wesen der Dinge in die Seele selber hereinkommen kann, wie der Mystiker es voraussetzt. Wenn man voraussetzt, daß hinter allem noch etwas ist, das man nicht erreichen kann in der Wahrnehmung, dann ist man Transzendentalist. [15]

Es kann nun der Mensch mit seinen Wahrnehmungen, mit alledem, was seine Erkenntniskräfte sind, gleichsam noch mehr das Wesen der Dinge abschieben, als es der Transzendentalist tut. Man kann sagen: Für die menschliche äußere Erkenntniskraft ist das Wesen der Dinge überhaupt nicht erreichbar. Diese Welt ist Maya, und man muß auf eine andere Weise als durch das äußere Wahrnehmen der Sinne und die gewöhnlichen Erkenntnismittel das Innere der Dinge suchen, Okkultismus ist das, die Seelenstimmung des Okkultismus. Man kann wiederum durch alle Geistes-Tierkreiszeichen hindurch Okkultist sein. Man kann durchaus Okkultist auch sogar des Materialismus sein. Ja, die vernünftigen Naturforscher der Gegenwart sind alle Okkultisten des Materialismus, denn sie reden von Atomen. Das Atom bleibt im Okkulten. Sie lieben es nur nicht, Okkultisten genannt zu werden, aber sie sind es im vollsten Sinne des Wortes.

Andere Weltanschauungsstimmungen als diese 7, die ich hier aufgezeichnet habe, kann es im wesentlichen nicht geben, nur Übergänge von der einen zur anderen. Man kann also jede dieser 7 Weltanschauungsstimmungen besonders ausbilden. Was ich hier aufgezeichnet habe, das ist tatsächlich auf dem Gebiete des Geistigen das Korrelat desjenigen, was äußerlich in der Welt das Verhältnis zwischen den Tierkreisbildern und den Planeten ist. Und richtig wird man dieses Bild empfinden, wenn man es in der folgenden Weise empfindet. Man beginne beim Idealismus, bezeichnet diesen als das Geistes-Tierkreisbild des Widders, bezeichne in der gleichen Weise den Rationalismus als Stier, den Mathematizismus als Zwillinge, den Materialismus als Krebs, den Sensualismus als Löwe, den Phänomenalismus als Jungfrau, den Realismus als Waage, den Dynamismus als Skorpion, den Monadismus als Schütze, den Spiritualismus als Steinbock, den Pneumatismus als Wassermann, den Psychismus als Fische. Die Beziehungen, die zwischen den einzelnen Tierkreisbilder in bezug auf das äußere Räumlich-Materielle bestehen, sind tatsächlich auf dem Gebiete des Geistes zwischen diesen Weltanschauungen vorhanden. Und was die einzelnen von uns bezeichneten Planeten bei ihrem Kreisen längs des Tierkreises für Verhältnisse eingehen, das entspricht den Verhältnissen, welche die 7 Weltanschauungsstimmungen eingehen, aber so, daß wir empfinden können die Gnosis als Saturn, den Logismus als Jupiter, den Voluntarismus als Mars, den Empirismus als Sonne, die Mystik als Venus, den Transzendentalismus als Merkur und den Okkultismus als Mond. Bis auf die äußeren Bilder – aber das ist nicht die Hauptsache; die Hauptsache ist tatsächlich, daß die tiefinnersten Beziehungen dieser Parallelisierung entsprechen –, aber selbst bis auf die äußeren Bilder werden Sie, wo etwas so zu konstatieren ist, etwas ähnliches finden. Der Mond bleibt okkult, unsichtbar, wenn er Neumond ist; er muß erst das Licht von der Sonne herangeführt bekommen, gerade wie die okkulten Dinge okkult bleiben, bis sich das Seelenvermögen durch die Meditation, Konzentration und so weiter erhebt und die okkulten Dinge beleuchtet. Der Mensch, der durch die Welt geht und sich nur auf die Sonne verläßt, der nur aufnimmt, was die Sonne bescheint, ist Empirist. [16]

