Todesvorgang

Derjenige, der dafür ein Auge hat, kann schon beobachten an jemandem, dessen Tod nahe ist, wie sich die verschiedenen Glieder, physischer Leib, Ätherleib, astralischer Leib, voneinander lösen. [1] Die Erscheinung des Todes geht so vor sich, daß sich im Moment des Todes der Zusammenhang, der zwischen dem Äther- und Astralleib einerseits und dem physischen Leib anderseits besteht, namentlich im Herzen löst. Eine Art Aufleuchten findet statt im Herzen, und dann hebt sich über den Kopf heraus Ätherleib, Astralleib und Ich. [2] Die Region des Nabels ist die Region, wo der Ätherleib zunächst verlassen muß den Menschen. [3] Der Astralleib hängt (auch) im Schlafe nur durch einen dem Hellseher wahrnehmbaren astralischen Strang in der Gegend der Milz mit dem physischen Leibe (vermittelt durch den Ätherleib) zusammen. [4]

Wir können mit einem gewissen Recht sagen: In der Stunde des Todes scheiden die Geister der Form (Exusiai) ihre kosmischen Gedanken von den kosmischen Gedanken der Geister der Weisheit, Kyriotetes. Die Geister der Form, Exusiai nehmen ihre Gedanken in die Luft hinauf, die Geister der Weisheit senken ihre stofflichen Gedanken in die Erde hinein. Dadurch ist im Leichnam so ein Nachschatten von den Gedanken der Geister der Weisheit noch vorhanden, wenn die Geister der Form ihre Gedanken zurückgenommen haben in die Luft. Das ist der physische Tod; das ist er in Wahrheit. [5]

Der Tote verläßt den physischen Leib durch die Region des Raumes. In dem Augenblicke, wo man den physischen Leib verlassen hat, geht man gerade in demjenigen auf, was außerhalb des physischen Leibes ist. Wenn ich hier stehe und ich meinen Leib verlasse, so ist das erste, in dem ich drin bin, der Tisch, und dann alles, was mich umgibt. Ich bin immer in demjenigen drinnen, was die Welt erfüllt, und immer weiter in dem drinnen, nur just nicht innerhalb meiner Haut. Dasjenige, was bisher meine physische Innenwelt war, das wird meine Außenwelt, und alles, was früher die Außenwelt war, wird meine Innenwelt. So wird auch das Moralische meine Außenwelt (siehe: Kamaloka). [6] Der Tote verläßt die physische Welt und ist ja insbesondere in den ersten Tagen noch mit der physischen Welt zusammenhängend. Und da ist es sehr bedeutungsvoll, daß der Tote aus der physischen Welt hinausgeht gar sehr angepaßt an die Konstellation, die sich für sein Leben aus der Stellung der Planeten ergibt. Solange namentlich der Tote noch mit seinem Ätherleib zusammenhängt, klingen und schwingen wunderbar nach die Planetenkräfte, die Konstellation der Planetenkräfte durch diesen Ätherleib. So wie im Embryowasser beim Entstehen des physischen Menschen außerordentlich stark mitschwingen die Erdenterritorialkräfte, so schwingen bei dem Toten, der noch in seinem Ätherleib ist, in einer ganz auffälligen Weise die Kräfte mit, die mit den Sternenkonstellationen zusammenhängen in dem Augenblick, wo – das ganze ist ja karmisch bedingt – der Tote die physische Welt verlassen hat (siehe: Todeshoroskop). Das zweite, was nun im Verhältnis des Menschen zum Kosmos in Betracht kommt, das ist, daß der Mensch wirklich in einer gewissen Richtung, könnte man sagen, die physische Welt verläßt, wenn er selbst geistig wird nach Ablegung des Ätherleibes. Da ist es, wo man zuletzt noch im richtigen Sinne, nicht bloß im bildlichen Sinne auf dasjenige, was der Tote tut, Begriffe anwenden kann, die der physischen Welt entnommen sind; denn nach diesem Stadium werden die Begriffe mehr oder weniger Bilder. Nun kann man sagen: Im zweiten Stadium wird – und jetzt gilt eben die Richtung noch physisch, obwohl es aus dem Physischen hinausgeht – die Richtung nach dem jeweiligen Osten eingeschlagen. (Da) gelangt er schon in das Gebiet der Sphäre, das heißt, er erlangt die Möglichkeit, nun an den Sphärenkräften teilzunehmen, die nun nicht, wie hier der Mensch, zentrifugal, sondern zentripetal nach dem Mittelpunkte der Erde hin wirken; er gelangt in die Sphäre hinein, in die Möglichkeit nach der Erde zu wirken. [7]

