Sprechen

Sogar der Papagei, wenn er sprechen soll, kann es nur dadurch, daß er aufgerichtet ist. Es hängt das mit der Vertikallinie innig zusammen. [1] Das Sprechen geht nämlich nicht unmittelbar vom Ich aus, sondern das Sprechen geht eigentlich vom astralischen Organismus aus. Aber von dem Astralleib, der von dem Ich modifiziert wird, geht der Impuls des Sprechens aus. [2]

Wir entwickeln eine gewisse Tätigkeit im ganzen Menschen, die als Sympathie wirkt, die eine Sympathietätigkeit ist. Und wir lassen diese Sympathiebetätigung in unserem Brustmenschen mit einer kosmischen Antipathietätigkeit fortwährend durcheinanderspielen. Der Ausdruck dieser sympathischen und antipathischen Betätigungen, die sich begegnen, ist das menschliche Sprechen. Und ein deutliches Begleiten dieses Sich-Begegnens von Sympathie und Antipathie in der Brust durch das Gehirn ist das Verstehen des Sprechens. Wir verfolgen verstehend das Sprechen. Beim Sprechen ist im Grunde genommen eine Tätigkeit vorhanden, die sich in der Brust vollzieht und eine parallel gehende Tätigkeit, die sich im Haupte vollzieht, nur daß in der Brust diese Tätigkeit viel realer ist, im Haupte ist sie abgeschwächt zum Bilde. Das Sprechen beruht im Grunde genommen auf einem fortwährenden Rhythmus von Sympathie- und Antipathiewirkungen, wie das Fühlen. Die Sprache ist auch zunächst verankert im Fühlen. Und daß wir für die Sprache den mit dem Gedanken zusammenfallenden Inhalt haben, rührt davon her, daß wir den Gefühlsinhalt begleiten mit dem Erkenntnisinhalt, mit dem Vorstellungsinhalt. [3]

Wenn der Mensch spricht, ist die Tendenz vorhanden, daß der ganze Organismus des Menschen, nicht nur der physische in Bewegung ist. Gerade das, was gesprochen wird, kommt aus dem ganzen menschlichen Organismus heraus; der ganze Ätherleib des Menschen ist in Bewegung. Daß der Mensch spricht, daß er Worte hervorbringt, wie man es gewöhnt ist, beruht darauf, daß gerade die Bewegungen des Ätherleibes zurückgehalten und lokalisiert werden in der Gegend der Brust, des Kehlkopfes und der Nachbarorgane, der Zunge und so weiter. Durch das Lokalisieren der Bewegungsvorgänge, die den ganzen Organismus ergreifen, wird vom Ätherleib aus der Kehlkopf und seine Nachbarorgane in jene Bewegung versetzt, welche das Wort und das Wortgefüge hervorbringen. Die Kehlkopfbewegung ist eine organische Bewegung unseres ganzen Ätherleibes. Wir können das aber zurücknehmen in den ganzen Leib. Was wir Eurythmie nennen, ist im Grunde von jedem Menschen ausgeführt, wenn er spricht. [4] Sie hören irgendeiner Sprache zu, schauen den astralischen Leib an, der dann seine Vibrationen sogleich auf den Ätherleib überträgt, wodurch das Ganze noch intimer wirkt; sie zeichnen nun das Ganze, dadurch bekommen Sie nur Bewegungen, die im menschlichen Organismus begründet sind, und Sie erhalten jene Eurythmie, die immer ausgeführt wird gemeinsam vom astralischen Leib und Ätherleib, wenn der Mensch spricht. [5]

Zitate:

[1]  GA 141, Seite 110   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)
[2]  GA 282, Seite 58   (Ausgabe 1926, 414 Seiten)
[3]  GA 294, Seite 24   (Ausgabe 1966, 202 Seiten)
[4]  GA 277, Seite 24   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[5]  GA 302a, Seite 48   (Ausgabe 1983, 160 Seiten)

Quellen:

GA 141:  Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen (1912/1913)
GA 277:  Eurythmie – Die Offenbarung der sprechenden Seele. Eine Fortbildung der Goetheschen Metamorphosenanschauung im Bereich der menschlichen Bewegung (1918-1924)
GA 282:  Sprachgestaltung und Dramatische Kunst.. Dramatischer Kurs (1924)
GA 294:  Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches (1919)
GA 302a:  Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis (1920-1923)