Wort – das innere Wort

Wenn wir schauend hinunterdringen unter den Erinnerungsspiegel, so bemerken wir das, was eigentlich immer im Menschen ist. Durch die Erkenntnis wird ja der Mensch nicht anders. Er erkennt nur das, wie er ist, wie er sonst immer ist. Aber indem wir so hinunterdringen, wir könnten sagen, in das innere Böse im Menschen und dann auch ein Bewußtsein davon bekommen, wie da in dieses innere Böse, wo die Materie zerstört wird, wo die Materie in ihr Chaos zurückgeworfen wird, die moralischen Impulse hineinwehen, dann haben wir den Anfang des geistigen Seins in uns selbst. Denn indem die moralischen Gesetze an der Materie wirken, die eins geworden, ins Chaos zurückgeworfen ist, haben wir in uns ein auf naturhafte Weise geistig Wirksames. Wir werden uns bewußt des konkreten geistig Wirksamen, das in uns ist und das der Keim für künftige Welten ist. Womit können wir das, was sich da in unserem Inneren ankündigt, vergleichen? Wir können es jetzt nicht vergleichen mit demjenigen, was unsere Sinne zunächst von der äußeren Natur uns mitteilen. Wir können es nur vergleichen mit dem, was uns etwa ein anderer Mensch mitteilt, wenn er zu uns spricht. Deshalb ist es mehr als ein Vergleich, wenn wir sagen: Was da im Inneren sich vollzieht, indem die moralischen oder auch unmoralischen Impulse sich mit dem Chaos in uns verbinden, das spricht zu uns. Und man kommt darauf, wie das, was wir äußerlich durch unsere Ohren hören können, eine für die Erdenwelt abgeschwächte Sprache ist, während in unserem Inneren eine Sprache gesprochen wird, die über die Erde hinausgeht, weil sie aus dem heraus spricht, was die Keime für künftige Welten enthält. Wir dringen da wirklich vor zu dem, was das «innere Wort» genannt werden muß. Allerdings so, daß in dem abgeschwächten Worte, das wir sprechen oder hören im Verkehr mit unseren Mitmenschen, ja Hören und Sprechen getrennt ist, während wir in unserem Inneren, wenn wir unter den Erinnerungsspiegel hinuntertauchen in das innere Chaos, eine Wesenhaftigkeit haben, wo in unserem Inneren selber gesprochen wird und zu gleicher Zeit gehört wird. Hören und Sprechen vereinigen sich da wiederum. Es ist nicht bloß ein inneres Wort, es ist zu gleicher Zeit etwas Objektives. Es spricht nicht unser Inneres, es spricht, bloß auf dem Schauplatz unseres Inneren, die Welt. Daher ist es auch für den, der nun eine Einsicht hat, wie hinter dem Sinnesteppich eine geistige Welt ist, wie da die geistigen Wesenheiten der höheren Hierarchien walten und weben, für den ist es so, daß er zunächst durch eine Imagination wahrnimmt diese Wesenheiten; aber sie werden für ihn, für sein Schauen von innerlichem Leben durchdrungen, indem er nun, scheinbar durch sich, aber in Wirklichkeit aus der Welt, das Wort vernimmt. Die Außenwelt wird gewissermaßen weltentönend, wenn das innere Wort erweckt ist. [1]

Das innere Wort entwickelt sich, nachdem der Mensch bereits astral schauen gelernt hat. Dann kommt er in den Devachanzustand, da hört er die Weltengeheimnisse tönen, tönen in sich, und da hört er dann den Namen, den jedes Ding hat. Auch dem Eingeweihten wird später dieser sein eigener Name gesagt, und diesen zu meditieren, ist von ganz besonderer Wirksamkeit. Das ist dann das innere Wort. Er wird dadurch erweckt, und dieses innere Wort ist dann der sichere Führer für die spätere Entwickelung. [2]

