Schrift

In der Urzeit schrieb man hellsichtig vor sich hin. Noch der alte Grieche konnte dasjenige, was Geometrie war, hellsichtig vor sich hinzeichnen. [1] Was als Schriftzeichen in der Adeptenschule der alten Atlantis existierte, das waren Nachbildungen von Naturvorgängen, die mit der Hand in die Luft gezeichnet wurden und die wirkten, auch nachwirkten auf den Geist der damaligen Bevölkerung. Sie weckten in der Seele Kräfte. Mit dem Untergang der Atlantis gingen aber deren Errungenschaften nicht unter, sondern es wurde von alldem, was in der atlantischen Pflanzschule der Adepten vorhanden war, das Wesentlichste von einem kleinen Kern von Menschen mitgenommen. Diese kleine Masse zog unter der Führung des Manu in die Gegend der heutigen Wüste Gobi. Und diese kleine Schar bereitete nun Nachbildungen der früheren Kultur und Lehre vor, aber mehr im Verstandeshaften. Es waren die in Gedanken und Zeichen umgesetzten früheren geistigen Kräfte. [2]

(Unsere Schrift) geht zurück auf andere ausdrucksvollere Schriftformen. Und wenn wir das ganz weit zurückverfolgen, dann kommen wir zu den Schriftformen, sagen wir, wie sie die Ägypter gehabt haben, oder wie das ursprüngliche Sanskrit war, das mehr oder weniger ganz in seinen Formen aus dem Schlangencharakter sich herausentwickelt hat. Die Sanskritzeichen sind umgewandelte Schlangenformen mit allerlei daran. Die ägyptischen Schriftformen waren noch Bilder, waren in ihren ältesten Zeiten sogar die Imagination für dasjenige, was dargestellt wurde. Die Schrift war unmittelbar aus dem Geistigen heraus. Dann wurde die Schrift immer abstrakter und abstrakter. Aus der Kunst ist die Schrift hervorgegangen, zur Kunst muß die Schrift wieder zurückkehren. Sie muß über den Symbolismus hinauskommen, unmittelbar das Geistige in sich leben lassen, indem sie in neuer Art wiederum zur Hieroglyphe wird. [3]

Wenn nun der Ägypter in einer besonderen Schrift zum Ausdruck bringen wollte, auf seine Weise hinmalen wollte die Art, wie sich Isis zum Osiris verhält, so drückte er es aus durch das Wandeln von Sonne und Mond am Himmel, und die anderen geistigen Mächte durch die Verhältnisse der andern Sterne. Vor allem kam dabei in Betracht der Tierkreis mit seiner verhältnismäßigen Ruhe und was sich an Planeten bewegt über die Tierkreisbilder hin. In allem, was sich darin enthüllte, sah der alte Ägypter die Art, wie er am besten in einer geistigen Schrift zum Ausdruck bringen konnte, was seine Seele bewegte. Das führte dazu, daß der große Weise (siehe: Hermes-Thot), der in grauer Vorzeit existierend gedacht werden muß, nach Anschauung der Ägypter vor allen Dingen den tiefsten hellseherischen Einblick hatte in dieses Verhältnis der Menschheit zum Universum, und daß er zum höchsten Ausdruck gebracht hat, was die Konstellation der Sterne war in bezug auf diese geistigen Kräfte und ihr Geschehen und die zwischen ihnen spielenden Tatsachen. In Sternensprache drückte er aus, was geschah. Sollte so zum Beispiel ausgedrückt werden, wie sich Osiris zu Isis verhält, so konnte man es in Form der Legende – exoterisch – dem Volke sagen. Für die, welche dann in die Einweihung geführt wurden, drückte man das genauere Verhältnis aus in dem Verhältnis des von der Sonne ausgehenden, vom Monde zurückgeworfenen und in merkwürdigen Verhältnissen vom Neumonde durch die Viertel zum Vollmonde gehenden Lichtes. Man erblickte darin mit Recht etwas, was ähnlich war dem Verhältnis der Isis-Kraft der menschlichen Seele zu Osiris. Und dann wurde von diesen Verhältnissen am Himmel und ihren Formen hergenommen, was man wirklich als die Urformen der Schrift ansehen kann. Denn so wenig, wie die Menschen dies in der Schrift noch erkennen, so sehr muß man sagen: In den Konsonanten hat man Nachbildungen der Tierkreiszeichen zu erblicken, des verhältnismäßig Ruhenden. Und in dem Verhältnis der Vokale zu den Konsonanten hat man Nachbildungen des Verhältnisses der Planeten und ihrer beweglichen Kräfte zum Tierkreis. Vom Himmel heruntergeholt, muß man sagen, sind die Schriftzeichen. [4]