Man müßte ja wirklich, wenn man es mit der Wahrheit ernst nimmt, sich die 12 Weltanschauungsnuancen in der Seele repräsentieren können, und man müßte in sich etwas von diesem erlebt haben: Wie erlebt es sich als Gnostiker? Wie erlebt es sich als Logiker, wie als Voluntarist, wie als Empirist, wie als Mystiker, wie als Transzendentalist? Und wie erlebt es sich als Okkultist? Probeweise muß ja das im Grunde genommen jeder durchmachen, der wirklich in die Geheimnisse der Welt im Sinne der geistigen Forschung eindringen will. Besonders günstig liegt es, wenn ein Mensch die verschiedenen Seelenstimmungen wirklich so übungsweise erlebt hat, daß er sie sich vergegenwärtigen kann, sie gleichsam in ihrer Wirkung auf einmal empfinden kann und dann alle diese Stimmungen – wie auf einmal – in das eine Sternbild des Phänomenalismus stellt, in die Jungfrau. Da tritt wirklich für seine Erscheinungen wie in Phänomenen vor ihm mit einer ganz besonderen Grandiosität das auf, was ihm in einer günstigen Weise die Welt enthüllen kann. Wenn man in derselben Weise hintereinander die einzelnen Weltanschau-ungsstimmungen stellt inbezug auf ein anderes Sternbild, so ist das nicht so gut zunächst. Daher hat man in vielen alten Mysterienschulen gerade diese Stimmung, die ich jetzt dadurch bezeichnet habe, daß gleichsam alle Seelenplaneten in dem Geistes-Sternbilde der Jungfrau stehen, für die Schüler herbeigeführt, weil diese dadurch am leichtesten eingedrungen sind in die Welt. Sie haben die Phänomene aufgefaßt, aber gnostisch, logisch und so weiter aufgefaßt; sie waren in der Lage, hinter die Phänomene zu kommen. Sie haben die Welt nicht grobklotzig empfunden. Das würde nur dann sein, wenn die Seelenstimmung des Voluntarismus auf den Skorpion (Dynamismus) eingestellt ist.

Kurz, durch die Konstellation, die gegeben ist durch die Seelen-Weltanschauungsstimmungen, die das planetarische Element sind, und durch die Weltanschauungsnuancen, die das Element des Geistes-Tierkreises sind, wird das hervorgerufen, was der Mensch als seine Weltanschauung durch die Welt trägt in irgendeiner Inkarnation. Es kommt allerdings noch eines dazu. Das ist, daß diese Weltanschauungen es sind ihrer schon sehr viele Nuancen, wenn Sie sich alle Kombinationen suchen – noch dazu modifiziert werden, daß die alle einen ganz bestimmten Ton erhalten können. Aber auf diesem Gebiete des Tones haben wir nur dreierlei zu unterscheiden. Sie können sein theistisch, so daß ich das, was in der Seele als Ton auftritt, zu benennen habe mit Theismus. Er entsteht, wenn der Mensch sich an alles Äußere hält, um seinen Gott zu finden, wenn er seinen Gott im Äußeren sucht. Der althebräische Monotheismus war vorzugsweise eine theistische Weltanschauung. Intuitismus entsteht, wenn der Mensch seine Weltanschauung vorzugsweise durch das sucht, was intuitiv in seinem Inneren aufleuchtet. Es gibt zu diesen beiden noch einen dritten Ton; das ist der Naturalismus. Diese drei Seelentöne haben auch ein Abbild in der äußeren Welt des Kosmos, und zwar verhalten sie sich nun in der menschlichen Seele genauso wie Sonne, Mond und Erde, so daß der Theismus der Sonne entspricht – jetzt Sonne als Fixstern, nicht als Planet aufgefaßt –, daß der Intuitismus dem Monde entspricht und der Naturalismus der Erde. [17] Endlich gibt es noch ein Viertes; das ist allerdings nur in einem einzigen Element vorhanden. Wenn der Mensch sich gewissermaßen in bezug auf alle Weltanschauung ganz nur an das hält, was er an oder um oder in sich selbst erfahren kann: das ist Anthropomorphismus. Er entspricht der Erde, wenn man diese als solche betrachtet, abgesehen davon, ob sie von der Sonne, vom Mond oder anderem umgeben ist. Wie wir die Erde für sich allein betrachten können, so können wir auch in bezug auf Weltanschauungen auf nichts Rücksicht nehmen als auf das, was wir als Menschen in uns finden können. Dann wird der in der Welt so verbreitete Anthropomorphismus entstehen. [18]

