Träume

Sofort, wenn die Sinne ihre Tätigkeit einstellen, so macht sich für den Menschen ein Schöpferisches geltend. Es ist dasselbe Schöpferische, welches im vollen traumlosen Schlafe auch vorhanden ist und welches da jenen Seelenzustand darstellt, der als Gegensatz der wachen Seelenverfassung erscheint. Soll dieser traumlose Schlaf eintreten, so muß der Astralleib vom Ätherleib und vom physischen Leibe herausgezogen sein. Er ist während des Träumens vom physischen Leibe insofern getrennt, als er keinen Zusammenhang mehr hat mit dessen Sinnesorganen; er hält aber mit dem Ätherleibe noch einen gewissen Zusammenhang aufrecht. Daß die Vorgänge des Astralleibes in Bildern wahrgenommen werden können, das kommt von diesem seinem Zusammenhang mit dem Ätherleibe. In dem Augenblicke, in dem auch dieser Zusammenhang aufhört, versinken die Bilder in das Dunkel der Bewußtlosigkeit, und der traumlose Schlaf ist da. Das Willkürliche und oft Widersinnige der Traumbilder rührt aber davon her, daß der Astralleib wegen seiner Trennung von den Sinnesorganen des physischen Leibes seine Bilder nicht auf die richtigen Gegenstände und Vorgänge der äußeren Umgebung beziehen kann. Besonders klärend für diesen Tatbestand ist die Betrachtung eines solchen Traumes, in dem sich das Ich gewissermaßen spaltet. Wenn jemand zum Beispiel träumt, er könne als Schüler eine ihm vom Lehrer vorgelegte Frage nicht beantworten, während sie gleich darauf der Lehrer selbst beantwortet. Weil der Träumende sich der Wahrnehmungsorgane seines physischen Leibes nicht bedienen kann, ist er nicht imstande, die beiden Vorgänge auf sich, als denselben Menschen, zu beziehen. Also auch um sich selbst als ein bleibendes Ich zu erkennen, gehört für den Menschen zunächst die Ausrüstung mit äußeren Wahrnehmungsorganen. Nur dann, wenn sich der Mensch die Fähigkeit erworben hätte, auf andere Art als durch solche Wahrnehmungsorgane sich seines Ich bewußt zu werden, wäre auch außer seinem physischen Leibe das bleibende Ich für ihn wahrnehmbar. Solche Fähigkeiten hat das übersinnliche Bewußtsein zu erwerben. [1]

Man glaubt sonst nur, daß man träumt während der ganzen Nacht. Eigentlich träumt man nur beim Einschlafen und Aufwachen. Und was träumt man denn da? Die Leute glauben, daß man da träumt aus dem Grunde, weil man im Wachen sein Gehirn gebraucht – so sagen die heutigen Gelehrten –, aber im Schlafe nur sein Rückenmark gebraucht. [2] Die Traumbilder sind Nachklänge an die Tageserlebnisse oder sinnbildliche Ausdrücke für Vorgänge in der Umgebung des Träumers oder wohl auch für das, was im Innern der Persönlichkeit vorgeht, welche den Traum hat. [3] Im Alten Testamente werden Sie niemals die Illusion hingestellt finden, als ob das Gehirn Träume aushecke ! Es wird davon geredet: Jahve peinigte den Menschen im Schlafe in bezug auf seine Nieren. Da wußte man, daß im Stoffwechselsystem dasjenige liegt, was sich im Träumen darstellt. [4]

