Wille

Der äußere physische Leib, der ausgeflossen ist aus dem Wesen des alten Saturn, aus den Geistern des Willens, Throne, stellt nichts anderes dar, als den Willen von außen gesehen. Bei uns wirkt der Wille als Innenleben aus dem Inneren. [1]

Würde zu der fortschreitenden Weltevolution nichts hinzugekommen sein von ahrimanischen und luziferischen Kräften, dann würde der Mensch ein ganz anderes Wesen sein. Willensimpulse hat er (beispielsweise) nur dadurch, daß auf seinen Ätherleib luziferische Kräfte Einfluß gewinnen können. [2]

Der Wille ist eigentlich für das gewöhnliche Bewußtsein etwas außerordentlich Rätselhaftes; er ist eine Crux der Psychologen, einfach aus dem Grunde, weil dem Psychologen der Wille entgegentritt als etwas sehr Reales, aber im Grunde genommen doch keinen rechten Inhalt hat. Denn wenn Sie bei den Psychologen nachsehen, welchen Inhalt sie dem Willen verleihen, dann werden Sie immer finden: solcher Inhalt rührt vom Vorstellen her. Für sich selber hat der Wille zunächst einen eigentlichen Inhalt nicht. Was ist er aber eigentlich? Er ist nichts anderes, als schon der Keim in uns für das, was nach dem Tode in uns geistig-seelische Realität sein wird, so daß der Wille in der Tat sehr geistiger Natur ist. Wir müssen uns klar sein, daß im Menschen gewisse Kräfte vorhanden sein müssen, durch welche die Zurückwerfung der vorgeburtlichen Realität und das Im-Keime-Behalten der nachtodlichen Realität bewirkt wird. [3]

Wir tragen die Kraft der Antipathie in uns und verwandeln durch sie das vorgeburtliche Element in ein bloßes Vorstellungsbild. Und mit demjenigen, was als Willensrealität nach dem Tode hinausstrahlt zu unserem Dasein, verbinden wir uns in Sympathie. Diese zwei, der Sympathie und Antipathie, werden wir uns nicht unmittelbar bewußt, aber sie leben in uns unbewußt und sie bedeuten unser Fühlen, das fortwährend aus einem Rhythmus, aus einem Wechselspiel zwischen Sympathie und Antipathie sich zusammensetzt. [4] Das Wollen lebt in uns, weil wir mit ihm Sympathie haben, weil wir mit diesem Keim, der nach dem Tode sich erst entwickelt, Sympathie haben. Wird nun die Sympathie genügend stark, dann entsteht aus Sympathie die Phantasie. Und bekommen Sie die Phantasie genügend stark, was beim gewöhnlichen Leben nur unbewußt geschieht, wird sie so stark, daß sie wieder Ihren ganzen Menschen durchdringt bis in die Sinne, dann bekommen Sie die gewöhnlichen Imaginationen, durch die Sie die äußeren Dinge vorstellen. [5]

Alles, was als Willensimpulse auftritt, was unserer Betätigung in der Welt zugrunde liegt, all das ist vor dem Heruntersteigen ins irdische Leben als Furcht vorhanden. Diese Furcht ist etwas, was unter den Entwickelungskräften da sein muß, sonst würde der Mensch gar nicht in das irdische Dasein herunterkommen aus der geistigen Welt. Er würde die geistige Welt nicht fliehen. Er würde nicht den Impuls entwickeln, in einen begrenzten physischen Menschenleib einzuziehen. Daß er es tut, hängt eben damit zusammen, daß er die Furcht vor der geistigen Welt als eine ganz natürliche Eigenschaft der Seele hat, wenn er eine Zeitlang zwischen dem Tode und einer neuen Geburt gelebt hat. [6]