In diejenige Hirnhälfte, die der Anatom findet, von der man ja sagen kann, daß sie die Halbkugelförmige ist, in sie wirken herein vorzugsweise diejenigen Wirkungen des Geisteskosmos, die von den oberen Nuancen ausgehen. Dagegen gibt es einen unsichtbaren Teil des Gehirns, der nur, wenn man den Ätherleib betrachtet, sichtbar ist; der ist vorzugsweise von dem unteren Teil des Geisteskosmos beeinflußt. Aber wie ist diese Beeinflussung? Sagen wir, bei jemandem ist es so, daß er mit seinem Logismus eingestellt ist in den Sensualismus, daß er eingestellt ist mit seinem Empirismus in den Mathematizismus. Dann gibt das, was auf diese Weise zustande kommt, Kräfte, die in sein Gehirn hereinwirken, und jener obere Teil seines Gehirns ist dann besonders regsam und übertönt die anderen. Unzählige Nuancen von Gehirntätigkeiten kommen dadurch zustande, daß das Gehirn gleichsam im geistigen Kosmos schwimmt und die Kräfte auf diese Weise ins Gehirn hereinwirken. So mannigfaltig sind wirklich die menschlichen Gehirne, als sie mannigfaltig sein können nach den Kombinationen, die sich aus diesem geistigen Kosmos ergeben. Was in jenem unteren Teile des geistigen Kosmos ist, das wirkt gar nicht einmal auf das physische Gehirn, sondern auf das Äthergehirn. [19]

Ich bemerke ausdrücklich, damit kein Mißverständnis entsteht, daß diese Konstellationen zwar viel bedeutungsvoller noch im Leben des Menschen bestehen als die Konstellationen des äußeren Horoskopes, daß sie aber nicht etwa zusammenfallen mit der «Nativität», dem äußeren Horoskop. Denn es ist so, daß der verstärkte Einfluß, der dadurch auf eine Menschenseele ausgeübt wird, daß Mystik im Zeichen des Idealismus steht, daß dieser Einfluß auf denjenigen günstigen Zeitpunkt wartet, in dem er die Seele ergreifen kann, damit sie das, was durch das Stehen der Mystik im Zeichen des Idealismus herauskommen kann, am stärksten herausholt. Das braucht nicht so zu sein, daß diese Einflüsse, die sich dadurch geltend machen, daß Mystik im Zeichen des Idealismus steht, gerade bei der Geburt sich geltend machen; sie können sich vor der Geburt geltend machen, auch nachher. Also die gewöhnliche astrologische Nativität kommt hier nicht in Betracht.