Das Träumen entsteht dadurch, daß der astralische Leib und das Ich, die sonst gewissermaßen so weit außer dem physischen und Ätherleib sind, daß der physische und der Ätherleib nichts merken von den Vorgängen, die mit dem astralischen Leib und dem Ich geschehen, in solche Nähe des physischen und des Ätherleibes kommen, daß der Ätherleib imstande wird, als solcher jetzt Eindrücke zu empfangen von den Vorgängen im astralischen Leibe und im Ich. Wenn Sie aufwachen und wissen: ich habe geträumt, so ist es eigentlich ganz genau gesprochen so, daß dasjenige, was der Inhalt Ihres Traumes ist, dadurch zu Ihrem Bewußtsein kommt, daß der astralische Leib und das Ich untertauchen; und bevor der physische Leib fähig ist, zum Bewußtsein zu kommen, daß er den Astralleib und das Ich wieder in sich hat, wird es der Ätherleib; und indem der Ätherleib rasch aufnimmt, was der Astralleib und das Ich erlebt haben, entsteht der Traum. Es ist also eine Wechselwirkung zwischen astralischem und Ätherleib, wodurch der Traum entsteht. Dadurch aber bekommt der Traum eine ganz bestimmte Färbung. Er bekommt, ich möchte sagen, eine Art von Überzug. Sie wissen ja, daß, wenn im Tode der Mensch mit dem Astralleib und Ich und dem Ätherleib herausgeht, der Mensch im Ätherleib eine unmittelbare Rückschau hat auf das Erdenleben (siehe: Lebenstableau). Diese Rückschau ist eigentlich am Ätherleib haftend; wenn er aufgelöst ist (siehe: Ätherleib-Auflösung), hört die Rückschau auf. In diesem Ätherleib steckt also die Möglichkeit, all die Ereignisse unseres Lebens in sich abzudrücken. Im Ätherleib ist wirklich also abgedrückt, was wir im Leben durchgemacht haben. Dieser Ätherleib ist ein sehr kompliziertes Gebilde. Wenn wir diesen Ätherleib herauspräparieren könnten so, daß wir ihm seine Gestalt lassen (er wird durch den physischen Leib zu seiner Form zusammengezogen), so wäre er ein Spiegel unseres gegenwärtigen Lebens, ein Bild unseres Lebens bis zu dem Punkte, bis zu dem Momente, wo wir uns erinnern können. Dadurch, daß wir untertauchen mit dem Astralleib und Ich in den Ätherleib hinein und der Ätherleib entgegenkommt dem untertauchenden astralischen Leib, bringt er Dinge, Erinnerungen von Dingen, die er erlebt hat, dem entgegen, was da im Astralleib hereinkommt, kleidet das, was im Astralleib wirklich ist, in seine eigenen Bilder. Nehmen wir einmal an, jemand erlebt draußen im schlafenden Zustande im astralischen Leib und im Ich, sagen wir, eine Begegnung mit einer Persönlichkeit. Davon weiß der Mensch dann nichts. Er erlebt, daß er zu dieser Persönlichkeit ein gewisses freundschaftliches Gefühl haben wird, daß er mit dieser Persönlichkeit ein Gemeinschaftliches unternehmen werde. Nehmen wir an, das erlebt er außerhalb seines Ätherleibes. Das kann sein; aber er weiß nichts davon. Jetzt kommt der Moment des Aufwachens. Da geht der astralische Leib und das Ich zurück in den Ätherleib, bringt sein Erleben entgegen dem Ätherleibe. Der Ätherleib bringt das, was in ihm ist, seine Bilderwelt, dem Astralleib entgegen und der Mensch träumt. Er träumt ein Ereignis, das er unternommen hat vor vielleicht 10, 20 Jahren. Da sagt sich der Mensch: Ja, ich habe geträumt von dem, was ich vor 10, 20 Jahren erlebt habe. Vielleicht aber ist das, wenn er sich genau besinnt, ganz verändert. Aber es erinnert ihn doch an etwas, was er früher erlebt hat. Was ist da eigentlich vorgegangen? Wenn wir genau mit Hilfe hellseherischer Erkenntnis den Vorgang verfolgen, sehen wir, das Ich und der Astralleib haben etwas erlebt, was eigentlich erst in der nächsten Inkarnation sich abspielen wird: die Begegnung mit einer Persönlichkeit, irgend etwas, was man mit dieser Persönlichkeit zu tun hat. Aber der Mensch kann das noch nicht fassen in seinem Ätherleib, der in sich nur enthält, der nur fassen kann die Bilder des gegenwärtigen Lebens. Taucht jetzt der astralische Leib unter, dann kleidet der Ätherleib das, was eigentlich dem zukünftigen Leben angehört, in die Bilder des gegenwärtigen Lebens. Dieser eigentümliche komplizierte Vorgang geschieht eigentlich fortwährend mit dem Menschen, indem er träumt. Dessen müssen wir uns bewußt sein, daß wir in dem, was herausgeht aus unserem physischen und dem Ätherleib, in unserem Astralleib und dem Ich, dasjenige darinnen haben, was in die nächste Inkarnation hinüber will, was sich in uns vorbereitet für die nächste Inkarnation. Und lernt man allmählich die Träume trennen von dem, was Bilder sind vom gegenwärtigen Leben, so lernt man die prophetische Natur der Träume kennen. Man muß bei den Träumen mehr sehen auf die Art und Weise, wie man erlebt, als auf das, was man erlebt. [5]

