Seraphim

Die ersten Wesenheiten, die um die Gottheit sozusagen selber sind, die, wie man es schön ausgedrückt hat in der christlichen abendländischen Esoterik, «unmittelbar den Anblick Gottes genießen», das sind die Seraphim, Cherubim, Throne. Seraphim ist ein Name, der von all denen, die ihn richtig im Sinne der alten hebräischen Esoterik selbst verstanden haben, immer so gedeutet worden ist, daß die Seraphim die Aufgabe haben, die höchsten Ideen, die Ziele eines Weltensystems entgegenzunehmen aus der Trinität. [1] Das, was sozusagen die Planetensysteme durch den Weltenraum miteinander sprechen, um zum Kosmos zu werden, das wird geregelt durch diejenigen Geister, welche wir Seraphim nennen. [2]

Man würde die Seraphim charakterisiert haben als Wesenheiten, bei denen es nicht Subjekt und Objekt gibt, sondern bei denen Subjekt und Objekt zusammenfällt, die nicht sagen würden: Außer mir sind Gegenstände – sondern: Die Welt ist, und ich bin die Welt, und die Welt ist Ich – die eben nur von sich wissen, und zwar so, daß diese Wesenheiten, diese Seraphim, von sich wissen durch ein Erlebnis, von dem der Mensch einen schwachen Nachglanz hat, wenn er, nun, sagen wir, die Erfahrung macht, die ihn in eine glühende Begeisterung versetzt. [3] Es würde nur möglich sein, sich eine Vorstellung von dem Eindruck, von der Impression, welche die Seraphim auf den okkulten Blick machen, zu verschaffen, wenn wir etwa folgenden Vergleich aus dem Leben nehmen. Wie ein Blick, der am Leben herangereift ist, und wie Jahrzehnte von Erfahrungen sprechen oder wie ein Satz, der so ausgesprochen wird, daß wir nicht bloß seine Gedanken hören, sondern daß wir hören: der Satz ist, indem er mit solchem Klange ausgesprochen wird, in Schmerzen und in Erfahrungen des Lebens errungen, er ist keine Theorie, er ist erkämpft, er ist erlitten, er ist durch Lebensschlachten und Siege in das Herz gegangen – wenn wir all das durch einen Unterton hören, dann bekommen wir einen Begriff von der Impression, welche der geschulte Okkultist hat, wenn er sich aufschwingt zu den Wesenheiten, die wir Seraphim nennen. Bei den Wesenheiten der 1. Hierarchie ist es so, daß sie sich auch selbst objektivieren, daß sie ihr eigenes Wesen abprägen, absondern wie in einer Haut, in einer Schale, die aber ein Abdruck ihres eigenen Wesens ist. Das sondert sich jetzt von ihnen ab und bleibt in der Welt vorhanden, auch wenn sie sich davon trennen. Sie tragen also ihre Schöpfung nicht mit sich herum, sondern diese Schöpfung bleibt in der Welt vorhanden, auch wenn sie von ihr weggehen. Dadurch ist ein höherer Grad von Objektivität erreicht als der durch die zweite Hierarchie erreichte. [4]

Die Organe, durch welche der Mensch gegenwärtig die physische Welt wahrnimmt, leuchten (während der Saturnentwickelung) auf in ihren ersten feinen ätherischen Anlagen. Menschenphantome, welche an sich noch nichts anderes zeigen als die Licht-Urbilder der Sinnesorgane, werden innerhalb des Saturn dem hellseherischen Wahrnehmungsvermögen erkennbar. – Diese Sinnesorgane sind also die Frucht der Tätigkeit der Archangeloi; aber es sind an deren Zustandekommen nicht nur diese Geister beteiligt. Zugleich mit diesen Archangeloi treten andere Wesen auf dem Schauplatz des Saturn auf. Wesen, welche in ihrer Entwickelung so weit sind, daß sie sich jener Sinneskeime bedienen können zum Anschauen der Weltvorgänge im Saturnleben. Es sind Wesen, die als «Geister der Liebe», Seraphim gelten können. Wären sie nicht da, so könnten die Archangeloi nicht das Bewußtsein haben. Sie schauen die Saturnvorgänge mit einem Bewußtsein an, das es ihnen ermöglicht, diese als Bilder auf die Feuergeister zu übertragen. Sie selbst verzichten auf alle Vorteile, welche sie durch das Anschauen der Saturnvorgänge haben könnten, auf jeden Genuß, jede Freude; sie geben das alles hin, damit die Archangeloi es haben können. [5] Die von den Archangeloi erzeugten Lichtbilder scheinen durch die Sinneskeime nach außen. Der Menschenvorfahr wird dadurch zu einer Art leuchtender Wesenheit erhoben. Durch die Leuchtquellen der Menschenvorfahren strahlen die Seraphim etwas von ihrer Wesenheit auf den Planeten nieder. Ohne daß für sie eine Notwendigkeit vorläge, strahlen sie jetzt durch «freien Willen» etwas von ihrer Natur aus. Die christliche Geheimlehre spricht hier von der Offenbarung der Seraphim, der Geister der Alliebe. [6]

Der aus der Wolke herausdringende Blitz und Donner ist auch nicht etwas, was aus dem Nichts herauskommt. Dieser Tätigkeit liegt für den Seher zugrunde das Weben und Wesen der Seraphim. [7] Die Seraphim kommen in dem, was als Blitz aus der Wolke zuckt, oder in dem, was als Feuer in den vulkanischen Wirkungen zutage tritt, wirklich so zum Vorschein, daß eben ihre Unwahrnehmbarkeit in diesen gigantischen Wirkungen der Natur wahrnehmbar wird. Die alten Zeiten waren sich dessen bewußt, daß die größten Wirkungen, die wirklich dem Sonnensystem gemeinschaftlich sind, von einer ganz umgekehrten Seite sich in den Feuer- und Gewitterwirkungen, in den Erdbeben und vulkanischen Wirkungen ankündigen. Das Schöpferischste, das in den Seraphim und Cherubim liegt, kündigt sich an durch seine zerstörerischste Seite, kurioserweise. Es ist eben die Kehrseite, es ist das absolut Negative, aber das Geistige ist so geistig stark da, daß eben schon seine Unwahrnehmbarkeit, sein Nichtdasein, wahrgenommen wird von den Sinnen. [8]

Zitate:

[1]  GA 110, Seite 81   (Ausgabe 1981, 198 Seiten)
[2]  GA 136, Seite 94   (Ausgabe 1984, 246 Seiten)
[3]  GA 233a, Seite 13   (Ausgabe 1980, 176 Seiten)
[4]  GA 136, Seite 81ff   (Ausgabe 1984, 246 Seiten)
[5]  GA 13, Seite 165f   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[6]  GA 11, Seite 167   (Ausgabe 1955, 252 Seiten)
[7]  GA 122, Seite 121   (Ausgabe 1961, 200 Seiten)
[8]  GA 180, Seite 103f   (Ausgabe 1980, 351 Seiten)

Quellen:

GA 11:  Aus der Akasha-Chronik (1904/1908)
GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 110:  Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt. Tierkreis, Planeten, Kosmos (1909)
GA 122:  Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte. Das Sechstagewerk im 1. Buch Moses (1910)
GA 136:  Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen (1912)
GA 180:  Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung. Alte Mythen und ihre Bedeutung (1917/1918)
GA 233a:  Mysterienstätten des Mittelalters. Rosenkreuzertum und modernes Einweihungsprinzip - Das Osterfest als ein Stück Mysteriengeschichte der Menschheit (1924)