Nun bleiben die Kräfte, die auf solche Weise entstehen, nicht das ganze Leben hindurch bestehen. Sie ändern sich, das heißt, der Mensch kommt unter andere Seelenstimmungen. Nehmen wir an, ein Mensch ändere sich so, daß er dann im Verlaufe seines Lebens in die Seelenstimmung des Empirismus hineinkommt, daß gleichsam die Mystik vorgeschritten ist zum Empirismus, und der Empirismus stehe im Zeichen des Rationalismus. Sie sehen, wie ich oben aufgezeichnet habe, reiht sich, von innen nach außen gegangen, im symbolischen Bilde der Empirismus an die Mystik an wie die Sonne an die Venus. Die Seele ist in bezug auf die Stimmung zum Empirismus vorgeschritten und hat sich zugleich in das Zeichen des Rationalismus gestellt. Im Leben der Seele drückt sich das so aus, daß eine solche Seele in ihrer Weltanschauung sich ändert. Was sie hervorgebracht hat, vielleicht gerade wenn sie eine besonders kraftvolle Persönlichkeit war in der Zeit, in welcher bei ihr die Mystik im Zeichen des Idealismus gestanden hat, das wird sie ändern, in eine andere Weltanschauungsnuance übergehen lassen. Sie wird anderes behaupten und sagen, wenn auf diese Weise die Weltanschauungstimmung der Mystik in Empirismus übergegangen ist und dieser sich in das Zeichen des Rationalismus gestellt hat. Aus dem aber, was ich hier eben auseinandergesetzt habe, können Sie zugleich entnehmen, daß die Menschenseelen einen Zug haben können, Zeichen und Stimmung ihrer Weltanschauung zu ändern. Nehmen wir an, sie will diese Tendenz im Leben weiterführen. Sie will vorrücken vom Empirismus zur nächsten Seelenstimmung, zum Voluntarismus. Und würde sie auch in den Tierkreiszeichen so vorrücken, so würde sie in den Mathematizismus hineinkommen. Sie würde dann übergehen zu einer Weltanschauung, welche in diesem (obigen) Bilde in einem Winkel von 60 Grad abweicht von der ersten Linie, wo die Mystik im Zeichen des Idealismus gestanden hat. Und es würde eine solche Seele dann im Verlaufe derselben Inkarnation zum Ausdrucke bringen ein vom Willen durchdrungenes, auf den Willen basierendes mathematisches Weltgebäude. Da zeigt sich aber eines – und ich bitte, das zu beachten; es zeigt sich, daß zwei solche Konstellationen, die in der Seele vorhanden sind im Verlaufe der Zeit, sich dann stören, ungünstig beeinflussen, wenn sie so stehen, daß sie einen Winkel von 60 Grad bilden. In der physischen Astrologie ist das eine günstige Konstellation; in der geistigen ist diese sogenannte Sextilstellung ungünstig. Das kommt dadurch zum Ausdruck, daß diese letzte Stellung – Voluntarismus im Mathematizismus ein scharfes Hindernis in der Seele findet, so daß sie sich nicht ausbilden kann, weil sie gar keine Angriffspunkte findet, da der Betreffende gar keine Anlagen zeigt für das, was Mathematik ist. Darin drückt sich das Ungünstige der Sextilstellung aus, daß gar keine mathematischen Anlagen vorhanden sind. Es kann sich also diese Stellung nicht bilden: Voluntarismus im Zeichen des Mathematizismus. Die Folge davon ist nun, daß auch nicht der Versuch gemacht wird, daß die Seelenstimmung in dieser Weise vorrückt. Sondern weil die betreffende Seele jetzt nicht diesen Weg machen kann zum Voluntarismus im Mathematizismus, so legt sie sich von der Stellung, die sie jetzt hat – Empirismus im Rationalismus –, um und sucht den Ausweg – stellt sich in Opposition zu der Richtung, die sie noch einhalten kann. Es würde der Voluntarismus in Opposition zum Rationalismus im Zeichen des Dynamismus stehen. [20] Ich habe Ihnen hier aufgezeichnet, was die Seele von Nietzsche im Verlaufe seines Lebens durchgemacht hat. [21] Die oberen Konstellationen hält man nur aus, wenn man sich in entsprechender Weise durch äußere Verhältnisse in die Welt hineinzustellen vermag. Was unter der Linie liegt, die vom Idealismus zum Realismus geht, das hält man nur aus, wenn man untertaucht in die Geisteswissenschaft, was Nietzsche nicht hat tun können. Mit dem «sich außen hineinstellen in die Welt» meine ich alles, was zum Beispiel durch Erziehung, durch äußere Lebensverhältnisse zu erreichen ist; sie kommen in Betracht für alles, was oberhalb der Idealismus-Realismus-Linie liegt. Meditatives Leben, ein Leben in Studium und Verständnis für die Geisteswissenschaft kommt in Betracht für alles, was unterhalb der Linie Idealismus-Realismus liegt.