Auf dem (alten) Monde war der Mensch ein traumhafter Hellseher. In Traumesbilder hat er die Wirklichkeit in sich aufgenommen. Dasjenige aber, was wir auf dem Monde waren, das tragen wir heute noch in uns, das steckt in uns. Der Mondenmensch ist das in uns, was wir den Träumer nennen, der eigentlich zwar, ich möchte sagen, weniger dicht, der dünner denkt und fühlt und will, aber der eigentlich weiser ist, als wir als Erdenmensch sind. [6] Dieser Träumer in uns ist dasjenige, auf welches nun wirkt alles, was, ohne daß wir es wissen, aus der geistigen Welt auf uns wirken soll. In dem, was wir als Erdenmenschen erleben, machen wir Gedanken, bilden uns Willensimpulse. Was wir so wissen, das ist, was wir finden aus unserem Leben. Aber in unsere Träume hinein spielen die Inspirationen der Angeloi, und diese sind wieder inspiriert von Wesenheiten der höheren Hierarchien. In unsere Träume kommt hinein, bei dem einen Menschen mehr, bei dem anderen weniger, was gescheiter ist als dasjenige, was wir aus unserem Alltagsleben in uns haben, als alles, was wir im Alltagsleben im Denken, Fühlen und Wollen überschauen. Dasjenige nun, wovon wir geleitet werden, dasjenige, was mehr ist, als der Erdenmensch ist und war, das geht in unseren Träumer hinein. Sehen Sie, dieser Träumer, er ist auch dasjenige, was vieles, aber jetzt Unbewußtes in uns hervorrufen kann. Gewiß, alles dasjenige, was aus der höheren Welt auf dem Umwege durch die Wesenheiten, die den Hierarchien der Angeloi angehören, auf uns hereinwirkt, wirkt auf den Träumer; aber auch alles Ahrimanische, alles Luziferische wirkt zunächst auf den Träumer, wirkt wirklich in den Träumer hinein, und ein großer Teil dessen, was die Menschen, ich möchte sagen, nicht so ganz aus ihrem Bewußtsein heraus, aber aus Instinkten heraus geltend machen, das ist hineingewirkt aus der geistigen Welt in den Träumer hinein. [7]

Genau dieselbe Substanz, aus welcher uns der Traum oder die Halluzination erscheinen, umgibt uns allüberall in der Welt; es ist die Äthersubstanz. Und aus der Äthersubstanz, die uns umgibt, ist gleichsam unser eigener Ätherleib wie ein Stück herausgeschnitten. [8] Der sich in der ganzen Welt ausdehnenden Äther mit seinen inneren Vorgängen, mit alledem, was in ihm lebt, ist gleichsam das Substantielle, in dem wir wahrnehmen, wenn wir träumen. Nur dasjenige Stück der Ätherwelt tritt gleichsam vor uns auf, wenn wir träumen, was unser eigener Ätherleib ist. Es sind also im Grunde genommen die Vorgänge unseres Ätherleibes, die an irgendeiner Stelle ihren Schleier lüften und die uns als Traum erscheinen. [9] Wenn das Seelisch-Geistige den Ätherleib so durchwebt, daß sich das, was es im Ätherleibe ausprägt, nicht sofort bricht an dem physischen Leibe, sondern sich im Ätherischen so erhält, daß es gleichsam an die Grenzen des physischen Leibes kommt, aber im Ätherischen noch bemerkt wird, dann entsteht der Traum. Und das Traumleben, wenn es wirklich studiert wird, wird ein Beweis werden für die niederste Form des übersinnlichen Erlebens des Menschen. [10]

Wenn nun das geschieht, daß durch irgendeine Abnormität – trotzdem sie sich räumlich decken, kann das sein – zuerst ergriffen wird vor dem Raumesleib (physischer Leib) der Ätherleib, dann kommt der Mensch nicht gleich ganz in seinen Leib hinein. Er taucht nur in den Ätherleib unter. Allerdings nimmt der Ätherleib dann in Anspruch die flüssigen Bestandteile des Leibes, es bleibt dann das Seelische nur aus den festen Bestandteilen wirklich draußen. Da entsteht das Träumen. [11]