Der eigentliche Willensvorgang schläft im Menschen. Über das, was im Willen vorgeht, kommt man nur zu einer Erkenntnis, indem man im schauenden Bewußtsein bis zum wirklichen intuitiven Bewußtsein (siehe: Intuition) gelangt. Dann aber findet man, daß allerdings dieses Willenselement daneben noch – der gewöhnliche Gedanke steht für sich – von Gedanken, von Geistigem durchsetzt ist. In die Willensnatur des Menschen wirken hinein die Impulse früherer Erdenleben. Und in dem, was wir im gegenwärtigen Wollen entwickeln, heranzüchten, möchte ich sagen, leben die Impulse für folgende Erdenleben. [7] Gerade das ist das Wesentliche der Willenserscheinung, daß sie als bewußte ausgelöscht wird, deshalb, weil sich der Wille mit der nach unten gerichteten Schwerkraft vereinigt. Und unsere Intelligenz wird lichtvoll dadurch, daß wir uns vereinigen können mit dem Auftrieb, daß unser Gehirn entgegenarbeitet der Schwerkraft (durch den Auftrieb im Gehirnwasser). Sie sehen, durch die verschiedenartige Vereinigung des menschlichen Lebens mit dem zugrunde liegenden Materiellen wird auf der einen Seite das Untergehen des Willens in der Materie bewirkt und auf der anderen Seite wird die Aufhellung des Willens zur Intelligenz bewirkt. Nun bedenken Sie, daß wir eigentlich erleben, richtig erleben, wenn wir nicht in der heutigen Abstraktion den Menschen betrachten, sondern so betrachten, wie er wirklich ist, so daß das Geistige mit dem Physischen zusammenkommt – da muß das Geistige so stark gedacht werden, daß es auch die physische Kenntnis umfassen kann –, daß bei ihm auf der einen Seite durch eine besondere Vereinigung mit dem materiellen Leben, nämlich mit dem Auftrieb im materiellen Leben, die Aufhellung in die Intelligenz ist und auf der anderen Seite die Einschläferung, wenn wir den Willen gewissermaßen aufsaugen lassen müssen von dem nach unten gerichteten Druck, so daß der Wille im Sinne dieses nach unten gerichteten Druckes wirkt. Nur ein kleiner Teil von ihm filtriert sich durch bis zu dem 20 Gramm Druck (des Gehirnes auf die Unterlage als Gewichtsüberschuß über den archimedischen Auftrieb im Gehirnwasser), geht in die Intelligenz hinein. Daher ist die Intelligenz etwas vom Willen durchdrungen. [8]

Wenn der Mensch etwas will und man das mit dem Initiatenbewußtsein anschaut, ist es so, wie wenn man einen äußeren Vorgang des Verbrennens einer Kerze oder überhaupt ein wärmeentwickelndes Licht äußerlich anschaut. Geradeso wie man da von der äußeren Anschauung ein klares Bild hat, so kann man das Hineinschlagen des Gedankens in den Willen so sehen, daß man sagt: Der Gedanke entwickelt das Gefühl, und aus dem Gefühl geht hinunter – es bewegt sich beim Menschen von oben nach unten – Wärmeentwickelung, Flamme; und diese Flamme will. [9]

Man findet von dem Wollen im gegenwärtigen Menschen bloß, daß es einen befriedigt oder unbefriedigt läßt, daß es einem Freude macht, Trauer macht und dergleichen. Man findet sozusagen wirklich von dem Wollen nur den Gefühls-, den Gemütseindruck, aber das Wollen selber, es bleibt im Geheimnisvollen. Sie wissen nicht einmal, warum Sie eine Hand erheben; Sie wissen, warum, welches Gefühl Sie dazu verleitet hat, welche Vorstellung, aber wie Sie es machen, was eigentlich als Wille wirkt: Sie können es nicht im gegenwärtigen Menschen finden, das wollende Ich ist gar nicht im gegenwärtigen Menschen drinnen, sondern es ist das Ergebnis der vorigen Inkarnation. Was in der vorigen Inkarnation war, das lebt sich jetzt aus als Wille, der aus dem Ich herausfließt. Sage ich: ich will, dann lebe ich in dem, was herauswirkt aus der vorhergehenden Inkarnation in die gegenwärtige hinein. In dem Gedanken «ich bin» lebe ich in dem Keim der nächsten Inkarnation. [10] Der Mensch glaubt nämlich, wenn er etwas will, so entspringe das aus seinem Inneren. Es entspringt aus seinem alleräußersten Teile, es entspringt aus demjenigen, worin er bei dem Tagwachen schon ganz und gar nicht drinnen ist, worin er höchstens, wenn er schläft, drinnen ist. Wenn wir etwas wollen, sind wir gar nicht in uns. Wir sind im Kosmos. Wir vollziehen etwas, was kosmisches Ereignis ist, was gar nicht unser subjektives Ereignis bloß ist. Mein ganzes Entwickeln erkenntnistheoretischer Begriffe in meinem Büchlein «Wahrheit und Wissenschaft» GA 3 klingt zuletzt, auf der letzten und vorletzten Seite, aus in dieses, daß der Mensch ein Schauplatz ist für dasjenige, was eigentlich der Kosmos in ihm tut, und daß er es in Verbindung mit dem Kosmos tut, von außen herein, nicht von innen hinaus tut. [11]

