Volksgeist

Für den Geheimforscher liegt auch den gemeinsamen, weisheitsvollen Wirkungen, die sich in dem Zusammenleben der Glieder eines Volkes oder einer Rasse zeigen, ein Bewußtsein zugrunde. Man findet dieses Bewußtsein ebenso in einer anderen Welt, wie das beim Bewußtsein eines Bienenstocks oder Ameisenhaufens der Fall ist. Nur sind für dieses Volksbewußtsein keine Organe in der physischen Welt vorhanden, sondern diese Organe finden sich nur in der astralischen Welt. [1] So wie die Gruppenseele die regelmäßigen Wanderzüge der Vögel über die Erde hin dirigiert, so wird der Mensch, nachdem er sein Geistselbst oder Manas entwickelt hat, das, was wir physischen Leib und ätherischen Leib nennen, befehligen, ihnen gebieten, sie in Bewegung setzen. In einem noch höheren Sinne wird der Mensch diese dirigieren, von außen in Bewegung setzen können, wenn er einmal so weit entwickelt sein wird, daß er auch noch umarbeitend in bezug auf den Ätherleib wirkt (siehe: Buddhi). Solche Wesenheiten, die das schon können, gibt es schon heute. Das sind die Archangeloi. Bilden Sie sich als Idee den Begriff von Wesenheiten, die sozusagen im Umkreis unserer Erde wirken, die in der geistigen Atmosphäre unserer Erde enthalten sind mit ihrem Ich, die von diesem ihrem Ich aus schon umgewandelt haben ihren astralischen Leib, so daß sie ein vollentwickeltes Geistselbst oder Manas besitzen, die aber jetzt mit diesem Manas weiterwirken auf unserer Erde und hereinarbeiten in die Menschen, indem sie unseren Ätherleib umgestalten. Wenn Sie sich solche Wesenheiten denken, die also auf der Stufe der geistigen Hierarchien stehen, die wir Archangeloi nennen, haben Sie einen Begriff von dem, was man «Volksgeister» nennt, was man die dirigierenden Volksgeister der Erde nennt. Ein Volk ist (also) eine zusammengehörige Gruppe von Menschen, welche von einem der Archangeloi geleitet wird. Die einzelnen Glieder eines Volkes bekommen das, was sie als Glieder des Volkes tun, was sie als Glieder des Volkes vollführen, von einer solchen Seite her inspiriert. Dadurch, daß wir uns vorstellen, daß diese Volksgeister individuell verschieden sind, wie die Menschen auf unserer Erde, werden wir es begreiflich finden, daß die einzelnen verschiedenen Gruppen der Völker die individuelle Mission dieser Archangeloi sind. [2]

Dasjenige, was in geheimnisvoller Weise uns entgegentritt von dem Stück Erde, das von einem Volke bewohnt ist, ist die Äther-Aura des betreffenden Erdengebietes. Das, was den physischen Augen entgegentritt in der grünen Pflanzendecke der Erde, der eigentümlichen Konfiguration des Bodens und so weiter, das ist im Grunde genommen nur Maya oder äußerliche Illusion, das ist gleichsam eine Verdichtung dessen, was in der Äther-Aura wirkt. Allerdings ist nur dasjenige von dem Äußerlichen von dieser Äther-Aura abhängig, worauf die Äther-Aura, das heißt ein sich lebendig organisierendes Prinzip Einfluß haben kann. Die Archangeloi, die die geistigen Gesetze inne haben, können nicht in die physischen Gesetze eingreifen. Da hinein, wo also bloß die physischen Gesetze wirken und in Betracht kommen, wie bei den Gebirgsverhältnissen, der Wölbung des Bodens und so weiter, wo das, was die großen Änderungen des Volkes bedingt, abhängig ist von den physischen Verhältnissen, da hinein reicht der Einfluß der Archangeloi nicht. Weil sie das nicht können, weil sie da abhängig sind, deshalb müssen sie zu gewissen Zeiten über die Erde wandern, deshalb verkörpern sie sich in dem, was die Konfiguration des Bodens bedeutet, gleichsam als in dem physischen Leib, also in dem, was von den physischen Gesetzen beherrscht ist. Da kann der Ätherleib des Volkes noch nicht hinein. Deshalb