Es lebt in den Träumen schon durchaus viel von der geistigen Welt, aber das Menschengemüt ist in seinem heutigen Zustand nicht fähig, gewissermaßen hinter die Träume zu sehen, auf dasjenige zu sehen, was sich in den Träumen auslebt. Die Träume sind täuschende Bilder, die sich aus einem Schleier der Maya weben. Wenn man sie in jedem Falle richtig zu deuten weiß, so bekommt man aus den Träumen Erlebnisse von früheren Zeiten oder auch prophetische Vordeutungen auf die Zukunft. Man bekommt in den Träumen auch Abbildungen jener Vorgänge, die sich abspielen zwischen den Lebenden und den Toten im schlafenden Zustande des Menschen. Aber der Mensch in der gegenwärtigen Lage seiner Entwickelung versteht nicht die eigentümliche Sprache der Träume, sie bleiben für ihn unverständliche Bilder, und das ist ganz natürlich. [12]

Wenn Sie träumen, träumen Sie eigentlich immer Zukunft, nur können Sie sich über die Zukunft nicht Vorstellungen bilden, und daher tauchen Sie das, was Sie eigentlich über die Zukunft träumen, in die Vorstellungen der Vergangenheit. Die ziehen Sie wie ein Kleid über dasjenige darüber, was eigentlich in Ihrer Seele erlebt wird. Weil das Zukünftige mit dem Vergangenen im Zusammenhang steht, weil da Karma wirkt, ist ein tieferer Zusammenhang zwischen dem, was man für die Zukunft träumt, und dem Kleide das man anzieht, wenn man sich des Traumes bewußt wird. Das, was man weiß, man kleidet es in Bilder der Vergangenheit, in Bilder, die einem schon bekannt sind. [13] Wenn Träume auftreten im normalen Leben, so sind diese Träume ja nicht die wirkliche Tätigkeit während des Schlafeslebens, sondern sie sind eigentlich eine Verbildlichung der Tätigkeit durch die Erinnerungen des gewöhnlichen Lebens. Die Bilder des Traumlebens entstehen dadurch, daß das Leben seinen Teppich breitet über die eigentliche innere Tätigkeit; und dadurch wird mancherlei wahrgenommen im Traumesleben. Der Traum benützt aus dem Ätherleib heraus die physischen Lebenserinnerungen, um die unsichtbar bleibende Tätigkeit des Ich und des Astralleibes sichtbar zu machen. Träume müssen erst in der richtigen Weise gelesen werden, es muß erst die richtige Auslegekunst dazukommen. Dann weisen sie allerdings in diese bedeutungsvollste Wirklichkeit hinein, die vom Ich und vom Astralleib im Schlafe ausgeführt wird. Worin besteht nun diese Tätigkeit vom Einschlafen bis zum Aufwachen? Sie besteht darin, daß man in viel intensiverer Weise innerlich die Tageserlebnisse noch einmal durchlebt, daß man gewissermaßen zum Selbstbeurteiler wird der Tageserlebnisse. Man beschäftigt sich damit, was sie für eine Bedeutung haben im ganzen Weltenzusammenhang. Man prüft sie in bezug auf ihren Weltenwert. [14]

Der Traum will nicht dasjenige sagen, was er ausdrückt, wenn man seinen Inhalt physisch interpretiert. Er will dasjenige sagen, wozu man kommt, wenn man seinen Inhalt moralisch-geistig interpretiert. [15] So kann der Traum in der mannigfaltigsten Weise ein Mahner ein Zurechtweiser sein. Und er kann, wenn er richtig nicht auf die untere, sondern auf die höhere Welt bezogen wird, durchaus richtunggebend in das menschliche Leben eingreifen, und dann kann man sehen, wie der Mensch in der Tat durch die bewußte Imagination darauf kommt, wie der Traum, der sich ja natürlich auch dem imaginativen Erkennen zunächst in seinen sinnlichen Bildern zeigt, sich metamorphosiert und sich in moralisch-geistiges Geschehen verwandelt. [16]