Wenn wir nun als Mensch unseren physischen Leib verlassen, wohinein gehen wir denn, wohinein tauchen wir denn eigentlich unter? Wir tauchen wie in Blitzesschnelligkeit mit unserem Tode in das unter, was aus all den übersinnlichen Kräften unseren physischen Leib bildet. Sie können sich ganz ruhig vorstellen, daß alle die Baukräfte, die seit der Saturnzeit an Ihrem physischen Leib gewirkt haben, sich ins Unendliche ausdehnen und Ihnen den Ort bereiten, in dem Sie leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Alles das ist, möchte ich sagen, nur zusammengezogen in dem Raum, der von unserer Haut eingeschlossen ist zwischen der Geburt und dem Tode. Wenn wir nun außerhalb des physischen Leibes sind, dann machen wir vor allen Dingen eine Erfahrung, die für das ganze nachfolgende Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt wichtig ist. Während niemals die unmittelbare Anschauung unserer Geburt vor unserer Seele stehen kann in dem physischen Leben, steht im ganzen Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt der Moment des Todes, wenn der Mensch nur hinschaut auf ihn geistig, vor der Seele. Nur müssen wir uns allerdings klar sein, daß dieser Moment des Todes dann von der anderen Seite gesehen wird. Wenn der Tod etwas Schreckhaftes haben kann, so ist es nur deshalb, weil er hier gesehen wird als eine Auflösung gewissermaßen, als ein Ende. Von der anderen Seite, von der geistigen Seite her, wenn zurückgeschaut wird zum Moment des Todes, erscheint der Tod immerfort als der Sieg des Geistes, als das Heraus-sich-Winden des Geistes aus dem Physischen. Da erscheint er als das größte, herrlichste, als das bedeutsamste Ereignis. Und außerdem entzündet sich an diesem Ereignisse dasjenige, was unser Ich-Bewußtsein nach dem Tode ist. Wir haben in der ganzen Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt nicht nur in ähnlichem, sondern sogar in einem viel höheren Sinne ein Ich-Bewußtsein als hier im physischen Leben. Aber dieses Ich-Bewußtsein würden wir nicht haben, wenn wir nicht immerfort zurückblicken könnten, sehen würden, aber von der anderen Seite, von der geistigen Seite, diesen Moment, in dem wir uns herausgerungen haben mit unserem Geistigen aus dem Physischen. Daß wir ein Ich sind, wissen wir nur dadurch, daß wir wissen: Wir sind gestorben, wir haben unser Geistiges aus unserem Physischen herausgelöst. In dem Augenblicke, wo wir jenseits der Pforte des Todes nicht hinschauen auf den Moment des Todes, da ist es für dieses Ich-Bewußtsein nach dem Tode so, wie es für das physische Ich-Bewußtsein hier im Schlafe ist. Wie man im Schlafe nichts weiß von dem physischen Ich-Bewußtsein, so weiß man nach dem Tode nichts von sich, wenn man nicht vor Augen hat diesen Moment des Sterbens. Man hat ihn als einen der herrlichsten, als einen der erhabensten Augenblicke vor sich. [8]