Der Mensch nimmt, indem er denkt, eigentlich nur die letzte Phase seiner denkerischen Tätigkeit, seines denkerischen Erlebens wahr. Denken Sie sich einmal, Sie würden sich hinstellen und Ihr Gesicht in einem Spiegel sehen wollen. Wollen Sie es sehen, so müssen Sie irgend etwas, was an Materie daliegt, so bearbeiten, daß es ein Spiegel wird. Dasselbe muß die Seele machen mit dem Gehirn, was ein Mensch mit dem Spiegel machen würde. Es geht der eigentlichen denkerischen Tätigkeit der Wahrnehmung des Gedankens eine solche Tätigkeit voraus, die, wenn Sie zum Beispiel den Gedanken «Löwe» wahrnehmen wollen, erst tief drinnen die Teile des Gehirns so in Bewegung versetzt, daß diese Spiegel werden für die Wahrnehmung des Gedankens «Löwe». Und der, welcher das Gehirn erst zum Spiegel macht, das sind Sie selber. [22]

Wer im okkulten Wahrnehmen ein wenig vordringt, kann die beiden Phasen seelischer Tätigkeit auseinanderhalten. So wie unsere kleinen Gedanken arbeiten im Gehirn und ihre kleinen Eingravierungen machen, so muß unser ganzer Organismus vom Kosmos herein nach demselben Muster gedanklicher Tätigkeit aufgebaut werden. Und er wird das, weil dasselbe, was in uns an den kleinen Eingravierungen arbeitet, im Kosmos vorhanden ist, diesen Kosmos als Gedankentätigkeit durchwellend und durchwebend. Was uns zum Beispiel zuletzt erscheint an Ideen, was wir haben als Idealismus, das ist als die den Idealismus bewirkende Tätigkeit im geistigen Kosmos vorhanden und kann auf einen Menschen so wirken, daß sie seinen ganzen Organismus so zubereitet, daß er eben zum Idealismus hinneigt. Ebenso werden die anderen Nuancen in den Stimmungen und Zeichen aus dem geistigen Kosmos in den Menschen hereingearbeitet. Für das, was ich hier als ein Beispiel an Nietzsche vorgeführt habe, heißt es: Unter dem Einfluß des Kosmos war Nietzsche durch seine frühere Inkarnation in seinem Karma so vorbereitet, daß in einem bestimmten Zeitpunkte vermöge seiner früheren Inkarnation die Kräfte des Idealismus und der Mystik die zusammenwirkten, weil Mystik im Zeichen des Idealismus stand auf seine ganze Körperkonstitution so wirkten, daß er zunächst fähig war, mystischer Idealist zu werden. Dann änderte sich die Konstellation in der angedeuteten Weise. [23]

Wir werden aus dem Kosmos heraus gedacht. Der Kosmos denkt uns. Die Wesen der Weltenhierarchien wirken in der Weise, daß sie die große denkerische Tätigkeit verrichten, die Bedeutsameres in der Welt eingraviert als wir mit unserer alltäglichen Denkertätigkeit. So kommt es denn zustande, daß nicht nur die kleinen winzigen Eingravierungen entstehen, die dann als unsere Gedanken sich einzeln spiegeln, sondern daß wir selbst es sind in unserem ganzen Wesen, was wieder den Wesen der höheren Hierarchien als ihre Gedanken erscheint. Und wir können sagen: In gewisser Weise dienen wir ihnen, damit sie durch uns denken können; wir sind aber zugleich selbständige Wesenheiten, die ihr Eigensein in sich haben, wie sogar in gewisser Weise die Partikel unseres Gehirns ihr Eigenleben haben.