Wenn wir einen Augenblick (beim Aufwachen), ehe wir den ganzen physischen Leib ergreifen, den Ätherleib durchsetzen, dann kommen uns aus diesem Ätherleibe die Kräfte, welche die Bilder des Traumes formen. Diese Bilder trägt den Kräften nach der Ätherleib in sich. Es sind Lebensreminiszenzen, Lebenserinnerungen. Wenn wir beim Einschlafen träumen, kann es sein, daß wir unseren physischen Leib verlassen und durch irgendwelche Abnormität nicht gleich den Ätherleib verlassen. Dann leben wir ebenso, bevor wir in die völlige Bewußtlosigkeit hineingehen, in den Bildern des Ätherleibes. Aber schon beginnt jenes Gewoge des astralischen Leibes und des Ich, das sich vollzieht während des Zustandes zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen. Wir müssen also durchaus trennen die Bilder, die der Traum enthält, und den dynamischen, den Kraftverlauf des Traumes, die Dramatik des Traumes. Und wenn wir in die Lage kommen, durch Seelenübungen diese Trennung auch praktisch auszuführen, wenn man in die Lage kommt, seinen astralischen Leib und sein Ich durch Übungen so stark zu machen, daß man nicht passiv hinunterschlüpft in den Ätherleib und dann in den physischen Leib, sondern wenn man lernt, sich jetzt außerhalb des Leibes des allgemeinen Weltenäthers zu bedienen, dann kommt man zu Wahrnehmungen (siehe: Imagination), die man sonst eben nicht haben kann. [17]

Wer auf diesem Gebiete exakt beobachtet, würde das Folgende sehen. Er würde wahrnehmen, wenn er solche Träume gehabt hat, die ihm all die Plackerei und Mühen des Alltagslebens im Traume auferlegen, die Reminiszenzen des physisch-sinnlichen Lebens sind, daß er ermüdet aufwacht. Die Glieder sind schwer, wenn er aufwacht, und er bleibt den ganzen Tag in dieser ermüdeten Stimmung. Man wacht also so auf aus einem Traume, der der sinnlich-physischen Wirklichkeit nachgebildet ist, daß man im Alltagsleben, im Wachleben, geschwächt ist. Beobachten Sie, wie ein Traum wirkt, der nicht eine Reminiszenz des physisch-sinnlichen Lebens ist: wenn Sie einmal geflogen sind, so mit rechter Begeisterung, mit Leichtigkeit geflogen sind im Traume, kurz und gut mit Ihren Flügeln, die Sie ja im physischen Leben gar nicht haben, einen Fluß übersetzt haben, wachen Sie frisch und munter auf, Ihre Glieder sind leicht. Es gibt ja Träume, die verlaufen zum Beispiel so, daß man recht sympathische Speisen vor sich hat und im Traume ißt, mit riesigem Appetit und viel. Sie werden nun in der Regel wahrnehmen, wenn Sie im Traume gegessen haben, daß Sie appetitlos aufwachen, daß Sie irgendwie einen verdorbenen Magen haben, daß Sie den ganzen Tag nicht recht essen können. Haben Sie aber im Traume mit einem Engel gesprochen, und haben Sie sich so recht hineinversetzt in diese Sprache mit dem Engel, dann werden Sie sehen, daß das in außerordentlich anregender Weise auf Ihren Appetit während des Tages wirkt. Wird der Traum ein Naturalist, dann wirkt er auf das wache Leben ungesund ein. Er wirkt Krankheit erzeugend. Wenn man also das gewöhnliche Sinnesleben im Traume herausträgt in den Schlaf hinein, so wirkt es krankmachend, ungesund zurück. Und wenn man auf der anderen Seite, wenn man dasjenige, was nicht real ist in der physisch-sinnlichen Welt, wenn es im Traume auftritt, so ist es gerade dasjenige, was einen dann munter, frisch und gesund macht. [18]

In den Traumformationen – nur auf eine undeutliche Weise kommen die Kräfte zum Ausdruck, die im Atmungs-, Zirkulations- und Nervensystem die gesund- oder krankmachenden Kräfte sind. In diesen Träumen spiegelt sich der halbe Mensch gerade in hygienisch-pathologischer Weise. [19]