wird der Boden aufgesucht, wenn er sich als geeignet erweisen soll, und aus dieser Ehe zwischen dem Ätherleibe, der aber jetzt von geistig-seelischen Kräften durcharbeitet wird, und dem physischen Stück Erde entsteht dasjenige, was uns als der Zauberhauch im Äußeren eines Volkstums entgegentritt, das, was der Mensch, der nicht Hellseher ist, in einem Lande bloß fühlen kann, was der Mensch aber, der mit hellseherischem Bewußtsein Land und Volk durchschaut, erschauen kann. Diese Äther-Aura des Volkes wirkt auf das cholerische, phlegmatische und sanguinische Temperament. Die Volkstempera-mente sind also nach den Einwirkungen der Volksaura gemischt. [3] So also haben wir über die Erde hin wirksam die Volksgeister. Die haben aber auch ihre eigenen Wege; denn das ist für ihre eigenen Angelegenheiten nicht das Wesentliche, daß sie in die Temperamente hineinwirken. Daneben kommen aber auch die eigenen Angelegenheiten ihres Ichs in Betracht. Die bestehen darin, daß sie selber weiterkommen in ihrer Entwickelung, daß sie selber über die Erde schreiten und sich auf diesem oder jenem Gebiet der Erde verkörpern. Wir können einen solchen Volksgeist verfolgen, wie er sich in der Welt verkörpert, dann wieder eine Zeitlang in der geistigen Welt lebt und sich sodann wieder wo anders verkörpert und so weiter. Wenn wir diese Vorgänge betrachten, so haben wir immer nur Ich-Angelegenheiten dieser Wesen vor uns. Denken Sie sich also nun – damit Sie sich das recht konkret vorstellen – den menschlichen Ätherleib in den Volksätherleib eingebettet; denken Sie sich dann das Ineinanderwirken vom menschlichen Ätherleib und Volksätherleib, und denken Sie sich darauf, daß sich der Volksätherleib in den Volkstemperamenten spiegelt, spiegelt in der Mischung der Temperamente der einzelnen Menschen, dann haben Sie das Geheimnis, wie uns der Volksgeist in seiner Art innerhalb eines Volkes entgegentritt. [4]

So wie beim Menschen das Innere, das, worin das Ich arbeitet und sich ausprägt, sich in drei Modifikationen des Astralleibes (Empfindungs-, Verstandes-, Bewußtseinsseele) darstellt, so stellt bei den Volksgeistern das eigentliche Innere oder das, was wir mit dem menschlichen Inneren vergleichen können, dar (als) drei Glieder, drei Modifikationen im Ätherleibe. Aber weil diese drei Modifikationen nicht im Astralleibe sind, sondern im Ätherleibe, deshalb sind sie ganz anders, wesentlich anders, als die drei Modifikationen im Seelenleben des Menschen. Daher müssen Sie sich auch die Bewußtseinsform, das ganze Seelenleben dieser Volksgeister anders vorstellen als das Seelenleben des Menschen. Es wird sich nun darum handeln, daß wir von irgendeinem Begriffe ausgehen, der Ihnen geläufig sein kann, einem Begriffe, der sozusagen etwas Ähnliches bietet wie das innere Leben der Volksgeister. Solche Dinge hat der Mensch nicht viele in seinem normalen Leben, er hat im Gegenteil außerordentlich wenig, von dem in seinem eigenen Bewußtsein, was in dem Bewußtsein der Volksgeister lebt. Aber Sie können sich doch eine Vorstellung davon machen, wenn Sie geduldig einmal die folgende Betrachtung mit mir anstellen. Sie haben alle in der Schule gelernt, daß die drei Winkel des Dreiecks 180° sind, und Sie wissen, daß Sie das niemals durch irgend eine äußere Erfahrung lernen könnten. Wenn Sie nun mit einem Winkelmaße messen, dann wird Sie die äußere Erfahrung niemals belehren können, daß diese drei Winkel 180° sind. Aber Sie werden sofort belehrt sein gleichgültig ob sie diese drei Winkel aufzeichnen oder sie sich nur vorstellen –, wenn Sie von innen heraus erfahren, daß die drei Winkel 180° sind. Sie müssen das durch die Kraft Ihrer eigenen Seele von innen heraus erfahren.

Winkelsumme im Dreieck In dieser (obenstehende) Figur haben Sie den strikten Beweis, daß die drei Winkel zusammen 180° sind. Wenn Sie sich diese Figur einmal so recht vor die Seele treten lassen, so wird sie Ihnen für alle Fälle diese Gewißheit bringen. Diese Figur können Sie in Gedanken ausführen, ohne daß Sie sie äußerlich aufzeichnen. Sie vollziehen dann eine reine Gedankenoperation durch die Kaft Ihres eigenen Inneren, Sie brauchen gar nicht aus sich herauszutreten. Um zu einer geometrisch-mathematischen Erkenntnis zu kommen, braucht nicht ein äußerer Gegenstand an Ihre Sinne heranzutreten, es bedarf nur dessen, was inneres Erlebnis ist, was im Bewußtsein selber verläuft. Ich könnte Ihnen auch das Beispiel der Hegelschen Logik geben (siehe unter: Kategorien), dann würden Sie auch eine Summe von innerlichen Begriffen haben, aber da würden wir viel Unbekanntes darin finden, da die Hegelsche Logik in den weitesten Kreisen unbekannt ist. Daraus können Sie also ersehen, wie der Mensch bloß von innen heraus zu Erkenntnissen kommen kann, ohne daß er durch etwas Äußerliches dazu angeregt wird. Wenn Sie sich das vorstellen, was äußerlich nur erreichbar ist in der Welt in mathematisch konstruktiver Weise, dann haben Sie einen Teil begriffen von dem, wie das Bewußtsein der Archangeloi wirkt. Sie nehmen nämlich eine solche Welt, wie sie an den äußeren Menschen herantritt, eine Welt von äußeren Farben und Tönen, gar nicht wahr. Ein solches Wesen hat niemals die Möglichkeit, daß es mit seinem Tastsinn an irgend etwas herantritt und dadurch Wahrnehmungen empfängt. Aber das Erlebnis hat es, das man mit den Worten ausdrücken kann: Jetzt kommt mir aus einer Welt, die mich inspiriert, etwas zu; diese Welt ist durch mein Bewußtsein hindurchgegangen, füllt mein Bewußtsein aus. Nun sind die Archangeloi nicht etwa solche Wesen, die bloß mathematisch vorstellen, vielmehr ist der Mensch so unvollkommen, daß er nur in solchen Abstraktionen, wie die mathematischen Wahrheiten sind, sich die Tätigkeit der Archangeloi vorzustellen vermag. [5] Daraus können Sie aber entnehmen, daß die äußere physische Welt, die für die Menschen durch die Sinne da ist, die Archangeloi gar nichts angeht. Schalten Sie also den ganzen Inhalt der menschlichen Empfindungsseele aus, und sagen Sie sich, was im Weltbilde vorhanden ist dadurch, daß für den Menschen die Empfindungsseele da ist, das ist für den Archangelos nicht von Bedeutung, da wirken sie nicht hinein. Sogar ein Teil der Verstandesseele ist noch kein Element, das für die Archangeloi von Bedeutung ist, insoweit dieselbe angeregt wird durch die äußeren Empfindungen. Aber in die Verstandesseele des Menschen spielen doch schon gewisse Dinge hinein, welche der Mensch sozusagen auf demselben Terrain mit den Archangeloi erlebt. Wir können ganz genau wahrnehmen, daß solche Dinge in die menschliche Verstandes- oder Gemütsseele hineinspielen, wenn wir sehen, wie zum Beispiel in unserem Leben dasjenige, was wir unsere moralischen Ideale nennen, an uns herantritt. Wir müssen die Ideale nicht von außen in die Empfindungsseele aufnehmen, sondern sie einströmen lassen aus der geistigen Welt und sie in der Verstandesseele verarbeiten. Die künstlerischen, die architektonischen Ideale und so weiter sind in der Verstandes- oder Gemütsseele und in der Bewußtseinsseele anwesend. Sie hängen zusammen mit dem, was der Mensch von außen nicht wahrnehmen kann, was aber doch innerlich sein Wesen durchglüht und durchsetzt, so daß es einen Teil seines Lebens ausmacht. Schauen Sie sich das Leben der Völker von Epoche zu Epoche an, wie es verlaufen ist, wie immer neue Vorstellungen und Weltgeheimnisse darin aufgekommen sind. Wo hätten die Griechen ihre Vorstellungen über Zeus und Athene hernehmen können, wenn sie sich nur auf die äußeren Wahrnehmungen verlassen hätten! Das lebte sich von innen hinein, was in den Weistümern, in den Mythologien, Religionen und in den Wissenschaften der Völker enthalten ist. So also müssen wir sehen, daß die Hälfte unserer Verstandes- oder Gemütsseele und unsere Bewußtseinsseele von innen heraus angefüllt sind, und zwar gerade so weit, als der Mensch sich mit dem, was eben charakterisiert worden ist, innerlich durchdringt, so weit können die Archangeloi in das menschliche Innere vordringen, und so weit geht auch das eigentliche Leben der Archangeloi. [6]

Das Archangeloi-Ich liegt um zwei Stufen höher, so daß der Archangelos mit seinem Ich in einer höheren Welt wurzelt. So wie nun der Mensch durch seine Sinnesempfindung auf Farben schaut, Töne hört, so schaut der Archangelos herunter auf die Welt, die das Ich als objektive Wahrheit umschließt, nur daß sich um dieses Ich noch etwas herumgruppiert von jenem Teile des Astralischen, das wir Menschen in uns als Verstandes- oder Gemütsseele kennen. Denken Sie sich diese Wesenheiten in eine Welt schauend, die nicht das Mineralische, Pflanzliche und Tierische erreicht. Denken Sie, daß dafür der Blick, der ein geistiger ist, auf ihr Weltbild hingerichtet ist und daß sie da Mittelpunkte wahrnehmen. Diese Mittelpunkte sind die menschlichen Iche, um die sich wieder etwas gruppiert, das wie eine Art Aura aussieht. Da haben Sie das Bild, wie das Archangeloiwesen auf die Völkerpersönlichkeiten, die zu dem Archangelos gehören, die das Volk ausmachen, heruntersieht. Seine Welt besteht aus einem astralischen Wahrnehmungsfelde, in dem gewisse Zentren darin sind. Wir selbst mit einem Teil unseres Innenlebens sind das Wahrnehmungsfeld, und wie wir in die Außenwelt hineingehen und diese bearbeiten und umgestalten zu Instrumenten, so sind wir diejenigen Objekte – insofern wir zu diesem oder jenem Volksgeist gehören –, welche zu dem Arbeitsfelde der Archangeloi oder Volksgeister gehören. [7]

Wie spezialisiert sich nun das Weltbild der Archangeloi oder Volksgeister? Für den Menschen spezialisiert sich das Weltbild dadurch, daß, wenn er irgendeinen Gegenstand mit der Hand ergreift, er ihn warm oder kalt empfindet. Der Archangelos erlebt etwas Ähnliches, indem er die menschlichen Individualitäten trifft. Da trifft er Menschen, welche mehr von der inneren Aktivität beseelt sind, reicheren Seeleninhalt haben, die machen auf ihn einen intensiveren Eindruck. Andere findet er lässig, lethargisch, mit armem Seeleninhalt. Das sind Wesen, die für ihn so dastehen, wie Wärme und Kälte für das Weltbild der menschlichen Seele. So spezialisiert sich das Weltbild des Archangelos, und je nachdem kann er die einzelnen Menschen gebrauchen, für sie arbeiten, indem er dasjenige webt, was aus seiner Wesenheit heraus das gesamte Volk zu leiten hat. Aber auch sonst steht mit dem Leben dieses Archangelos das Leben des betreffenden Volkes, dem er vorsteht, in gewissem Zusammenhang. Gerade so, wie der Mensch aufsteigende und absteigende Perioden im Leben hat, eine aufsteigende Jugendzeit und die absteigende Zeit des Alters, so erlebt der Archangelos in der aufsteigenden und absteigenden Kultur eines Volkes seine Jugend und sein Alter. Der Archangelos fühlt nun zwar alles als aus seinem Inneren herauskommend, aber es erscheint ihm das Auf- und Absteigen des Volkes doch als etwas Fremdes, als etwas, wovon er das Gefühl hat, daß es von ihm unabhängig ist, womit er also nicht direkt etwas zu tun hat, was ihm aber Veranlassung gibt, sich in irgendeinem Volke zu bestimmter Zeit zu verkörpern. Wenn die Möglichkeit da ist, sich zu verkörpern, wenn ein in der aufstrebenden Periode seines Lebens, in der aufstrebenden Vollkraft lebendes Volk vorhanden ist, dann geht der Archangelos hinunter, ebenso wie der Mensch hinuntersteigt (zur Inkarnation), wenn er das (nachtodliche) Leben durchlebt hat. Ebenso fühlt der Archangelos seinen Tod, die Notwendigkeit, sich von dem betreffenden Volke zurückzuziehen, wenn die einzelnen Wahrnehmungen, die Zentren, die er wahrnimmt, anfangen weniger produktiv, weniger aktiv zu sein, wenn sie anfangen weniger Inhalt zu haben. Dann kommt die Zeit, wo er eine solche Volksgemeinschaft verläßt; er kommt dann in sein Devachan, in sein Leben zwischen Tod und neuer Geburt, um bei späterer Gelegenheit in anderer Weise eine Volksgemeinschaft aufzusuchen. So bedeutet das jugendlich aufsteigende Leben eines Volkes die Jugend des Volksgeistes, und er nimmt sie wahr als ein frisches strömendes Element, in dem er lebt. [8]

Es ist in gewisser Beziehung die Archangelos-Natur, die führende Volksnatur, etwas, was über dem einzelnen Menschen schwebt. Den persönlichen Dingen, die der Mensch dadurch erlebt, daß er Wahrnehmungen durch seine Sinne hat, steht der Archangelos, der das Volk leitet, fremd gegenüber. – Aber da gibt es Vermittler – das sind die Wesen der Angeloi, die zwischen Archangelos und Mensch stehen. Volksgeister sind solche Geister, welche mit der Umgestaltung ihres astralischen Leibes zu Manas fertig sind, und jetzt umgestalten ihren Ätherleib zu Buddhi. Zwischen diesen Wesen und den Menschen stehen die Angeloi. Das sind solche Wesen, die mit der Umarbeitung ihres Astralleibes in Manas beschäftigt, aber noch nicht mit dieser Arbeit zu Ende gekommen sind. Der Mensch steht am Anfange dieser Arbeit im gegenwärtigen Zeitalter, die Angeloi stehen dem Ende derselben nahe, sind aber keineswegs fertig damit. Daher berühren sich die Terrains dieser Wesenheiten viel intimer mit denen, in welchen der Mensch steht und lebt. Wir können sagen, daß die Angeloi mit ihrer ganzen Seelenhaftigkeit dem zugeneigt sind, was wir astralischer Leib nennen. Deshalb haben sie volles Verständnis für alles das, was die menschliche Persönlichkeit durch Leid und Freude erleben kann. Aber weil sie auf der anderen Seite viel höher über das menschliche Ich hinaufragen, weil sie ein höheres Ich haben, weil sie einen Teil der höheren Welt aufnehmen können, deshalb ragt ihre Bewußtseinswelt in diejenigen Terrains hinein, auf denen sich die Bewußtseinswelt der Archangeloi befindet. Sie sind also so recht die Vermittler zwischen Archangeloi und einzelner Menschen-Individualität. Sie empfangen ihrerseits die Befehle der Volksgeister und tragen sie in die einzelnen Seelen hinein, und durch diese Vermittelung ergibt sich dann dasjenige, was der einzelne wirken kann, nicht bloß für seinen eigenen Fortschritt, seine eigene Entwickelung, sondern für sein ganzes Volk. [9]

