Ton

Wenn wir bloß hingegeben wären an die Welt der Wahrnehmungen, dann lebten wir eigentlich als Menschen in unserem ätherischen Leibe und mit dem ätherischen Leibe in einer ätherischen Welt. Sie brauchen sich nur vorzustellen, wie Sie, hingegeben durch die Augen an die Farbenwelt, in einer ätherisch wogenden Farbenwelt leben würden, wie Sie, hingegeben durch Ihre Ohren an die tönende Welt, in einem wogenden Tonmeer leben würden, das allerdings nicht ätherisch zunächst ist, aber es würde ätherisch sein, wenn Sie nicht den Gegenstoß durch die Ideen liefern würden. Nämlich so, wie die Töne zunächst für uns Menschen sind, so sind sie das Ätherische. Wir schwimmen im Luftmeere und dadurch im verdichteten Ätherischen. Es ist also Ätherisches, das nur bis zur Luft materiell verdichtet ist; die Töne sind nur der luftförmig-materielle Ausdruck wiederum vom Ätherischen. Denken Sie sich also weg den Gegenstoß der Ideenwelt von innen, denken Sie sich, Sie lebten in einem ätherischen Meere als ätherische Wesenheit, Sie würden niemals zu jener menschlichen Konsistenz kommen, mit der Sie eigentlich zwischen Geburt und Tod in der Welt dastehen. Dadurch nur können Sie zu dieser Konsistenz kommen, daß Sie darauf hinorganisiert sind, dieses Ätherische abzutöten, abzulähmen. Und wodurch lähmen wir es ab? Wodurch töten wir es ab? Durch den Gegenstoß der Ideen ! Wir hätten eine ätherische Welt um uns, wenn wir nicht durch die Ideenwelt ertöteten dieses Ätherische, es herunterbrächten zur physischen Gestaltlichkeit. Die Ideenwelt, so wie wir sie als Mensch haben, sie verbindet sich in unseren Gesamtorganen mit den Sinnesqualitäten, lähmt diese Sinnesqualitäten ab und bringt sie herunter bis zu dem, was wir eben als physische Welt erleben. [1] Von Anfang an war die Erde nicht nur glühend, leuchtend, sondern auch tönend, und der Ton war in der Erde geblieben, so daß, als das Licht hinausging (siehe: Erdentwickelung, Sonnenabtrennung), innerlich das Wasser zwar dunkel wurde, innerlich aber auch vom Ton durchdrungen wurde, und der Ton war es, der dem Wasser gerade die Gestaltung, die Form gab, wie man das ja an dem bekannten physikalischen Experiment (der Chladnischen Schwingungs-figuren) kennenlernen kann. Wir sehen, daß der Ton ein Gestaltendes ist, eine formende Kraft, weil durch den Ton die Teile gegliedert oder geordnet werden. Der Ton hat eine formende Kraft, und die war es, die auch den Leib aus dem Wasser heraus geformt hat. Das war die Kraft des Tones, die noch in der Erde geblieben war. [2]

Wenn der Mensch singt oder spricht, dann kommt im Tone und in der Vokalisierung eigentlich immer ein Spektrum des ganzen Menschen zum Vorschein. Das, was man hört, ist der Ton, ist der Vokal. Dasjenige, was aber alles zum Vorschein kommt für das hellseherische Bewußtsein, das ist im Grunde genommen ein ganzer Mensch in einer gewissen Bewegungsform. [3] (Siehe: Eurythmie).

