Selbstgefühl

Es ist im wesentlichen eine Art von Furchtgefühl, was die Seele in den engen menschlichen Raum herunterführt, ein Furchtgefühl vor dem Unendlichen, könnte man sagen. Bei der Inkarnation gehen dann sowohl dieses Furchtgefühl wie auch das Geistige, das dann zu den Gedankenschatten wird, eine wesentliche Metamorphose durch. [1] Das, was man als Furcht bezeichnen muß, das metamorphosiert sich so, daß es in zwei Elemente zerfällt. Dasjenige, was wir vor dem Heruntersteigen in die irdische Welt als Furcht erleben, was die Seele ganz durchzieht und wobei sie die geistige Welt fliehen will, das wird etwas anderes, wenn es in den Leib einzieht, und das äußert sich zunächst im Innern des Menschen als etwas, was ich bezeichnen möchte als das Selbstgefühl. Daß Sie sich als ein Selbst fühlen, daß Sie sich in sich selbst halten, das ist umgewandelte Furcht aus dem vorirdischen Leben. Und der andere Teil, in den sich die Furcht verwandelt, das ist der Wille. [2]

Das Selbstgefühl ist etwas, das im irdischen Leben nicht über eine gewisse Höhe hinaus gesteigert werden darf, was überhaupt eigentlich im irdischen Leben gar nicht selbständig empfunden werden sollte. Ein Mensch, der mit zu starker Selbständigkeit das Selbstgefühl entwickelt, der kennt eben nur sich. Das Selbstgefühl ist im irdischen Leben eigentlich nur dazu da, damit wir an unserer Leiblichkeit bis zum Tode festhalten, damit wir an jedem Morgen, wenn wir geschlafen haben, wiederum zurückkehren in unsere Leiblichkeit. Denn würden wir dieses Selbstgefühl nicht haben während unseres irdischen Lebens, so würden wir nicht wieder zurückkehren. Aber nach dem Tode brauchen wir es, wenn wir in die Welt der geistigen Wesenheiten untertauchen, denn wir würden uns sonst jederzeit verlieren. Und gerade auch die moralischen Dinge, die wir im Erdenleben verrichtet haben, die unser Selbstgefühl in berechtigter Weise erhöhen, die schützen uns davor, uns nach dem Tode als unser Selbst zu verlieren. [3] Ein erstarktes, ein erkraftetes Selbstgefühl ist nötig, ein Selbstgefühl, das man in der physischen Welt, wenn man nicht ein ausgepichter Egoist sein will, gar nicht entfalten darf. Will man sich in den höheren Welten behaupten, will man sich da erfühlen und erleben, so muß man mit erstarktem Selbstgefühl da hineintreten. Man muß aber auch die Fähigkeit haben, wenn man wiederum in die Sinneswelt zurückkommt, dieses Selbstgefühl auszuschalten, damit man nicht ein ausgemachter Egoist sei. Man muß zwar im Geistigen das erstarkte Selbstgefühl finden, aber in der physischen Welt muß sich der Geist ausleben in einer besonderen Art in demjenigen, was man im weitesten Umfang in der physischen Welt die Liebe nennt, die Liebefähigkeit, die Fähigkeit zum Mitfühlen, zum Mitleiden und zur Mitfreude. [4]

Man kann kein Selbstgefühl entwickeln in der elementarischen Welt, wenn man sein Wollen nicht anstrengt, wenn man sich nicht selber will. Ebenso wie Schlafen und Wachen abwechseln in der physisch-sinnlichen Welt, so muß der eine Zustand des Sich-in-die-Wesen-Hineinverwandelns in der elementarischen Welt mit diesem im Wollen erstarkten Selbstgefühle abwechseln. [5]

Das sogenannte Selbstgefühl löst sich (nach dem Tode) in der astralen Welt (im 4. Reiche des Kamaloka) langsam auf. [6]

Zitate:

[1]  GA 210, Seite 118   (Ausgabe 1967, 245 Seiten)
[2]  GA 210, Seite 120   (Ausgabe 1967, 245 Seiten)
[3]  GA 210, Seite 126   (Ausgabe 1967, 245 Seiten)
[4]  GA 147, Seite 142   (Ausgabe 1969, 168 Seiten)
[5]  GA 147, Seite 56   (Ausgabe 1969, 168 Seiten)
[6]  GA 88, Seite 99   (Ausgabe 1999, 256 Seiten)

Quellen:

GA 88:  Über die astrale Welt und das Devachan (1903-1904)
GA 147:  Die Geheimnisse der Schwelle (1913)
GA 210:  Alte und neue Einweihungsmethoden. Drama und Dichtung im Bewußtseins-Umschwung der Neuzeit (1922)