Jedes Volk, jede Rasse, jeder Stamm hat eine gemeinsame Astralmaterie, die Inkarnationsmaterie für den Volksgeist. [10] Wir treffen in unserem Leib unter vielem anderen Geistigen dasjenige an, was Volksseele genannt werden kann. Wir verlassen gewissermaßen jedesmal mit dem Einschlafen auch die Wohnstätte der Volksseele, der wir angehören. [11]

Die Art und Weise, wie sich die Volksseelen zu den einzelnen Menschenseelen verhalten, das gibt den Verlauf der Geschichte, das gibt den Verlauf dessen, was eigentlich geschieht. [12] Dann nur versteht man das Walten der Volksseelen, wenn man auf das Gesetz der Periodizität wirklich in entsprechender Weise reflektieren kann. Studiert der Geistesforscher zum Beispiel die italienische Volksseele – bei der spanischen ist es ähnlich –, dann erscheint ihm da etwas, was mit seinem Bewußtsein zurückblickt in die alte ägyptisch-chaldäische Zeit. Wie der Mensch sein Bewußtsein, sein Selbstbewußtsein im physischen Dasein angefacht erhält durch das Untertauchen in den Leib, wie er sein Selbstbewußtsein nach dem Tode durch den Rückblick auf seine Erdenerlebnisse erhält, so besteht ein Wechselverhältnis zwischen dem, was als Volksseelentum im italienischen Volke auftaucht, mit dem ägyptisch-chaldäischen Volksgeist. Der italienische Volksgeist blickt zurück auf seine Erlebnisse als ägyptisch-chaldäischer Volksgeist; er taucht mit seiner Seelenwesenheit unter in den ägyptisch-chaldäischen Volksgeist, wie wir beim Aufwachen in den Leib untertauchen, wenn wir unser Selbstbewußtsein erhalten. Das Gesetz der Periodizität herrscht, rhythmisch abgestuft, in der Folge zwischen dem, was im alten ägyptisch-chaldäischen Leben der Volksgeist bewirkte, und was der Volksgeist im Italienertum auslebt, bis in unsere Gegenwart herein. Was die Seele im alten Ägyptertum, im alten Chaldäertum unter dem Einfluß der Volksseele erleben konnte, das erlebt wie in einem Wiederaufleben desselben Volksgeistes die italienische Volksseele – aber verinnerlicht. [13] In der französischen Volksseele lebt sich das alte Griechentum aus. [14] Wenn Sie in geisteswissenschaftlichem Sinne genau die Entwickelung der Menschheitsstufen auf der Erde durchnehmen, so finden Sie wiederholte Geschehnisse. So ist eine Wiederholung darin, daß sozusagen 7 Epochen sich folgen nach der atlantischen Katastrophe. Die griechisch-lateinische Kulturepoche bildet sozusagen den Wendepunkt. Auf diese folgt die Wiederholung der ägyptisch-chaldäischen Epoche, und zwar in unserer eigenen Zeit. Auf diese wird folgen eine andere Epoche, die eine Wiederholung der persischen Zeit sein wird, allerdings in etwas anderer Art, und dann wird die 7. Epoche kommen, die eine Wiederholung der uralt-indischen Kultur, der Epoche der heiligen Rishis sein wird, so daß in dieser Epoche