Wahnideen

Es kann zum Beispiel vorkommen, daß jemand auf andern Gebieten des Lebens ganz richtig und logisch denkt, daß er jedoch die Wahnidee hat, er werde überall verfolgt um dieses oder jenes Grundes willen. Er wird dann imstande sein, wo er hinkommt, aus den geringsten Vorkommnissen Kombinationen geistreichster Art zu machen. So kann jemand ein ganz logischer Kopf sein und doch in sich gewisse Symptome der Verrücktheit ausleben. Da wird es ganz unmöglich sein, einen solchen Menschen mit logischen Gründen zu widerlegen. Im Gegenteil, wenn man in einem solchen Falle mit logischen Gründen kommt, dann kann es geschehen, daß die Wahnideen, die in dem Inneren des Betreffenden sitzen, erst recht herausgefordert werden und noch schärfere Beweismittel suchen für das, was er als den Inhalt seiner Verfolgungswahnidee geltend macht. Wenn ein solches Krankheitsbild auftaucht, wie es sich in den geschilderten Symptomen auslebt, haben wir es damit zu tun, daß der Betreffende darin eine karmische Ursache von früheren Verkörperungen, von früheren Verirrungen zutage treten läßt. [1] Nehmen wir an, in irgendeiner Inkarnation werden wir durch den Einfluß Luzifers – also dadurch, daß wir in uns egoistische oder sonstige, dem luziferischen Einfluß zuzuschreibende Triebe, Begierden, Instinkte entwickeln – so verführt, daß wir Verfehlungen auf unsre Seele laden. Diese Verfehlungen können nun sein in der Empfindungsseele, können sein in der Verstandesseele oder auch in der Bewußtseinsseele. Das ist dann die Ursache, die in irgendeiner folgenden Inkarnation in einem der drei Seelenglieder gegeben ist. Nehmen wir an, es sei ein Fehler, der besonders auf den Kräften der Verstandesseele beruht. Der wird dann in dem Zustande zwischen Tod und neuer Geburt so umgewandelt, daß dasjenige, was zum Beispiel die Verstandesseele verbrochen hat, in seiner Wirkung sich zeigt im Ätherleib. Wir stoßen also in der neuen Inkarnation auf eine Wirkung in dem Ätherleib, die zurückzuführen ist auf eine Ursache in der Verstandesseele in einer vorhergehenden Inkarnation. Nun arbeitet aber die Verstandesseele der nächsten Inkarnation wieder für sich selbständig in dieser Inkarnation, und es ist nun ein Unterschied, ob der Mensch jene Verfehlung früher begangen hat oder nicht. Hat er sie in einer früheren Inkarnation begangen, so hat er jetzt einen Fehler in seinem Ätherleibe. Das sitzt nun tiefer, der sitzt nun nicht in der Verstandesseele, sondern im Ätherleibe. Daher kann es vorkommen, daß die Kräfte der Verstandesseele, wie sie uns jetzt bei einem Menschen entgegentreten, logisch intakt arbeiten, so daß also das eigentliche menschliche Innere ganz intakt ist, daß aber durch das Zusammenarbeiten zwischen Verstandesseele und dem krankhaften Teil des Ätherleibes von diesem Ätherleib aus nach einer gewissen Richtung hin ein Irrtum projiziert wird. Dann kann man zwar mit den Gründen, die man auf dem physischen Plan aufbringen kann, auf die Verstandesseele wirken, nicht aber unmittelbar auf den Ätherleib. Daher können Sie durch Logik, durch Überzeugung nichts ausrichten, ebensowenig wie Sie mit Logik etwas anfangen können, wenn Sie einen Menschen vor einen konvex gebogenen Spiegel hinstellen, so daß der Betreffende darin sein verzerrtes Bild sieht, und Sie ihm dann beweisen wollen, daß er unrecht hat, das Bild so zu sehen. Er sieht doch ein verzerrtes Bild. So hängt es auch nicht vom Menschen ab, daß er in einer krankhaften Weise etwas falsch versteht, denn es wird seine sonst gesunde Logik von seinem Ätherleibe aus nicht in einer gesunden Weise gespiegelt. Auf diese Weise können wir die karmische