Wenn wir auf unseren Willen eingehen, auf alles das, was in uns Wunsch und Willen sein kann, so ist es hier, nur in einem höheren Maße, ebenso wie es beim Gefühle ist, daß man dem Gefühle gegenüber ein geheimes Erlebnis hat: es könnte uns viel mehr verraten von dem, was in ihm liegt, er verbirgt etwas von dem, was in unserem eigenen Inneren lebt, was in den Tiefen der Seele ist, und was nur halb geboren heraufkommt. Nur daß hinter dem Willen die geistige Wesenheit, die Grundwesenheit steht, die eigentlich in der Sonne lebt. Nicht bloß das, was in den Planeten lebt, sondern das was in der ganzen Sonne lebt, lebt da im Willen auch mit darin. Aber es verbirgt sich. Der Wille wird noch weniger ganz geboren als das Gefühl. Der Wille würde uns ganz, ganz anders durchdringen, wenn alles, was in ihm liegt, wirklich in unserem Bewußtsein zum Vorschein käme. Es kommt wirklich nur die alleräußerste Oberfläche des Willens, es kommen nur die alleroberflächlichsten Schaumgebilde des Willens zum Ausdruck. Das andere bleibt uns verborgen. Und warum bleibt uns im Gefühl und im Willen im Grunde genommen eine ganze Welt verborgen? Weil das, was uns verborgen bleibt, wenn es angeschaut würde vom physischen Plane aus, von uns nicht ertragen werden könnte. Vom physischen Plane aus nähme es sich so aus, daß wir es abwehren wollten, daß wir uns abwenden wollten davon. Das, was da im Gefühl und im Willen lebt und ungeboren ist, das ist werdendes Karma. Sagen wir, wir fühlen eine feindliche Empfindung gegen irgend jemand, um ein konkretes Beispiel zu wählen. Ja, was da in dieser feindlichen Empfindung zu unserem Bewußtsein kommt, das ist eben nur das äußerliche Wellenspiel. Da drinnen liegen Kräfte, die über das ganze Planetensystem ausgebreitet sind. Aber das, was uns verborgen bleibt, das ist gerade das, was uns sagt: Durch deine feindliche Empfindung pflanzest du in dich etwas Unvollkommenes, das mußt du ausgleichen.

In dem Augenblick, wo herauftauchen würde, was da unten mitlebt, würde vor uns die Imagination desjenigen auftauchen, was im Karma die feindliche Empfindung ausgleichen muß. Und wir würden uns mit Luzifer und Ahriman verbinden, um abzuwehren diesen Ausgleich, weil wir von dem Standpunkt des physischen Planes aus urteilen würden. Aber es wird uns auf diesem physischen Plane das verborgen; der Hüter der Schwelle verbirgt es uns aus dem Grunde, weil wir diese Dinge, die nicht geboren werden an unserem Gefühl, an unserem Willen, nur beurteilen können, wenn wir in der geistigen Welt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt leben. Da wollen wir das, was wir sonst nie wollen würden, da wollen wir, daß das, was einer feindseligen Stimmung entspricht, wirklich ausgeglichen werde, weil wir da das rechte Interesse haben an dem Inhalt der Götterreligion, an dem vollkommenen Menschheitsideal, das aus uns den vollkommenen Menschen machen will. Von dem wissen wir, daß durch einen entgegengesetzten Ausgleich das wettgemacht werden muß, was durch eine feindselige Empfindung verursacht worden ist. Es muß für die Zukunft nach dem Tode aufbewahrt bleiben, und dann erst darf herauskommen, was ungeboren ist an unserem Gefühle und unserem Willen. Das, was von unserem Gefühl ungeboren verbleibt, lebt im Astralleib; das, was vom Willen ungeboren bleibt, lebt im Ich. [12]

