Urphänomen oder Grundtatsache

Mir kam immer wenig darauf an, daß Atome in rein mechanischer oder sonst einer Wirksamkeit innerhalb des materiellen Geschehens angenommen werden. Mir kam es darauf an, daß die denkende Betrachtung von dem Atomistischen – den kleinsten Weltgebilden – ausgeht und den Übergang sucht zum Organischen, zum Geistigen. Ich sah die Notwendigkeit, von dem Ganzen auszugehen. Atome oder atomistische Strukturen können nur Ergebnisse von Geistwirkungen, von organischen Wirkungen sein. – Von dem angeschauten Urphänomen, nicht von einer Gedankenkonstruktion, wollte ich im Geiste der Goethe’schen Naturbetrachtung den Ausgang nehmen. Tief überzeugend war es mir immer, was in Goethes Worten liegt, daß das Faktische schon Theorie sei, daß man hinter diesem nichts suchen solle. Aber das bedingt, daß man für die Natur das hinnimmt, was die Sinne geben, und das Denken auf diesem Gebiete nur dazu benützt, von den komplizierten, abgeleiteten Phänomenen (Erscheinungen), die sich nicht übersehen lassen, zu den einfachen, zu den Urphänomenen zu kommen. Da merkt man dann, daß man es in der Natur wohl mit Farben- und anderen Sinnesqualitäten zu tun hat, innerhalb deren Geist wirksam ist; man kommt aber nicht zu einer atomistischen Welt hinter der sinnenfälligen. Was von Atomismus Geltung haben kann, gehört eben der Sinneswelt an. [1]

Zitate:

[1]  GA 28, Seite 419f   (Ausgabe 1962, 520 Seiten)

Quellen:

GA 28:  Mein Lebensgang (1923-1925)