Wir haben gewissermaßen hier in der physischen Welt die eine Seite des Ich-Bewußtseins; nach dem Tode haben wir die andere Seite des Ich-Bewußtseins. Ich habe vorhin auseinandergesetzt, wo eigentlich das Übersinnliche unseres physischen Leibes ist nach dem Tode, wo wir es zu suchen haben. In der ganzen Welt, so weit wir sie nur ahnen können, haben wir dieses Physische als Kräfteverhältnis, als Kräfteorganismus, als Kräftekosmos zu suchen. Dieses Physische bereitet uns den Ort, durch den wir durchzugehen haben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Es ist also dasjenige, was wir hier in unserem physischen Körper, in diesem verhältnismäßig zur Gesamtwelt kleinen Körper eingeschlossen haben in unserer Haut, wirklich ein Mikrokosmos, wirklich eine ganze Welt. Sie ist wirklich nur zusammengerollt – möchte ich sagen, wenn ich trivial sprechen darf –, sie rollt sich dann auf und erfüllt die Welt mit Ausnahme eines kleinen Raumes, der immer leer bleibt. Wenn wir zwischen dem Tode und einer neuen Geburt leben, sind wir eigentlich mit dem, was hier unserem physischen Leib als übersinnliche Kräfte zugrunde liegt, überall in der Welt, nur an einem einzigen Orte nicht, der bleibt leer. Das ist der Raum, den wir hier in der physischen Welt einnehmen innerhalb unserer Haut. Und immer blicken wir auf diese Leere. Wir schauen uns dann von außen an und schauen in eine Hohlheit hinein. Dieses Hinschauen ist nicht ein abstraktes Hinschauen, wie man hier auf dem physischen Plan hinstiert auf irgendwelche Dinge, sondern dieses Hinschauen ist verbunden mit einer mächtigen inneren Lebenserfahrung, mit einem mächtigen Erlebnis. Es ist verbunden damit, daß in uns durch die Anschauung dieser Leere aufsteigt eine Empfindung, die uns nun begleitet durch unser ganzes Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, die viel von dem ausmacht, was wir überhaupt dieses jenseitige Leben nennen. Es ist die Empfindung: Da ist etwas in der Welt, das muß immer wieder und wiederum von dir ausgefüllt werden. – Und man erlangt dann die Empfindung: Man ist in der Welt zu etwas da, wozu man nur selber da sein kann. Man empfindet seinen Platz in der Welt. Man empfindet, daß man ein Baustein ist in der Welt, ohne den die Welt nicht sein könnte. Das ist die Anschauung dieser Leere. Das Darinnenstehen als etwas, was zu der Welt gehört, das überkommt einen dadurch, daß man auf diese Leere hinschaut. [9]

Es scheint auch so, daß sich das Bewußtsein nach dem Tode verdunkelt – es ist (aber) das Bewußtsein ein überaus helles, und nur weil der Mensch noch ungewohnt ist, in der allerersten Zeit nach dem Tode in diesem übermäßig klaren Bewußtsein zu leben, tritt zunächst unmittelbar nach dem Tode etwas wie ein Schlafzustand ein. [10]

Mit dem Tode tritt die Abtrennung des physischen Leibes vom Ätherleib ein. Ätherleib und Astralleib halten eine Zeitlang durch eine Kraft zusammen. Wäre diese Kraft nicht vorhanden, so könnte sich der Ätherleib gar nicht aus dem physischen Leibe herauslösen. Während der Verbindung der beiden Leiber ist der Mensch in einem Zustande, durch den er die Erlebnisse seines Astralleibes wahrnehmen kann. Solange der physische Leib da ist, muß mit der Loslösung des Astralleibes von ihm sogleich die Arbeit von außen beginnen, um die abgenutzten Organe zu erfrischen. Ist der physische Leib abgetrennt, so fällt diese Arbeit weg. Doch die Kraft, welche auf sie verwendet wird, wenn der Mensch schläft, bleibt nach dem Tode, und sie kann jetzt zu anderem verwendet werden. Sie wird nun dazu gebraucht, um die eigenen Vorgänge des Astralleibes wahrnehmbar zu machen. [11]

Neue Erlebnisse hat zunächst der Astralleib nicht. Die Verbindung mit dem Ätherleibe hindert ihn daran, etwas Neues zu erleben. Was er aber besitzt, das ist die Erinnerung an das vergangene Leben. Diese läßt der noch vorhandene Ätherleib als ein umfassendes, lebensvolles Gemälde erscheinen. Der Seele geht nichts verloren von dem, was im Leben auf sie Eindruck macht. Wäre der physische Leib dazu ein vollkommenes Werkzeug: es müßte in jedem Augenblicke des Lebens möglich sein, dessen ganze Vergangenheit vor die Seele zu zaubern. Mit dem Tode hört dieses Hindernis auf. Solange der Ätherleib dem Menschen erhalten bleibt, besteht eine gewisse Vollkommenheit der Erinnerung. Sie schwindet aber in dem Maße dahin, in dem der Ätherleib die Form verliert, welche er während seines Aufenthaltes im physischen Leibe gehabt hat und welche dem physischen Leibe ähnlich ist. Das ist ja auch der Grund, warum sich der Astralleib vom Ätherleib nach einiger Zeit trennt. Er kann nur solange mit diesem vereint bleiben, als dessen dem physischen Leib entsprechende Form andauert. [12]

Nicht die Seele und der Geist verlassen den Leib, sondern er wird von denselben entlassen, wenn seine Kräfte nicht mehr im Sinne der menschlichen Organisation wirken können. Ebenso ist das Verhältnis von Seele und Geist. Die Seele wird den Geist in die höhere, in die geistige Welt entlassen, wenn ihre Kräfte nicht mehr im Sinne der menschlichen Seelenorganisation wirken können. In dem Augenblicke wird der Geist befreit sein, wenn die Seele dasjenige der Auflösung übergeben hat, was sie nur innerhalb des Leibes erleben kann, und nur das übrig behält, was mit dem Geiste weiterleben kann. [13]

Nach der Trennung von dem Ätherleib ist nun der Astralleib für sich allein auf seiner weiteren Wanderung. Es ist unschwer einzusehen, daß in dem Astralleib alles das vorhanden bleibt, was dieser durch seine eigene Tätigkeit während seines Aufenthaltes im physischen Leibe zu seinem Besitz gemacht hat. Das Ich hat bis zu einem gewissen Grade das Geistselbst, Manas, den Lebensgeist, Buddhi und den Geistesmenschen, Atma herausgearbeitet. Soweit diese entwickelt sind, erhalten sie ihr Dasein nicht von dem, was als Organe in den Leibern vorhanden ist, sondern vom Ich. Und dieses Ich ist ja gerade dasjenige Wesen, welches keiner äußeren Organe zu seiner Wahrnehmung bedarf. Und es braucht auch keine solchen, um im Besitze dessen zu bleiben, was es mit sich selbst vereint hat. Man könnte einwenden: ja warum ist im Schlafe keine Wahrnehmung von diesem entwickelten Manas, Buddhi und Atma vorhanden? Sie ist deswegen nicht vorhanden, weil das Ich zwischen Geburt und Tod an den physischen Leib gekettet ist. [14]

Das ganze Leben hindurch zwischen Tod und neuer Geburt steht dem Menschen als der lebendigste, als der hellste Eindruck der Moment des Todes, den er vorher durchgemacht hat, vor dem Seelenauge. Er sieht in dem Tod etwas, was man als das Allerschönste auch in der geistigen Welt bezeichnen muß. Denn es gibt in dem, was der Mensch zunächst normalerweise in der geistigen Welt erleben kann, nichts Schöneres als der Anblick des Todes. Diesen Sieg des Geistes über das Materielle, dieses Aufleuchten des geistigen Lichtes der Seele aus der dunklen Finsternis des Materiellen zu schauen, das ist das Größte, das Bedeutsamste, das geschaut werden kann auf der anderen Seite des Lebens, die der Mensch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt durchmacht. Und in diesem Zurückblicken wird man seines Selbstes in der geistigen Welt gewahr. Es ist die Besinnung auf sich, zu seinem Tode zurückzublicken. Daher ist es so wichtig, daß der Mensch die Möglichkeit hat, mit vollem nachtodlichen Bewußtsein wirklich zurückzublicken auf den Moment des Todes, damit er nicht in irgendeiner Weise bloß träumt, was er da schaut, sondern voll verstehen kann, was er schaut. Und dazu können wir uns allerdings schon während des Lebens dadurch vorbereiten, daß wir versuchen, Selbsterkenntnis zu üben. [15]