Wir würden, wenn richtiger Einklang herrschte zwischen dem geborenen Teil von Gefühl und Wille und dem, was hinter der Schwelle des Bewußtseins bleibt, wenn richtiges Verhältnis, richtige Harmonie bestünde, als in der Sinnenwelt befriedigte und tüchtige Menschen durch diese Sinnenwelt gehen. Hier liegt eigentlich der Grund zu allen inneren Unzufriedenheiten. Wenn jemand innere Unzufriedenheiten hat, so kommt es von dem Druck des unterbewußten Teiles des Fühlens und Wollens. [13]

Es führt das Vorstellungsleben in eine andere Welt, es führt das Gefühlsleben in eine andere Welt, und wiederum das Willensleben in eine andere Welt. Dazu ist gerade die Menschenseele da, um eine Einheit zu bilden aus demjenigen, was in der vormenschlichen, also augenblicklich vormenschlichen Welt eine Dreiheit ist. [14]

Obzwar wir uns in gemeinsame Welten hineinstellen durch unseren Willen, sind wir gerade durch diesen Willen so in die Welt hineingestellt, daß wir jeder eine einzelne Individualität für uns sind durch diesen Willen. So werden wir gerade dadurch hingewiesen darauf, wie der Wille den ganzen individuellen Wert des Menschen ausmacht, wie der Wille sozusagen von diesem Gesichtspunkt aus das Innerste ist. [15]

Solange die Seele noch über den Stoff herrschen konnte, gestaltete sie ihren Leib weder männlich noch weiblich, sondern gab ihm Eigenschaften, die beides zugleich waren. Sie trägt in sich diese beiden Naturen. Ihr männliches Element ist dem verwandt, was man Willen nennt, ihr weibliches dem, was als Vorstellung bezeichnet wird.

Die äußere Erdenbildung hat dazu geführt, daß der Leib eine einseitige Bildung angenommen hat. Der männliche Leib hat eine Gestaltung angenommen, die aus dem Element des Willens bestimmt ist, der weibliche hingegen trägt mehr das Gepräge der Vorstellung. So kommt es denn, daß die zweigeschlechtliche, männlich-weibliche Seele in einem eingeschlechtlichen, männlichen oder weiblichen Leib wohnt. [16]

Zitate:

[1]  GA 121, Seite 97   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[2]  GA 158, Seite 136   (Ausgabe 1993, 234 Seiten)
[3]  GA 293, Seite 33f   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[4]  GA 293, Seite 34f   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[5]  GA 293, Seite 36f   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[6]  GA 210, Seite 120f   (Ausgabe 1967, 245 Seiten)
[7]  GA 178, Seite 31   (Ausgabe 1980, 248 Seiten)
[8]  GA 320, Seite 50   (Ausgabe 1987, 204 Seiten)
[9]  GA 243, Seite 220f   (Ausgabe 1983, 246 Seiten)
[10]  GA 176, Seite 144   (Ausgabe 1982, 392 Seiten)
[11]  GA 191, Seite 160   (Ausgabe 1983, 296 Seiten)
[12]  GA 153, Seite 114f   (Ausgabe 1978, 190 Seiten)
[13]  GA 153, Seite 116   (Ausgabe 1978, 190 Seiten)
[14]  GA 178, Seite 202   (Ausgabe 1980, 248 Seiten)
[15]  GA 153, Seite 77f   (Ausgabe 1978, 190 Seiten)
[16]  GA 11, Seite 75   (Ausgabe 1955, 252 Seiten)

Quellen:

GA 11:  Aus der Akasha-Chronik (1904/1908)
GA 121:  Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie (1910)
GA 153:  Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt (1914)
GA 158:  Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt. Kalewala – Olaf Åsteson – Das russische Volkstum – Die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen (1912-1914)
GA 176:  Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten. Das Karma des Materialismus (1917)
GA 178:  Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen (1917)
GA 191:  Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis (1919)
GA 210:  Alte und neue Einweihungsmethoden. Drama und Dichtung im Bewußtseins-Umschwung der Neuzeit (1922)
GA 243:  Das Initiaten-Bewußtsein. Die wahren und die falschen Wege der geistigen Forschung (1924)
GA 293:  Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (1919)
GA 320:  Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik, I. Erster naturwissenschaftlicher Kurs: Licht, Farbe, Ton – Masse, Elektrizität, Magnetismus (1919/1920)