gewisse Dinge in anderer Form heraus kommen werden, die damals veranlagt worden sind. Die Lenkung dieser Geschehnisse obliegt den Zeitgeistern, den Archai. Daß nun auf die Erde verteilt in verschiedenen Völkern das ausgelebt wird, was von Epoche zu Epoche weiterschreitet, daß die verschiedensten Gestalten aus diesem oder jenem Boden gebildet werden, aus dieser oder jener Sprachgemeinschaft herauswachsen, aus dieser oder jener Formensprache, aus Architektur, Kunst und Wissenschaft entstehen können und alle die Metamorphosen annehmen können und alles das aufzunehmen vermögen, was der Geist der Epoche, der Arché der Menschheit einflößen kann, dazu brauchen wir die Volksgeister, die Archangeloi. [15]

Diese Wesenheiten der höheren Hierarchien stehen zu unserem Ich in einem solchen Verhältnis wie wir zu den Dingen der Außenwelt. Für uns sind die Gegenstände und Wesenheiten des mineralischen, Pflanzen- und Tierreiches Objekt. Für die Wesenheiten der höheren Hierarchien sind zum Beispiel unsere Iche Objekt. Nur daß das Verhältnis der Wesenheiten der höheren Hierarchien zu unseren Ichen nicht das der Wahrnehmung ist, wie wir es der Außenwelt gegenüber haben, sondern es ist mehr ein Durchstrahlen unseres Ichs mit dem Willen der höheren Hierarchien, ein Einwirken des Willens der höheren Hierarchien. Was für uns Außenwelt ist, sind wir als Menschen für die Archangeloi, die die Völker zu leiten haben, nur daß es bei uns mehr ein Wahrnehmungsprozeß ist und bei den Archangeloi mehr ein Willensprozeß. Aber in bezug auf diesen Willensprozeß macht der Archangelos auch eine Entwickelung durch. Dieser Archangelos macht geradeso eine Reifung seiner Seele durch, durch die er dann allmählich ein anderes Verhältnis zu den einzelnen Menschen seines Volkes erlangt; so wie wir mit einem reifen Ich ein anderes Verhältnis zu unserer Umwelt erlangen. Nehmen wir zum Beispiel das Archangeloiwesen, welches im Verlauf der Geschichte die Leitung desjenigen übertragen ist, was wir als italienisches Volk kennen. Dieses Archangeloiwesen hat lange Zeit ein solches Verhältnis zu dem italienischen Volke gehabt, daß es eigentlich mit seinem Willen im wesentlichen in die höheren Teile des Seelischen hineingewirkt hat. In seinem weiteren Verlauf wirkte dieser Archangelos aber nicht nur in das höhere Seelische, sondern auch in das mehr Niedere der Seele hinein, in die Passionen, in die Impulse der Seele, die noch mit dem Leiblichen zusammenhängen. So geht die Entwickelung des Archangeloi-wesens weiter: Zuerst wirkt es mehr auf das eigentlich Seelische, im späteren Verlauf wird es immer mächtiger und es wirkt in das Seelische hinein, das mehr mit dem Leiblichen zusammenhängt. Und wir können für das italienische Volk geradezu angeben, wie um das Jahr 1530 herum der Archangelos in seiner Entwickelung diese Stufe durchmachte. Und nun beginnt das italienische Volk eigentlich erst in bezug auf sein Äußeres sich gehen zu lassen, so recht seinen Nationalcharakter zu entwickeln. Studieren Sie die Geschichte des italienischen Volkes vor dem genannten Zeitraum, Sie werden dann sehen, daß da der Archangelos noch bei den Menschen der italienischen Halbinsel in die inneren Eigenschaften der Seele gewirkt hat; daß sich dann aber im eminentesten Sinne erst der