Der Tote fühlt (unmittelbar nach dem Tode), indem er die geistige Welt betritt, den Schauplatz der physischen Welt und darauf stehend diejenigen Menschen, mit denen er sich verbunden fühlte im Leben, und auch alles das, womit er sich sonst verbunden gefühlt hat, eigentlich so, als wenn ihn das alles verließe, als wenn es sich unter ihm gewissermaßen wegbewegte. Und dann fühlt er, indem er sich einlebt mit seinem Ätherleib in die ätherische Welt, sich eins werdend mit dieser ätherischen Welt. Und auch das wissen wir schon: Vor seinem Blick tritt eine Art Überschau über das Erleben auf der Erde in der letzten Inkarnation auf. Dieses Erleben ist wirklich mit einer Art universellen Traumerlebens zu vergleichen. In wogenden, webenden Bildern, die vielsagend, vielbedeutend sind, läuft das Leben eben tagelang ab. Man möchte sagen, es vergrößert sich dieses Lebenspanorama, indem der Tote fühlt: Bis dahin schaust du; dein Leben webt sich ab, flutet ab. Und jenseits dieses flutenden Lebens verläßt dich der Schauplatz, auf dem du bisher gestanden hast. Dieses ist ein ganz ätherisches Erleben. Während wir, wenn wir hier physisch-sinnlich erleben, auf das Feste, das Derbe mit unseren Sinnen aufstoßen und genau wissen: das sinnlich Erlebte ist da draußen und wir erfühlen uns in den Grenzen unserer Haut –, erlebt der durch die Todespforte Geschrittene sein Dasein und seinen Zusammenhang mit der Welt so, daß er nicht in so starker Weise unterscheidet; er fühlt gewissermaßen das, was er als Lebenstableau hat, als ein Stück seines Selbstes. Ja, es ist dieses Lebenstableau überhaupt zunächst seine Welt. Gewissermaßen entsinkt ihm das irdische Dasein, und es preßt sich aus diesem das heraus, was er seit seiner Geburt innerhalb dieses irdischen Daseins erlebt hat, und das läuft ab so wie ein mächtiges, lebendiges intensiv lebendiges, nicht mit dumpfem Traumbewußtsein, sondern mit deutlichem Bewußtsein durchzogenes Bilderpanorama, wobei eben nicht etwa bloß Bilder gesehen werden, sondern wobei alles das wieder auflebt, was wir auch in anderer Weise innerhalb des Lebens erfahren haben. Jedes einzelne Gespräch, das wir mit Menschen gehabt haben: wir hören es wieder; alles das, was wir mit Menschen zusammen erfahren haben, was wir ausgetauscht haben an Empfindungen mit ihnen: wir erfahren es wieder. Dadurch, daß alles flutendes Leben ist, ist jener Lebensreichtum möglich, der, in einige Tage zusammengedrängt, eine völlige Überschau – die eigentlich immer gleichzeitig vor uns ist – über das gibt, was wir in einem manchmal langen Erdenleben durchgemacht haben. [16] Wie mit einem Schlage steht das verflossene Erdenleben vor der Seele. Dann wird dieser Überblick immer schwächer und schwächer, aber zu gleicher Zeit gewissermaßen kosmischer, bis er endlich nach einigen Tagen wie vom Menschen abschmilzt. Und in demselben Maße, in dem dieser Inhalt des Erdenlebens wegschmilzt, in demselben Maße taucht dasjenige auf, was der Mensch immer im schlafenden Zustand unbewußt (während seines Lebens) durchlebt hat. [17]

In diesen Tagen nach dem Tode unterscheidet man nicht Welt und Ich, sondern beide fließen zusammen, und die Welt ist eben das Selbsterlebte. Und dann fühlen wir (also), wie wenn das äußerlich ätherisch Stoffliche, das anfangs wie der Träger dieser Bilderwelt erscheint, von uns fortginge, und wie wenn diese Bilderwelt nicht mehr wie eine geschaute wäre, sondern wie eine, die wir jetzt ganz und gar mit unserem eigenen Wesen verbunden haben, die ganz und gar unser Inneres jetzt bildet. Und dadurch, daß wir sie gleichsam in uns aufsaugen, sind wir in der Lage, wiederum die übrige geistige Welt zu empfinden, zu erleben, mit unserem Bewußtsein zu überschauen. Nun treten nach und nach in der übrigen geistigen Welt die Menschenseelen auf, die entweder vor uns durch die Pforte des Todes gegangen sind und nun auch da sind, oder die Menschenseelen, die noch unten sind im physischen Leib, im irdischen Dasein. Man schaut diese Menschenseelen von der geistigen Welt aus, indem man sie in ihrem Geistig-Seelischen schaut. Das Physische ist allerdings nur für physische Organe wahrnehmbar, aber das Geistig-Seelische, das das Physische auskleidet, ist dann auch im Menschen wiederum vor unserem Seelenblick aufsteigend. Wir fühlen uns viel inniger mit all dem verbunden, was jetzt von uns erlebt wird, als wir uns verbunden fühlen konnten da, wo doch eigentlich, nämlich auf der Erde, durch den physischen Leib trennende Schranken sind. Die Imaginationen kommen schon so herauf, nur mit unendlich viel größerer Lebendigkeit als die Erinnerungsbilder, aber so, daß wir unser Ich und die Imaginationen nicht so unterscheiden, wie wir uns hier unterscheiden von der Außenwelt. So steigt die Seele aufwärts, so fühlen wir uns im Verein mit den Seelen und den Seelenwesen der höheren Hierarchien, die allmählich da aufsteigen. Es kommt schon die geistige Welt, ich möchte sagen, aus dem unbestimmten Dämmerdunkel an die eigene Seele heran, wie Erinnerungs-bilder an sie herankommen, die in unserer Seele auftauchen. Nur daß die Erinnerungsbilder eben ganz dämmerig sind und nur ein äußeres Wirkliches abbilden, während die Imaginationen, die auftreten, dann zu sprechenden Imaginationen werden, indem sie sich wesenhaft ankündigen durch ihre im Geist sich enthüllende Sprache, die dann für uns wird zur Offenbarung der Seelen, der Geister, mit denen wir weiterhin in der mannigfaltigsten Weise wärmer, inniger zusammen sind, als wir mit einem Menschen hier auf dem physischen Plan zusammen sein können. 174a. 84f Nicht umsonst vergeht gerade zwischen dem Tode und der Auferstehung des Christus Jesus so viel Zeit, wie bei uns zwischen dem Verlassen des physischen Leibes und dem Verlassen des Ätherleibes. Da ist für den heutigen Menschen nach dem Mysterium von Golgatha ein inniges Band zwischen ihm und dem Christus-Leben auf der Erde. Larven wären die Menschen geworden, deren Seelen von oben herunter die Menschen dirigiert hätten, wenn das Mysterium von Golgatha nicht gekommen wäre. Die Tode hätten allmählich die Menschen von der Erde weggebracht. Der Zusammenhang des Menschen mit der Erde wurde wiedergeschaffen durch das Mysterium von Golgatha. Die Möglichkeit des Bewußtseins, das aus dem Tode kommen muß, wurde geschaffen durch das Mysterium von Golgatha. [18]