Wie unsere (heutige) Schrift wenige Buchstaben hat, so hat unser Astralleib wenige Gewohnheiten (seines Bewegens). Und wie wir mit unseren Buchstaben, durch Gruppierungen in der Schrift, mitteilen die ganze unendliche Fülle dessen, was sich Menschen überhaupt zu sagen haben über sich und die Welt, so formt sich aus wenigen Gewohnheiten heraus, durch ihre Kombinationen, dasjenige, was das Gedächtnis aufbewahrt. Wenn wir die 12 Sternbilder des gesamten Tierkreises nehmen, so können wir sagen, daß in der Tat unser astralischer Leib in lebendiger Verknüpfung ist mit diesen 12 Sternbildern. Diese 12 Sternbilder bedeuten für ihn wirklich 12 bestimmte Gewohnheiten, 12 bestimmte Arten, sich zu bewegen. Und dann ist unser astralischer Leib auch in Verbindung mit den 7 Planeten. Durch diese Gewohnheiten, die entzündet werden durch die Planeten, entsteht etwas Ähnliches in dem Astralleibe wie die Selbstlaute, die Vokale. Und durch die Gewohnheiten, die erregt sind in ihm durch den Einfluß des Tierkreises, entsteht etwas ähnliches wie die Mitlaute, die Konsonanten. [5] Wir haben also ein fortwährendes inneres Lesen, und wenn wir zurückgehen könnten, so würden wir finden, daß in der Tat in den ältesten Bilderschriften von den Menschen nachgeahmt worden ist dieses innere Lesen des Menschen. Es ist nicht so, daß irgendwie zufällig Schriftzeichen entstanden sind, sondern die ursprünglichen Konsonantenzeichen waren Nachahmungen der Tierkreisbilder und die ursprünglichen Vokalzeichen waren Nachahmungen der Planetenbilder. Das äußere Lesen war nichts anderes als ein in der äußeren Welt nachbilden dessen, was der Mensch als inneres Lesen hatte. Damit hängt zusammen die Gesinnung, welche man in älterer Zeit gehabt hat gegenüber dem, was die Schreibkunst ist. Sie galt als etwas ungeheuer Heiliges, weil sie entnommen war den kosmischen Geheimnissen. [6] Bei den Urschriften würde man noch dieses menschlich-individuell Persönliche in der Schrift darinnen merken. Man würde auch da eine Art stummer, sichtbarer Sprache noch empfinden in der Schrift, wenn man die Urschriften ins Auge faßt. Und je mehr der Mensch, ich möchte sagen, das Gedankliche festhalten will in der Schrift, desto unkünstlerischer wird die Schrift. [7] Schon in ursprünglicheren Buchstabenformen, namentlich zum Beispiel in hebräischen Buchstabenformen kann man eine Art Nachahmung desjenigen sehen, was da eigentlich in der Luftform, in der Luftgestaltung (des Lautes) geschieht. (Auch) das Griechische hat noch etwas davon. [8]

Aber Sie wissen ja, es ist ein Zeichen der Entwickelung, daß all dasjenige, was von den guten Göttern kommt, in der Welt ahrimanisch oder luziferisch verschoben sein kann. In dem Augenblick, als die ganz gewöhnliche Buchdruckerkunst entstand, ist die Schreibkunst verschoben worden. Das, was wir heute als Druckschrift haben, aber im weiteren Sinne gilt das auch von der Schreibschrift, ist von entschieden ahrimanischem Charakter. Und das empfand das Volk, als es die Buchdruckerkunst den schwarzen Mächten zuschrieb, sie eine «schwarze Kunst» nannte, ja, ihre Erfindung sogar dem Teufel zuschrieb. [9] Ahriman ist überall darauf bedacht, dem Strom der Vernichtung zu entziehen, was im menschlichen Denken lebt, es da zu behalten in der physisch-sinnlichen Welt. Das ist der charakteristische Vorgang, wie das entsteht, was man aufschreibt. Da wird der menschliche Gedanke, der sonst in der Zeit vergehen würde, fixiert, wird für die Zeit aufbewahrt. Da dringt gerade Ahriman in die menschliche Kultur ein. [10]

Zitate:

[1]  GA 167, Seite 115   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[2]  GA 97, