Selbstbewußtsein

Selbstbewußtsein ist die Fähigkeit, sich als ein Ich zu wissen. [1] Auch das Bewußtsein unseres Selbst ist von den Gesetzen unseres Körpers abhängig. Wir sind uns niemals unseres Geistes in seinem vollen ganzen Umfange bewußt, sondern nur insoweit, als dies die Gesetze unserer gegenwärtigen Verkörperung zulassen. [2] Selbstbewußtsein gewinnt man dadurch, daß man mit seinen Organen die Umgebung beobachten kann. Nur der physische Körper ist so weit, daß er seine Organe nach außen aufschließen kann. Wenn der Äther- und der Astralkörper mit ihren Organen die Umgebung beobachten könnten, würde der Mensch auch in ihnen Selbstbewußtsein erlangen. Aber dazu gehören Organe. Der physische Körper hat sein Selbstbewußtsein auch nur durch seine Organe. Diese Organe des physischen Körpers sind die Sinne. [3]

Das Kind in seinem ersten Lebensalter kann kein Selbstbewußtsein entwickeln, weil alles was an Seelenkräften vorhanden ist, so durchgeht, wie die Lichtstrahlen durch das bloße Glas (zum Beispiel eines Spiegels vor dem Anbringen des Spiegelbelages). Erst von dem Augenblicke an, wo sich der Organismus in sich selber verfestigt hat, wird ein Teil der Seelenkraft zurückgeworfen, so wie die Lichtstrahlen von der Spiegelscheibe zurückgeworfen werden. Da reflektiert sich das Seelenleben in sich selber, das Selbstbewußtsein glänzt auf. [4]

Das Selbstbewußtsein, das im «Ich» sich zusammenfaßt, steigt aus dem Bewußtsein auf. Dieses entsteht, wenn das Geistige in den Menschen dadurch eintritt, daß die Kräfte des physischen und des ätherischen Leibes diese abbauen. Im Abbau dieser Leiber wird der Boden geschaffen, auf dem das Bewußtsein sein Leben entfaltet. Dem Abbau muß aber, wenn die Organisation nicht zerstört werden soll, ein Wiederaufbau folgen. So wird, wenn für ein Erleben des Bewußtseins ein Abbau erfolgt ist, genau das Abgebaute wieder aufgebaut werden. In der Wahrnehmung dieses Aufbaues liegt das Erleben des Selbstbewußtseins. Man kann in innerer Anschauung diesen Vorgang verfolgen. Man kann empfinden, wie das Bewußte in das Selbstbewußte dadurch übergeführt wird, daß man aus sich ein Nachbild des bloß Bewußten schafft. Das bloß Bewußte hat sein Bild in dem durch den Abbau gewissermaßen leer Gewordenen des Organismus. Es ist in das Selbstbewußtsein eingezogen, wenn die Leerheit von innen wieder erfüllt worden ist. Das Wesenhafte, das zu dieser Erfüllung fähig ist, wird als «Ich» erlebt. [5]

Der Verstand hat die Eigentümlichkeit, daß er das menschliche Selbstbewußtsein erstarkt, erhärtet, intensiv macht. Daher können wir heute dasjenige ertragen, was noch ein alter Grieche nicht ertragen hätte, zum Beispiel die heliozentrische Weltanschauung. [6]

Zitate:

[1]  GA 100, Seite 40   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[2]  GA 34, Seite 351   (Ausgabe 1960, 627 Seiten)
[3]  GA 93a, Seite 67   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[4]  GA 63, Seite 53   (Ausgabe 1959, 439 Seiten)
[5]  GA 26, Seite 19f   (Ausgabe 1976, 270 Seiten)
[6]  GA 304, Seite 18   (Ausgabe 1979, 228 Seiten)

Quellen:

GA 26:  Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie – Das Michael-Mysterium (1924/1925)
GA 34:  Lucifer – Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie und Berichte aus den Zeitschriften «Luzifer» und «Lucifer – Gnosis» 1903 – 1908 (1903-1908)
GA 63:  Geisteswissenschaft als Lebensgut (1913/1914)
GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 100:  Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis. Theosophie und Rosenkreuzertum – Das Johannes-Evangelium (1907)
GA 304:  Erziehungs- und Unterrichtsmethoden auf anthroposophischer Grundlage (1921/1922)