Nach dem Lebenstableau wird unser ätherisches Wesen von uns losgelöst, es wird gleichsam aus uns herausgezogen. Das tun die Wesenheiten der 3. Hierarchie und die weben es allmählich dem Weltenäther ein, so daß dieses Gewebe des Weltenäthers nach unserem Tode aus dem besteht, was wir während unseres Lebens zwischen Geburt und Tod hinzugefügt haben und was verarbeitet worden ist von den Wesen der drei nächsthöheren Hierarchien (Angeloi, Archangeloi, Archai). [19]

Der Mensch nimmt gewissermaßen leicht mit seine Neigungen, seine Triebe, Begierden, wie sie sich herangebildet haben, insbesondere seine Gewohnheiten, nimmt auch mit die Art und Natur seiner Willensimpulse, aber am allerwenigsten seine Gedanken. [20] Das, was man durch Augen und Ohren, überhaupt durch die Sinne aufgenommen hat, kann man nur als Erinnerung durch die Pforte des Todes tragen. Ebenso ist es mit allem, was wir uns als Vorstellungen bilden, die durch die Sinneseindrücke veranlaßt sind. [21]

Für den Menschen selbst und für alle Auffassung der geistigen Welt kommt der Gesichtspunkt in Betracht, den der Tote hat einnehmen müssen. Für ihn bedeutet das Verlassen des physischen Leibes einen inneren Vorgang, einen Seelenvorgang; für die Hinterbliebenen ist das, was mit diesem physischen Leibe nach dem Tode geschieht, ein äußerer Vorgang. Der durch die Pforte des Todes Geschrittene hat zunächst das Gefühl: Du bist jetzt in einem ganz anderen Verhältnisse zur Welt als du vorher warst, und das ganze frühere Verhältnis, das du zur Welt hattest, ist im Grunde genommen umgekehrt, radikal umgekehrt. Wenn man das, was da vorstellungsmäßig erlebt wird, schildern wollte, müsste man sagen: Der Mensch hat bis zu seinem Tode auf der Erde gelebt und er ist gewohnt gewesen in dieser Zeit auf der festen, materiellen Erde zu stehen, und ist gewohnt worden, durch seinen eigenen Gesichtspunkt und durch seine im physischen Leib vorhandenen Fähigkeiten, sich dieses Ganze so vorzustellen: Da oben ist das blaue Himmelsgewölbe wie eine Himmelsschale, da sind die Sterne darauf, darüber gehen Sonne und Mond und so weiter, man selber ist wie in dieser Schale, in dieser Hohlkugel, im Inneren da drinnen in der Mitte auf der Erde mit dem, was einem die Erde für die Wahrnehmung zeigt. [22]

Wenn nun der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist, so ist das erste, daß er die Vorstellung seiner Seele ausbilden muß; Du bist jetzt außerhalb dieser blauen Kugel, in der du warst. Du siehst sie von außen an, aber so, als ob sie zu einem Stern zusammengeschrumpft wäre. Man hat zunächst kein Bewußtsein von der Sternenwelt, in die man sich eigentlich ausbreitet, sondern man hat zunächst nur ein Bewußtsein von dem, was man verlassen hat: daß man seine Bewußtseinssphäre, die man gehabt hat im physischen Leibe, verlassen hat, daß man das verlassen hat, bis wohin einen die menschlichen Fähigkeiten, die im physischen Leibe ausgebildet sind, haben schauen lassen. Es ist wirklich, aber geistig, etwas Ähnliches vorgegangen, wie es vorgehen müßte, wenn mit bewußtem Erleben ein Küklein, das in der Eierschale drinnen ist, diese zerbricht und nachher die zerbrochene Eischale, die es bisher umschlossen hat, seine bisherige Welt, von außen statt von innen ansieht. Wie gesagt, zusammengeschrumpft wie zu einem Sterne ist das, was uns vorher den Inhalt unseres Bewußtseins gab, nur daß sich, von diesem Sterne ausgehend, dasjenige ausbreitet, was man nennen könnte: erstrahlende kosmische Weisheit. Diese glimmt und glitzert uns entgegen wie von einem feurigen Stern. Jetzt ist es nicht blau wie das Firmament, sondern jetzt ist es feurig, rötlich erglimmend, und davon ausstrahlend in den Raum die Fülle von Weisheit, die uns aber zuerst zeigt – sie ist in sich ganz beweglich – das, was man ein Erinnerungstableau unseres letzten Erdenlebens nennen könnte. All die Vorgänge, die wir mit unserem inneren Seelenleben durchmessen haben zwischen Geburt und dem Tode, wo wir bewußt dabei waren, treten vor unsere Seele hin, aber so, daß wir wissen: Du siehst das alles, weil der Stern, der da vor dir aufglänzt, der Hintergrund ist, der durch seine innere Tätigkeit bewirkt, daß du das alles sehen kannst, was sich als ein Erinnerungstableau ausbreitet. Das ist so mehr vom Standpunkt der Imagination aus gesprochen. Vom Standpunkt der Innerlichkeit gesprochen ist das Erlebnis etwa dieses, daß derjenige, der durch die Pforte des Todes gegangen ist, nunmehr ganz erfüllt ist von dem Gedanken: Ja, du hast deinen Leib verlassen.

Jetzt in der geistigen Welt, ist dieser Leib lauter Wille. Ein Willensstern, ein Stern, dessen Substanz Wille ist, das ist dein Leib. Und dieser Wille erglüht in Wärme und strahlt dir in den Weltenweiten, in die du dich jetzt selber ergossen hast, dein eigenes Leben zwischen der Geburt und dem Tode wie ein großes Tableau zurück. Und du verdankst dem Umstande, daß du innen verweilen konntest in diesem Stern, daß du alles das aus der Welt ziehen und saugen konntest, was du auf dem physischen Plan aus der Welt eben gezogen und gesaugt hast. Denn dieser Stern, dieser Willensstern, der jetzt den Hintergrund bildet, das ist das Geistige deines physischen Leibes, dieser Willensstern ist der Geist, der deinen physischen Leib durchtränkt und durchkraftet. Das, was dir als Weisheit erstrahlt, das ist die Tätigkeit, die Beweglichkeit deines Ätherleibes.

Es vergeht die Zeit, die eigentlich nur nach Tagen dauert, wo man den Eindruck hat: das Leben spielt sich ab wie ein Erinnerungstableau. Und wir können es so lange aufrechterhalten, als wir die Kraft haben, unter normalen Verhältnissen uns im physischen Leibe wach zu erhalten. Es kommt ja nicht darauf an, wie lange wir einmal im Leben wach geblieben sind in abnormen Verhältnissen, es kommt darauf an, welche Kräfte wir in uns haben, um eben uns wach zu erhalten. Von dem Maße dieser Kräfte ist es abhängig, wie lange der Mensch braucht, um mit diesem Erinnerungstableau fertig zu werden. [23]

