Wachstum

Alles Wachsen ist ein Herausschieben des Lebendigen aus dem Inneren und ein Absterben und allmähliches Abschälen des Äußeren. Daher kann niemals außen etwas anwachsen. Es muß sich immer das Substantielle von innen nach außen vorschieben und an der Oberfläche abschuppen. Das ist das allgemeine Gesetz des Wachstums, das heißt des Zusammenhanges des Wachstums mit der Materie. [1] Sie stoßen fortwährend Ihre materielle Gliedlichkeit ab. Aber der Mensch nimmt das nicht in sein Bewußtsein auf, daß er eigentlich immer langsam nach außen abschmilzt und sich von innen wieder aufbaut. Denken Sie sich, wie anders wir uns wüßten, wenn wir uns dessen bewußt wären, daß wir äußerlich unseren physischen Leib gleichsam abstoßen, abschmelzen, und uns innerlich immer neu aufbauen: wir würden die Metamorphose unseres eigenen Wesens dann beobachten. Wenn man diese Metamorphose in sein Bewußtsein aufnehmen würde, würde man auf etwas zurückblicken, was einem erhalten ist seit seiner Kindheit. Man würde sich als Geistiges an sich erinnern. Der stoffliche Organismus, der wir als Kind waren, wird nicht größer; denn der wird abgeworfen, schmilzt ab. Aber wir differenzieren uns, die beiden Pole unseres Wesens entfernen sich voneinander. Dadurch wird später in einen gestalteten Leib, bei dem sich die beiden Pole auseinandergezogen haben, der Stoff hineingeordnet. Das kommt uns dann vor, als ob wir bloß wachsen würden. Wir wachsen aber nicht bloß, sondern wir differenzieren uns innerlich, und dadurch kommen wir im späteren Lebensalter mit andern äußeren Dingen in Zusammenhang als im früheren Lebensalter. Wir müssen später mit unserer Kopforganisation den unmittelbaren Erdenkräften ferner stehen als vorher. Unser Kopf hebt sich. Damit ist das verbunden, daß wir wachsen. [2]

Zitate:

[1]  GA 295, Seite 103   (Ausgabe 1984, 198 Seiten)
[2]  GA 181, Seite 361f   (Ausgabe 1967, 480 Seiten)

Quellen:

GA 181:  Erdensterben und Weltenleben. Anthroposophische Lebensgaben. Bewußtseins-Notwendigkeiten für Gegenwart und Zukunft (1918)
GA 295:  Erziehungskunst. Seminarbesprechungen und Lehrplanvorträge (1919)