Auf die Dynamik, die hinter diesen Bildern steht, darauf kommt es an. Derselbe Kräfteverlauf kann sich in die einen und in die anderen Bilder hüllen und in hunderterlei Bilder kleiden. Erst dann verstehen wir die geistige Welt, wenn wir wissen, wie das, was hier in der physischen Welt sich als Träume darlebt, oder was aus der geistigen Welt heraus sich so verbildlicht, daß es der physischen Welt ähnlich ist, wie das eben nur Bild ist. Und um was es sich handelt, das ist, dieses Traumesleben des Schlafes eben zu verstehen als den Ausdruck eines tieferen geistigen Lebens. Dann ist es erst imaginativ erfaßt; dann fassen wir die Bilder als dasjenige, was steht für den Inhalt. Und dann wenden wir uns nicht gegen dasjenige, was heute für den Menschen beginnt: aus dem Schlafe heraus in ähnlicher Weise innere seelische Forderungen zu stellen, wie die Imagination vor der Geburt beziehungsweise vor der Empfängnis. Denn wir beginnen heute auch anders zu schlafen, als im regulären Leben der intellektualistischen Zeit seit der Mitte des 15. Jahrhunderts geschlafen worden ist. Jetzt sind wir an dem Punkte der Menschheitsentwickelung, wo wir auch aus dem Schlafe heraus die Imaginationen nehmen, die sich einleben wollen nicht bloß in unser Ich, wo die Ratio herrscht, sondern wo sich die Bilder hineinleben wollen in unseren astralischen Leib. Es handelt sich darum, daß wir eben in einem Zeitalter leben, wo wir dazu übergehen müssen, das geistig Erlebte zwischen dem Einschlafen und Aufwachen so hereinzubringen auch in das wache Leben, daß unser astralischer Leib nicht bloß unser Ich, was der Sitz der Ratio, des Intellektualismus ist –, daß unser astralischer Leib bildhaft durchsetzt, durchzogen werden kann. [20]

Zitate:

[1]  GA 13, Seite 91f   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[2]  GA 349, Seite 140   (Ausgabe 1961, 264 Seiten)
[3]  GA 11, Seite 183f   (Ausgabe 1955, 252 Seiten)
[4]  GA 225, Seite 39   (Ausgabe 1990, 192 Seiten)
[5]  GA 157, Seite 269ff   (Ausgabe 1981, 320 Seiten)
[6]  GA 157, Seite 272f   (Ausgabe 1981, 320 Seiten)
[7]  GA 157, Seite 278f   (Ausgabe 1981, 320 Seiten)
[8]  GA 154, Seite 12   (Ausgabe 1973, 142 Seiten)
[9]  GA 154, Seite 10   (Ausgabe 1973, 142 Seiten)
[10]  GA 66, Seite 177   (Ausgabe 1961, 269 Seiten)
[11]  GA 82, Seite 103   (Ausgabe 1994, 264 Seiten)
[12]  GA 174, Seite 186f   (Ausgabe 1966, 320 Seiten)
[13]  GA 176, Seite 141   (Ausgabe 1982, 392 Seiten)
[14]  GA 174b, Seite 107f   (Ausgabe 1974, 398 Seiten)
[15]  GA 227, Seite 118   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[16]  GA 227, Seite 121f   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[17]  GA 211, Seite 11f   (Ausgabe 1986, 223 Seiten)
[18]  GA 303, Seite 55ff   (Ausgabe 1978, 368 Seiten)
[19]  GA 306, Seite 161   (Ausgabe 1956, 214 Seiten)
[20]  GA 199, Seite 262ff   (Ausgabe 1985, 318 Seiten)

Quellen:

GA 11:  Aus der Akasha-Chronik (1904/1908)
GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 66:  Geist und Stoff, Leben und Tod (1917)
GA 82:  Damit der Mensch ganz Mensch werde. Die Bedeutung der Anthroposophie im Geistesleben der Gegenwart (1922)
GA 154:  Wie erwirbt man sich Verständnis für die geistige Welt?. Das Einfließen geistiger Impulse aus der Welt der Verstorbenen (1914)
GA 157:  Menschenschicksale und Völkerschicksale (1914/1915)
GA 174:  Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit – Zweiter Teil (1917)
GA 174b:  Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges (1914-1921)
GA 176:  Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten. Das Karma des Materialismus (1917)
GA 199:  Geisteswissenschaft als Erkenntnis der Grundimpulse sozialer Gestaltung (1920)
GA 211:  Das Sonnenmysterium und das Mysterium von Tod und Auferstehung. Exoterisches und esoterisches Christentum (1922)
GA 225:  Drei Perspektiven der Anthroposophie. Kulturphänomene, geisteswissenschaftlich betrachtet (1923)
GA 227:  Initiations-Erkenntnis. Die geistige und physische Welt- und Menschheitsentwickelung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vom Gesichtspunkt der Anthroposophie (1923)
GA 303:  Die gesunde Entwickelung des Menschenwesens. Eine Einführung in die anthroposophische Pädagogik und Didaktik (1921/1922)
GA 306:  Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis. Die Erziehung des Kindes und jüngeren Menschen (1923)
GA 349:  Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums (1923)