Aber man hat auch das ganz deutliche innere Bewußtsein, daß dadurch, daß der Willensstern im Hintergrunde ist, in diesem Erinnerungstableau dasjenige ist, was wir uns im letzten Erdenleben errungen haben. Daß darin das ist, um was wir reifer geworden sind, was wir sozusagen durch den Tod als ein Mehr hinausgetragen haben gegenüber dem, was wir beim Eintritt in unsere Geburt als ein Geringeres gehabt haben. Dieses, was wir wie eine Frucht des letzten Lebens bezeichnen können, das fühlen wir so, als wenn es nicht bleiben würde, wie es war während des Erinnerungstableaus, sondern wie wenn es sich fernte, wie wenn es fortginge, wie wenn es in der Zeiten Zukunft hineinginge und in der Zeiten Zukunft entschwände. Also es fernt sich unsere Lebensfrucht, wenn wir eine solche erlangt haben, und wir wissen in der Seele: diese Frucht ist irgendwie vorhanden, aber wir sind hinter ihr zurückgeblieben. Man hat das Bewußtsein, man ist an einem früheren Zeitpunkt verblieben, die Lebensfrucht zieht schnell fort, so daß sie früher ankommt an einem späteren Zeitpunkt, und wir müssen ihr nachziehen, dieser Lebensfrucht. Dieses innere Erlebnis, daß die Lebensfrucht im Weltenall weilt, vorhanden ist, das müssen wir uns so recht vorstellen, denn das ist es, was den Grund bildet für unser Bewußtsein, für den Beginn unseres Bewußtseins nach dem Tode. Unser Bewußtsein muß ja sozusagen immer durch etwas angeregt werden. In den Verhältnissen unmittelbar nach dem Tode wird dieses Bewußtsein angefacht durch das innere Erfühlen und Erleben dessen, was die Frucht unseres letzten Lebens ist, was wir uns errungen, erobert haben. Das ist vorhanden, aber außer uns vorhanden. Durch dieses Erfühlen und Erleben unseres innersten irdischen Wesens außer uns haben wir die erste Entzündung unseres Bewußtseins nach dem Tode, daran belebt sich dieses Bewußtsein. [24]

Dieses Zurückblicken auf dieses Hineingehen in die geistige Welt durch den Tod ist zwischen Tod und neuer Geburt das allerwunderbarste, das schönste, großartigste, herrlichste Ereignis, auf das der Tote überhaupt zurückschauen kann. [25] (Weiteres siehe: Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt).

Zitate:

[1]  GA 352, Seite 129   (Ausgabe 1967, 196 Seiten)
[2]  GA 95, Seite 28   (Ausgabe 1978, 164 Seiten)
[3]  GA 272, Seite 245   (Ausgabe 1981, 336 Seiten)
[4]  GA 96, Seite 238   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[5]  GA 183, Seite 111   (Ausgabe 1967, 195 Seiten)
[6]  GA 239, Seite 133   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[7]  GA 174, Seite 208ff   (Ausgabe 1966, 320 Seiten)
[8]  GA 168, Seite 71f   (Ausgabe 1968, 230 Seiten)
[9]  GA 168, Seite 73f   (Ausgabe 1968, 230 Seiten)
[10]  GA 161, Seite 81   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[11]  GA 13, Seite 93f   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[12]  GA 13, Seite 95f   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[13]  GA 9, Seite 109   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[14]  GA 13, Seite 98f   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[15]  GA 159, Seite 327f   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)
[16]  GA 174a, Seite 83f   (Ausgabe 1982, 308 Seiten)
[17]  GA 224, Seite 57f   (Ausgabe 1966, 232 Seiten)
[18]  GA 176, Seite 292f   (Ausgabe 1982, 392 Seiten)
[19]  GA 167, Seite 35   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[20]  GA 135, Seite 10   (Ausgabe 1978, 110 Seiten)
[21]  GA 157, Seite 123   (Ausgabe 1981, 320 Seiten)
[22]  GA 153, Seite 144ff   (Ausgabe 1978, 190 Seiten)
[23]  GA 153, Seite 147f   (Ausgabe 1978, 190 Seiten)
[24]  GA 153, Seite 148f   (Ausgabe 1978, 190 Seiten)
[25]  GA 175, Seite 188   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)

Quellen:

GA 9:  Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (1904)
GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 95:  Vor dem Tore der Theosophie (1906)
GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 135:  Wiederverkörperung und Karma und ihre Bedeutung für die Kultur der Gegenwart (1912)
GA 153:  Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt (1914)
GA 157:  Menschenschicksale und Völkerschicksale (1914/1915)
GA 159:  Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister (1915)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)
GA 167:  Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste (1916)
GA 168:  Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten (1916)
GA 174:  Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit – Zweiter Teil (1917)
GA 174a:  Mitteleuropa zwischen Ost und West (1914-1918)
GA 175:  Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha. Kosmische und menschliche Metamorphose (1917)
GA 176:  Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten. Das Karma des Materialismus (1917)
GA 183:  Die Wissenschaft vom Werden des Menschen (1918)
GA 224:  Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten.. Die Verinnerlichung der Jahresfeste (1923)
GA 239:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Fünfter Band (1924)
GA 272:  Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust» Band I: Faust, der strebende Mensch (1910-1915)
GA 352:  Natur und Mensch in geisteswissenschaftlicher Betrachtung (1924)