So haben wir Menschen eine Logik, nach der wir denken, und so haben auch die geistigen Hierarchien des Kosmos ihre Logik. Und ihre Logik besteht in dem was wir (oben) als Schema aufgezeichnet haben. Wie wir zum Beispiel, wenn wir denken «der Löwe ist ein Säugetier», zwei Begriffe zusammenbringen zu einem Urteil, so denken die geistigen Hierarchien des Kosmos zwei Dinge zusammen: Mystik erscheine im Idealismus. Denken Sie sich dieses zunächst als vorbereitende Tätigkeit des Kosmos. Die vorbereitende Tat besteht für die Wesen der geistigen Hierarchien darin, daß ein Mensch ergriffen wird, dessen Karma es entspricht, daß sich in ihm die Anlage ausbildet, ein mystischer Idealist zu werden. [24]

Wir lernen begreifen, daß – wenn ich mich bildlich ausdrücken darf – die Augen der Wesen der höheren Hierarchien hinschweifen über die einzelnen Menschenindividualitäten und daß ihnen die Individualitäten das sind, was uns die individuellen Buchstaben eines Buches sind, in dem wir lesen. Das ist das, was wir nur mit einer heiligen Scheu anschauen dürfen. Wir belauschen die Gedankentätigkeit des Kosmos. [25]

Die schlimmsten Feinde der Wahrheit sind die abgeschlossenen und nach Abschluß trachtenden Weltanschauungen, die ein paar Gedanken hinzimmern wollen und glauben, ein Weltgebäude mit ein paar Gedanken aufbauen zu dürfen. Was in unserer Zeit so furchtbar auftritt an sich überhebender Einseitigkeit, die ein Ganzes sein will. [26] Mein Ewiges besteht darin, daß das Denken der Hierarchien ein Ewiges ist. Und wenn ich einmal von einer Kategorie der Hierarchien ausgedacht bin, dann werde ich übergeben – wie der Gedanke des Menschen vom Lehrer an den Schüler übergeben wird – von einer Kategorie an die andere, damit diese mich in meinem ewigen, wahren Wesen weiter denke. So fühle ich mich drinnen in der Gedankenwelt des Kosmos. [27]

Zitate:

[1]  GA 151, Seite 47   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[2]  GA 164, Seite 244f   (Ausgabe 1984, 286 Seiten)
[3]  GA 164, Seite 201   (Ausgabe 1984, 286 Seiten)
[4]  GA 151, Seite 47ff   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[5]  GA 151, Seite 35ff   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[6]  GA 151, Seite 38f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[7]  GA 151, Seite 39f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[8]  GA 151, Seite 40ff   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[9]  GA 151, Seite 43f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[10]  GA 151, Seite 45f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[11]  GA 151, Seite 47   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[12]  GA 151, Seite 49uf   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[13]  GA 151, Seite 52f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[14]  GA 151, Seite 53f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[15]  GA 151, Seite 54ff   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[16]  GA 151, Seite 57ff   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[17]  GA 151, Seite 60ff   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[18]  GA 151, Seite 63   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[19]  GA 151, Seite 64f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[20]  GA 151, Seite 67uf   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[21]  GA 151, Seite 71   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[22]  GA 151, Seite 72f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[23]  GA 151, Seite 74ff   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[24]  GA 151, Seite 76ff   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[25]  GA 151, Seite 79   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[26]  GA 151, Seite 82   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[27]  GA 151, Seite 84   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)

Quellen:

GA 151:  Der menschliche und der kosmische Gedanke (1914)
GA 164:  Der Wert des Denkens für eine den Menschen befriedigende Erkenntnis. Das Verhältnis der Geisteswissenschaft zur Naturwissenschaft (1915)