äußere Nationalcharakter ausgebildet hat, so wie wir ihn gegenwärtig kennen. Vor diesem Zeitpunkt – und ein solcher Zeitpunkt ist für jedes Volk vorhanden – ist das ganze Seelenleben eines Volkes noch lebendig. Da ist es noch so, daß das Seelenleben des Volkes diese oder jene Eigenschaft annehmen kann. Die Eigenschaften sind noch nicht so energisch ausgeprägt. Nach diesem Zeitpunkt, wo der Archangelos zu den tieferen Eigenschaften des Seelischen seine Willensbeziehungen entwickelt hat, wird der Volkscharakter starr, da geht er bis in die leiblichen Eigenschaften hinein, da beginnt die Zeit, wo man kaum mehr irgendwie mit etwas, was dem Nationalcharakter nicht entspricht, an das Volk herankommen kann. Für das französische Volk ist dieser Zeitpunkt um das Jahr 1600 und für das englische Volk um das Jahr 1650 herum. Wenn sie zurückgehen vor diese Zeit, werden Sie sehen, wieviel Gemeinschaftliches die Völker Europas noch haben, und wie bei den einzelnen Völkern die Ausprägung des Nationalcharakters in den Zeitpunkten beginnt, die ich angeführt habe. Es werden Ihnen selbst einzelne Erscheinungen ziemlich begreiflich erscheinen, wenn Sie solche Dinge zur geschichtlichen Betrachtung haben. Bedenken Sie, daß in der Zeit, in der das englische Volk seinen Shakespeare hatte, noch nicht der Nationalcharakter in dieser Weise umfaßt worden war, so daß gerade das Nicht-mehr-Verstehen-Können Shakespeares, gerade von seiten des englischen Volkes, davon herrührt, daß der Archangelos die Umklammerung mit dem bestimmt differenzierten Nationalcharakter vollzogen hat. Der Archangelos strebt beim italienischen Volk vorzugsweise nach seiner Macht, in der Empfindungsseele zu wirken, bei dem französischen Volk in der Verstandesseele und beim britischen Volk in die Bewußtseinsseele, beim deutschen Volk in das Ich. [16]

Zitate:

[1]  GA 11, Seite 139f   (Ausgabe 1955, 252 Seiten)
[2]  GA 121, Seite 26f   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[3]  GA 121, Seite 37f   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[4]  GA 121, Seite 38f   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[5]  GA 121, Seite 52ff   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[6]  GA 121, Seite 55f   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[7]  GA 121, Seite 57f   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[8]  GA 121, Seite 58ff   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[9]  GA 121, Seite 60f   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[10]  Bei 69, Seite 19   (Ausgabe 1980, 0 Seiten)
[11]  GA 64, Seite 118   (Ausgabe 1959, 495 Seiten)
[12]  GA 64, Seite 120   (Ausgabe 1959, 495 Seiten)
[13]  GA 64, Seite 128f   (Ausgabe 1959, 495 Seiten)
[14]  GA 64, Seite 131   (Ausgabe 1959, 495 Seiten)
[15]  GA 121, Seite 31f   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[16]  GA 159, Seite 137ff   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)

Quellen:

Bei 69:  Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe. Heft 69 (1980)
GA 11:  Aus der Akasha-Chronik (1904/1908)
GA 64:  Aus schicksaltragender Zeit (1914/1915)
GA 121:  Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie (1910)
GA 159:  Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister (1915)