Siegfried-Sage

Zu der Mysterieneinweihung gehörte nicht nur die Einweihung in die Wahrheiten der Gegenwart, sondern auch in die der Vergangenheit und der Zukunft. Immer gehörte dazu die Apokalyptik. Die Siegfried-Sage ist lange Zeit die Apokalypse des nordischen Volkes gewesen. [1]

In den nordischen Gegenden war überall die Druideneinweihung in Geltung. Der hauptsächlichste Begründer hieß Sieg. In den nordischen Gegenden geschah etwas ähnliches, wie es später in Palästina zur Begründung des Christentums geschah: Sieg gab seinen Leib ab und stellte ihn zur Verfügung einer höheren Individualität, daher ist später der verwandelte Sieg Odin genannt worden. Er ist der höchste Initiierte der nordischen Mysterien. Sieg kann nicht eine Bewegung einleiten, wie es etwa der Meister Jesus tat, nachdem das Christentum begründet war. Sieg mußte ja diese nordische Kultur zum Untergang führen. Er ist berufen, die nordischen Völker so lange zu führen, bis vom Süden her die 5. Unterrasse der 5. Wurzelrasse kam. Daher heißt er auch Sieg-urt, das heißt derjenige, der in die Vergangenheit hineinführt. «Fried» ist derselbe Name. Der ganze zukünftige Vorgang, der in den Schriften seit uralten Zeiten aufgezeichnet war, und der sich einmal abspielen sollte, wurde als Vorhersage in den nordischen Mysterien verkündigt, und aus diesen Vorhersagen ist das entstanden was später zum Inhalt des Nibelungenliedes wurde. [2]

Man stellte sich mit Recht vor, daß derjenige, der den Tod auf dem Schlachtfelde fand, aufgenommen wurde von der Walküre. Nun verstand man immer mit Recht unter der Einweihung, daß der Mensch schon während des Lebens erfahren kann, was er normalerweise erst nach dem Tode erfährt: die unmittelbar erlebte Gemeinschaft mit der geistigen Welt. Wie der Krieger die Begegnung mit der Walküre erst auf dem Schlachtfelde erlebte, so war es klar, daß derjenige, der die Einweihung suchte, diese Begegnung schon im physischen Leben erleben mußte. Und als der letzte der Einweihungshelden galt innerhalb eines Teiles von Europa Siegfried, der sich in der Siegfriedgestalt erhalten hat. Daher erzählt die Sage, daß er sich mit der Walküre während des Lebens verbindet, wie der Krieger es auf dem Schlachtfelde tut. [3] In Brunhilde und Siegfried sind Wesenheiten verkörpert, die eigentlich gar nicht mehr hineinpassen in die Zeit, in der sie leben. Siegfried ist noch ein Sonnenheld, Brunhilde eine Walküre, eine Weltenmutter. [4]

Zitate:

[1]  GA 92, Seite 91   (Ausgabe 1999, 198 Seiten)
[2]  GA 92, Seite 86   (Ausgabe 1999, 198 Seiten)
[3]  GA 105, Seite 150f   (Ausgabe 1983, 208 Seiten)
[4]  GA 161, Seite 187   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)

Quellen:

GA 92:  Die okkulten Wahrheiten alter Mythen und Sagen. Griechische und germanische Mythologie. Über Richard Wagners Musikdramen (1904-1907)
GA 105:  Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwickelung sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur (1908)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)