Zyklopenauge

Man denke sich dieselbe Kraft, die das Auge von außen empfängt im Lichtäther, von innen nach außen ergossen, in der entgegengesetzten Richtung nach außen strömend durch die Augen. Wenn das der Fall wäre, so würde das Wesen die anderen um es herum beleuchten. Solches war vorhanden in einer gewissen Zeit, als die Menschen das Zyklopenauge besaßen. Der Mensch beleuchtete damals wie manche Meerestiere noch heute die Gegenstände rinsherum und seinen Körper. Dazumal hatte der Mensch noch kein Bewußtsein für sich, sondern er war damals lediglich ein Mittel für die entsprechende Gottheit, um für die Gottheit die Welt zu beleuchten. [1]

Die Sage von den Zyklopen – der Menschen mit dem einen Auge – geht zurück auf diese Menschenaugenform. Es ist kein eigentliches Auge, es ist eine Art von Wärmeorgan, und dieses weist dahin, wo er hingehen darf. So würden wir so etwas wie ein becherförmiges Organ haben, das sich nach unten ausweitet zur ersten Anlage des Herzens, und das umgeben war von einer Art von Fangarmen, so daß man oben eine Art von Blüte hatte. So war dieses Organ in der ersten Zeit. Später fängt dieses Organ an zu leuchten. [2]

Denken Sie sich ein eben geborenes Kind, bei dem oben auf dem Kopfe noch eine ganz weiche Stelle ist. Diese Stelle denken Sie sich ganz offen, und denken Sie sich von außen in diese Öffnung einen Wärmestrom hineingehend. Denken Sie sich diesen Wärmestrom nicht dicht materiell in Blutströmen, sondern in Kraftströmen, und hinuntergehend und eine Art Zentrum bildend da, wo jetzt Ihr eigenes Herz ist, und in einzelnen Adern sich verlaufend, aber Kraftadern, nicht Blutadern. Da haben Sie die erste Wärme-Menschenanlage. Daraus ist später in weitergehender Entwickelung das menschliche Herz mit seinen Blutgefäßen, es ist die Blutzirkulation daraus geworden. [3]

Wenn wir die Erde betrachten könnten zur Zeit der ersten, der polarischen Rasse, würden wir sie als eine Ätherkugel finden. Bald, verdichtete sich die Materie. Wir sehen in Anfängen sich das entwickeln, was wir Luft nennen. In der Luft selbst bildeten sich die ersten Anfänge dessen, was wir Feuer und Wasser nennen. Doch bestand in der Luft das Wasser erst als feuriger Nebel. Die Erde war damals, im Anfange der lemurischen Zeit ein dichter, qualmender Feuernebel. Wirkliches Wasser, wie wir es jetzt kennen, bildete sich erst später bei der Abkühlung der Erde und noch später erst das Feste. Man muß bedenken, daß in allen diesen Entwicklungsstadien die Menschen in irgendeiner Form dabei waren. Die menschliche Entwicklung hängt immer von der Umgebung ab. Wir wollen nun den Menschen betrachten, wie er in der Zeit der Feuernebelbildung anfängt sich zu entwickeln. Er hatte zu jener Zeit den Sinn des Gehörs und den Sinn des Gefühls für die Temperaturunterschiede und war ein vielfach gegliedertes, bewegliches Wesen, das in dem Feuernebel herumflog. Um zu fühlen, ob die Daseins-bedingungen günstige waren, ob es nicht zu warm oder zu kalt war, brauchte er ein Organ. Es bildete sich zu dieser Zeit das zyklopen(augen)artige Organ, das zunächst den Zweck hatte, ein Fühlorgan zu sein für die umgebende Temperatur, ob er in diese hineingehen konnte oder nicht. Dann fing die ganze Masse, in der er sich bewegte, an, feurig zu werden. Vorher war das, was wir jetzt Flamme nennen, nicht vorhanden; es bestand ein Temperaturgrad, der ein viel höherer war als der des jetzigen Feuers. Dieses Fühlorgan empfand, wie der Wärmezustand zur Flamme wurde und verdichtete sich so allmählich zum Sehorgan. Wir sehen also, daß sich dieses Fühlorgan von innen heraus bildet, weil es zunächst einem inneren Bedürfnis des Menschen entspringt; es soll angeben, ob er sich wohlfühlt oder nicht. Es ist also ursprünglich um des Menschen selbst willen da, damit er sich als Lebewesen unter den entsprechenden Bedingungen entwickeln kann. Nebenbei – zunächst als eine Begleiterscheinung des Fühlens – bildet es sich die Fähigkeit, die erkaltete Flamme, das Licht, wahrzunehmen. Das Organ befand sich oben auf dem Kopf des Menschen wie eine glühende Laterne (es gibt heute noch Tiefseefische mit einem solchen Leuchtorgan auf dem Kopfe). Mit zunehmender Verdichtung der Materie bildete es sich vom Fühlorgan in ein Sehorgan um. [4] Bis zur dritten Unterrasse der atlantischen Zeit gab es immer noch Menschen, die ihr eines Auge (das Auge der Zyklopen) entwickelt hatten und es zum Hellsehen benutzten. [5]

Zusammengeschrumpft zu der sogenannten Zirbeldrüse (siehe: Epiphyse) ist dieses Organ, das von der Decke des Kopfes jetzt bedeckt ist. Der Mensch trägt aber heute als Erbstück dieses alten Organs, mit dem er die geistigen Welten um sich erleben konnte, eines in seiner Seele in sich, und das ist die Sehnsucht nach diesen Welten, für die sich ihm das Tor geschlossen hat, das Tor seines eigenen Kopfes. Die Sehnsucht nach dieser Welt ist geblieben, nicht die Möglichkeit des Hineinschauens. [6]

Zitate:

[1]  GA 93a, Seite 223   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[2]  GA 102, Seite 86   (Ausgabe 1974, 238 Seiten)
[3]  GA 102, Seite 85   (Ausgabe 1974, 238 Seiten)
[4]  GA 89, Seite 170f   (Ausgabe 2001, 234 Seiten)
[5]  GA 89, Seite 168   (Ausgabe 2001, 234 Seiten)
[6]  GA 101, Seite 47   (Ausgabe 1987, 288 Seiten)

Quellen:

GA 89:  Bewußtsein – Leben – Form. Grundprinzipien der geisteswissenschaftlichen Kosmologie (1903-1906)
GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 101:  Mythen und Sagen. Okkulte Zeichen und Symbole (1907)
GA 102:  Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen (1908)