Es gibt gewisse Urformeln der Gebete – es liegt in dem Laut der Sprache eine bestimmte Wirkung. So waren auch die ersten Worte des Johannes-Evangeliums beschaffen. Das alles ist aber doch nur schattenhaft gegen das, was damals in der Atlantis als Tonzusammensetzung in der Adeptenschule angewendet wurde. So war gerade die siebengliedrige Natur des Menschen etwas, was in der Adeptenschule der (Ur-)Turanier mitgeteilt worden ist. So aber sind sie im Vaterunser heute noch als Gedanken verborgen. Dieses Vaterunser ist der Ausdruck der siebengliedrigen Menschennatur. Dem Schüler der turanischen Adepten wurde es dadurch klargemacht, daß man ihm eine Tonskala als Sinnbild für die sieben Glieder des Menschen zu Gehör brachte, vermischt mit bestimmten Farbenvorstellungen und einer Aromaskala. Was in der siebengliedrigen Harmonieskala lag, das stieg in ihm als inneres Erlebnis auf, wozu das, was äußerlich da war, nur ein Mittel darstellte. Das gossen die großen Religionsstifter in gewisse Formeln, und das goß auch der größte von ihnen in das Vaterunser, und ein jeder, der das Vaterunser betet, hat die Wirkung des Vaterunsers. [4] Und im letzten atlantischen Zeitraum nahm dann etwas ab, was bis dahin geblieben war, was später eigentlich nur noch in der Erinnerung lebte: Indem man Töne hörte, Farben sah, war man sich klar, daß in dem Tone, den man hörte, in der Farbe, die man sah, Geistiges lebte, daß geistige Kräfte in das Innere drangen, wenn man Töne hörte. [5] Was Farbe und Ton ist kommt von den Saturnwesen. [6] Dasjenige, was den Ton, was den Laut eigentlich innerlich seelisch macht, kommt dadurch zustande, daß die Wärme gewissermaßen auf den Wellen der Luft, die den Ton rein äußerlich bildet, daß diese Wärme auf den Wellen dieser Luft flutet. So ist in der flutenden Luft selbst der astralische Leib tätig, und in der Wärme, die da auf den Wellen dieser Luft flutet, ist das Ich. Und der astralische Leib und das Ich, die sind sonst nicht nur in der Luft und Wärme, sondern sie sind auch in dem flüssigen und in dem festen Elemente des Menschenleibes. Da ziehen sie sich teilweise heraus, wenn der Mensch spricht oder singt, und beschränken sich auf Luft und Wärme. So daß in der Tat Singen und Sprechen ein Herausgehen des astralischen Leibes und des Ich sind von dem eigentlichen Gefüge der menschlichen Leiblichkeit, nur daß sie nicht wie beim Schlafe ganz herausgehen, sondern eben teilweise herausgehen, nämlich aus dem festen und flüssigen Elemente des menschlichen Leibes, die dann zurückbleiben. Daraus aber sehen Sie, daß im ganzen menschlichen Leibe etwas geschieht, wenn der Mensch singt oder spricht. Zuletzt entsteht auch im Menschen kein Ton anders, als daß er aus solchen Untergründen (Lust, Schmerz) herauskommt. Warum erregt der Mensch den Ton, wenn er in Lust verfällt? In Lust verfallen heißt eigentlich, sich an die Umgebung verlieren. Alles, was Lust macht, ist eigentlich ein Sichverlieren des Menschen. Und alles, was Schmerz macht, ist ein zu starkes Sichgewahrwerden. Man findet sich zuviel, wenn man Schmerz hat. Das harmonische Empfinden des Menschen bildet die Gleichgewichtslage zwischen Lust und Schmerz. Warum erregt der Mensch nun den Ton bei Lust oder Schmerz ? Er erregt den Ton, wenn er sich in der Lust verlieren will, damit er sich behält. Im Ton behält er sich; sonst ginge ihm der ganze astralische Leib fort, und das Ich, in der Lust. Wenn er den Ton erregt, da erhält er sich. Alle Erscheinungen, bei denen von lebendigen Wesen der Ton kommt, sind eigentlich darauf beruhend. Der Mond hat eine starke Wirkung auf verschiedene Wesen zum Beispiel auf den Hund. Er droht ihm seinen astralischen Leib zu entreißen. Deshalb bellt der Hund den Mond an, weil er dadurch seinen Astralleib befestigt in sich. Wenn Ich und Astralleib in Schmerz versinken, dann sucht sich der Mensch, indem er den Ton erregt oder den Laut erregt, wiederum in der richtigen Weise, weil er sich zu stark gefunden hat, sich selber zu entreißen. In dem Klageton, in dem Mollton versucht der Mensch sich selber zu entreißen, weil er sich zu stark gefunden hat. [7] (Siehe: Sprache – Grundlagen der Sprache).

Zitate:

[1]  GA 198, Seite 218f   (Ausgabe 1984, 320 Seiten)
[2]  GA 106, Seite 70   (Ausgabe 1978, 180 Seiten)
[3]  GA 161, Seite 16   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[4]  GA 96, Seite 232ff   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[5]  GA 174a, Seite 159   (Ausgabe 1982, 308 Seiten)
[6]  GA 218, Seite 152   (Ausgabe 1976, 336 Seiten)
[7]  GA 278, Seite 32ff   (Ausgabe 1984, 150 Seiten)

Quellen:

GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 106:  Ägyptische Mythen und Mysterien. im Verhältnis zu den wirkenden Geisteskräften der Gegenwart (1908)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)
GA 174a:  Mitteleuropa zwischen Ost und West (1914-1918)
GA 198:  Heilfaktoren für den sozialen Organismus (1920)
GA 218:  Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus (1922)
GA 278:  Eurythmie als sichtbarer Gesang. (Ton-Eurythmie-Kurs) (1924)