Durch Willkür muß es der Geistesforscher dahin bringen, daß alle seine Sinne schweigen; er muß ablenken können die Aufmerksamkeit aller Sinne von einem jeglichen Eindruck der Außenwelt. Er muß unterdrücken können, wie sie im Schlafe unterdrückt ist, die Tätigkeit der einzelnen Organe und der Glieder. Äußerlich, in bezug auf sein Leibliches, muß sich der Mensch verhalten lernen, wie er sich im Schlafe verhält, aber während er im Schlafe heruntersinkt zur Bewußtlosigkeit, erwacht er durch diese willkürliche, gesteigerte Hingabe in dem göttlich-geistigen Strom der Allkräfte. Er erwacht zu einer Bewußtheit, gegenüber der die alltägliche Bewußtheit ein Schlafen ist, wie sonst der Schlaf gegenüber der alltäglichen Bewußtheit. Wie wir durch die Konzentration die Denkkraft loslösen und sie dann nur im Geistig-Seelischen verlaufend haben, so lösen wir durch die Hingabe allmählich los diejenige Seelenkraft, die sonst in der menschlichen Sprache, im Gebrauch all der Werkzeuge, deren wir uns bedienen in der menschlichen Sprache, zur Anwendung kommt. Durch die genannten Übungen erlangt der Geistesforscher die Fähigkeit, durch vollständigen Stillstand des gesamten Sprachnerven-Apparates innerlich-seelisch dieselbe Kraft zu entfalten, ohne alle äußere Offenbarung dieser Kraft, die sonst durch die Sprache nach außen fließt. Man entdeckt dadurch in den Tiefen der Seele eine Fähigkeit, von der das äußere Leben sonst nichts weiß, weil diese Fähigkeit im gewöhnlichen Leben verbraucht wird im Sprechen und im Gebrauch der Sprachorgane, und die sonst, wenn sie nicht gebraucht wird zum Sprechen, eben ruht in den Tiefen der Seele. Lernt man leben und weben in dieser verborgenen sprachschöpferischen Tätigkeit, dann lernt man erkennen dasjenige, was man mit einem vielleicht nicht ganz zutreffenden Wort die Wahrnehmung des inneren Wortes, des geistigen Wortes, nennen kann. In dem Augenblick, in dem man in die Lage kommt, sich dieser verborgenen Kraft zu bemächtigen, kommt man auch in die Lage, mit dem Denken und Fühlen, das sonst nur an der eigenen Persönlichkeit haftet, herauszudringen aus sich selbst und einzudringen in eine geistige Welt, so daß man wahrnehmen lernt: Außer dir nimmst du jetzt wahr Fühlen und Wollen, so wie du sie sonst nur in dir wahrgenommen hast. – Das heißt, man beginnt auf dem Gebiete des Geistigen wollende, fühlende Wesen kennenzulernen. Erst muß das eigene Wollen und Fühlen untertauchen in die geistigen Wesen, dann nimmt man die geistigen Wesen wahr. [3]

Wenn wir in der Außenwelt einer anderen Persönlichkeit begegnen, uns mit ihr zusammensetzen, so sehen wir sie zuerst, wir sprechen mit ihr, tauschen mit ihr die Gedanken aus. Bei dem geistigen Erlebnis, tritt das Umgekehrte ein: Man betrachtet in sich Gedanken, man hat das Gefühl, daß man mit fremdem Fühlen und Wollen beisammen ist, und das baut sich auf zur Wahrnehmung fremder geistiger Individualität, der man nun gegenübersteht als einer wirklichen, aber einer nur im geistigen Feld vorhandenen fremden Individualität. Man lernt sie allmählich erkennen. [4] Allerdings ist ein solcher Verkehr mit einem geistigen Wesen und die Anregung der eigenen Gedanken nur möglich, wenn die Gedanken sich emanzipiert haben von dem Nervensystem und von dem Gehirn, wenn sie außerhalb des Gehirns als Denktätigkeit sich entwickeln. Man kommt allmählich dazu, zu sehen, daß sich das Denken, das sonst in der Intelligenz beschlossen ist, wie ein geistiges Wahrnehmungsorgan verselbständigt gegenüber unserer eigenen Wesenheit. [5] Daraus geht hervor, daß das selbständig gewordene Denken gleichsam das geistige Auge wird für die Wahrnehmung der geistigen Außenwelt. [6]

Zitate:

[1]  GA 207, Seite 38ff   (Ausgabe 1981, 192 Seiten)
[2]  GA 95, Seite 151   (Ausgabe 1978, 164 Seiten)
[3]  GA 154, Seite 111f   (Ausgabe 1973, 142 Seiten)
[4]  GA 154, Seite 115   (Ausgabe 1973, 142 Seiten)
[5]  GA 154, Seite 118f   (Ausgabe 1973, 142 Seiten)
[6]  GA 154, Seite 121   (Ausgabe 1973, 142 Seiten)

Quellen:

GA 95:  Vor dem Tore der Theosophie (1906)
GA 154:  Wie erwirbt man sich Verständnis für die geistige Welt?. Das Einfließen geistiger Impulse aus der Welt der Verstorbenen (1914)
GA 207:  Anthroposophie als Kosmosophie – Erster Teil:. Wesenszüge des Menschen im irdischen und kosmischen Bereich (1921)