Schulung esoterische
► Okkulte Sinnesfähigkeiten

Es ist notwendig zu betonen, daß die Geisteswissenschaft auf dem Standpunkte steht, daß durch besondere Behandlung der gewöhnlichen Fähigkeiten auch geistige Wahrnehmungsfähigkeiten im Menschen herangebildet werden können, und daß es im heutigen Entwickelungszyklus auf diese methodisch herangebildeten Fähigkeiten vorzugsweise ankommt. Man kann auch solche Fähigkeiten, welche noch aus früheren Zeiten stammen, im Menschen finden (siehe: Hellsehen atavistisches). Sie können zwar geweckt werden, da sie fast in jedem Menschen vorhanden sind, aber sie müssen (weiter-)entwickelt werden. Der Ausdruck «okkulte Sinne» sollte vermieden werden, denn man kann nicht sagen, daß der Mensch okkulte Sinne bekommt, sondern es ist eine ganz andere Art des Wahrnehmens. Man sollte das, was sich aus dem, was man die Lotusblumen (siehe: Astralleib-Organe) nennt, organisiert, nicht Sinne, sondern höchstens Sinnesfähigkeit nennen. [1] Die physischen Sinnesorgane fühlen sich während der esoterischen Entwickelung zur Untätigkeit verurteilt. Dafür nun, daß sie als physische Sinnesorgane ausgeschaltet sind, tritt ein anderes ein, (nämlich) ein allmähliches Bewußtwerden der einzelnen Sinnesorgane wie besondere Welten, die in einen hineingehen. Man lernt empfinden die Augen, die Ohren, sogar den Wärmesinn, wie hineingebohrt in einen. Aber das, was man da empfinden lernt, ist nicht das physische Sinnesorgan, sondern sind die Ätherkräfte, die Kräfte des Ätherleibes, die organisierend wirken an den Sinnesorganen. [2]

Wir können nur dadurch physische Sinnesorgane haben, daß wir die elementarische Welt in uns einlassen und sie dann aufhalten. Dadurch bildet sich zum Beispiel unser Auge. Wir können einen Sehnerv nur dadurch haben, daß wir die geistige Welt einlassen in uns und dann aufhalten. Dadurch bildet sich unser Gehirn. Sollen sich jetzt höhere Organe bilden, dann müssen wir die Möglichkeit haben, eine weitere, eine noch höhere Welt aufzuhalten. Wir müssen ihr etwas entgegenschicken können, wie wir im Gehirn entgegenschicken der Vernunftwelt dasjenige, was sie aufhält, was sie zunächst in schwachem Abbild spiegelt. Der Mensch muß also etwas tun, wenn er sich im wahren Sinn höherentwickeln will. Der Mensch muß etwas tun, um eine höhere Welt aufzuhalten, um aus einer höheren Welt herein Kräfte zu bekommen, die sonst einfach durch ihn durchgehen. Denn die Kräfte der Urbilderwelt (siehe: Devachan oberes) gehen einfach durch ihn durch. Er muß sich selbst einen Spiegelungsapparat schaffen. Er muß also etwas tun, um sich zunächst höhere Organe zu schaffen. Er muß eine höhere Welt, als die Vernunftwelt es ist, in sich zum Stillstand bringen, und das geschieht dadurch, daß der Mensch eine neue Tätigkeit einführt in die Tätigkeiten, die er sonst immer ausführt. [3]

Wir müssen aufsteigen zu einer solchen Tätigkeit, wo wir nicht bloß etwas Äußerliches in uns abbilden, sondern wo wir dieses Äußere lebendig zu Vorstellungen verarbeiten, die wir uns selber gebildet haben. [4] Alle diese Sinnbilder (zum Beispiel: das Rosenkreuz) bilden nichts Äußeres ab, aber wenn wir uns ihnen hingeben, wenn wir uns in innerer Versenkung der Bedeutung dieser Sinnbilder hingeben, die nichts Äußeres abspiegeln, dann bearbeiten wir unsere Seele so, daß sie gewöhnt wird an innere Tätigkeiten, die sie sonst nicht ausübt. Und die Summe dieser inneren Tätigkeiten, die sie sonst nicht ausübt, bildet endlich eine Art von innerer Kraft, wodurch wir zurückhalten können, ebenso wie wir die anderen Welten zurückhalten, dasjenige, was wir die Welt der Urbilder nennen. Es brauchen die Sinnbilder nicht bloß solche zu sein, daß man sozusagen Bilder wie Augenbilder vor sich hat, sondern es können auch Worte sein, in denen zusammengedrängt werden tiefe Weltenwahrheiten.

Aber geradeso wie aus der elementarischen Welt heraus die Augen gebildet werden, aus der geistigen Welt heraus das Nervensystem und aus der Vernunftwelt heraus das Gehirn des Menschen, so wird aus der Urbilderwelt heraus dasjenige gebildet, was wir nun die höheren Sinnesorgane nennen, jene Sinnesorgane, die uns dann nach und nach befähigen, in die geistige Welt hineinzuschauen, so daß man sich bewußt wird dieser Sinnesorgane, die also einfach darstellen eine Fortsetzung derjenigen Tätigkeit, die wir schon draußen finden auf einer niedrigeren Stufe. Diese Sinnesorgane werden, weil sie auftreten wie aus dem Menschen heraussprießende geistige Blütengebilde, Lotusblumen genannt oder auch geistige Räder oder Chakrams. Eigentlich sind es aus der Seele des Menschen hervorsprießende Kräfte und Kraftsysteme, diese sogenannten Lotusblumen. [5] (Dadurch entsteht auch die Umkehrung der Wahrnehmungsrichtung, so daß man sagen kann) der Mensch sieht das Höhere mit dem Hinterhaupt. [6]

Zitate:

[1]  GA 164, Seite 184f   (Ausgabe 1984, 286 Seiten)
[2]  GA 145, Seite 45f   (Ausgabe 1976, 188 Seiten)
[3]  GA 119, Seite 189f   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[4]  GA 119, Seite 192   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[5]  GA 119, Seite 195f   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[6]  GA 223, Seite 101   (Ausgabe 1980, 168 Seiten)

Quellen:

GA 119:  Makrokosmos und Mikrokosmos.. Die große und die kleine Welt. Seelenfragen, Lebensfragen, Geistesfragen (1910)
GA 145:  Welche Bedeutung hat die okkulte Entwicklung des Menschen für seine Hüllen (physischer Leib, Ätherleib, Astralleib) und sein Selbst? (1913)
GA 164:  Der Wert des Denkens für eine den Menschen befriedigende Erkenntnis. Das Verhältnis der Geisteswissenschaft zur Naturwissenschaft (1915)
GA 223:  Der Jahreskreislauf als Atmungsvorgang der Erde und die vier großen Festeszeiten. Die Anthroposophie und das menschliche Gemüt (1923)