Wirkung früherer Inkarnationen in unserer tieferen Organisation in uns tragen. Daran sehen wir, was wir durch den luziferischen Einfluß in einer früheren Verkörperung herausgefordert und dann umgewandelt haben. Und in der Zwischenzeit zwischen Tod und neuer Geburt kommt die Umwandlung zustande von einem Inneren in ein Äußeres, und dann wirkt uns Ahriman aus unserem eigenen Ätherleibe entgegen. Die frühere Verfehlung war eine luziferische, das Umgewandelte aber ist ein solches, daß uns gleichsam die Quittung dafür in der nächsten Inkarnation durch Ahriman gegeben wird. Und dann handelt es sich darum, daß der Mensch diese Schädigung seines Ätherleibes aus sich herausbringen muß. Das kann nur dadurch geschehen, daß tiefer in seine Organisation eingegriffen wird, als es mit den gewöhnlichen Mitteln der äußeren Vernunft in einer Inkarnation möglich ist. Wer so etwas durchmacht, daß er zum Beispiel den Symptomen des Verfolgungswahnes in einer bestimmten Inkarnation verfällt, der wird, wenn er neuerdings wieder durch die Pforte des Todes tritt, alle die Tatsachen vor sich haben, welche er sich geleistet hat infolge seiner ahrimanischen Schädigung, und er wird sie in ihrer ganzen Absurdität vor sich haben. Das wird für ihn die Kraft sein, welche ihn für seine nächste Inkarnation gründlich heilt. Denn er kann nur dadurch geheilt werden, daß dasjenige, was er unter dem Einfluß der entsprechenden Symptome vollzogen hat, ihm in der äußeren Welt für die Folge als absurd erscheint. Damit haben Sie etwas gegeben, was von uns zu einer solchen Heilung getan werden kann. Wenn jemand unter derartigen Wahnideen leidet, werden Sie ihm am wenigsten durch logische Gründe von seinen Wahnideen abbringen können. Sie werden dadurch nur seinen Widerspruch erst recht herausfordern. Aber Sie werden etwas erreichen, besonders wenn sich in früher Jugend so etwas zeigt, wenn Sie den Menschen in Lagen bringen, wo sich ihm die Folgen seiner Symptome kraß als unsinnig darstellen, wenn Sie ihn vor Tatsachen führen, die er hervorruft und die als kraß unsinnige wieder auf ihn zurückschlagen. Dadurch können Sie in einer gewissen Weise eine Heilung hervorrufen. Sie können auch dann heilend wirken, wenn Sie selbst so weit im Besitze der geisteswissenschaftlichen Wahrheiten sind, daß sie inneres Eigentum Ihrer Seele geworden sind, dann ist Ihre ganze Persönlichkeit ein Ausstrahler dieser geisteswissenschaftlichen Wahrheiten. Mit diesen Wahrheiten, welche hereinströmen in das Leben zwischen Geburt und Tod und es erfüllen, die aber dennoch über dieses Leben selbst hinausragen, die Erkenntnisse sind aus übersinnlicher Welt, mit ihnen können Sie tiefergehende Wirkungen erzielen als mit äußeren Vernunftswahrheiten. Während Sie mit äußeren logischen Gründen nichts anfangen können, werden Sie, wenn Sie die geisteswissenschaftlichen Wahrheiten anwenden und wenn Sie genug Zeit und Gelegenheit dazu haben, allerdings so weit Impulse auf den betreffenden Menschen ausüben können, daß Sie sozusagen in der einen Inkarnation das vermögen, was sonst nur auf dem Umwege von einer auf die andere Inkarnation geschehen kann: nämlich hineinzuwirken von der Verstandesseele auf den Ätherleib. Denn die Wahrheiten des physischen Planes sind nicht imstande, auch nur im geringsten die Kluft zwischen Empfindungsseele und Empfindungsleib, zwischen Verstandesseele und Ätherleib oder gar zwischen Bewußtseinsseele und physischem Leib zu überspringen. [2]

Zitate:

[1]  GA 120, Seite 153f   (Ausgabe 1975, 230 Seiten)
[2]  GA 120, Seite 155ff   (Ausgabe 1975, 230 Seiten)

Quellen:

GA 120:  Die Offenbarungen des Karma (1910)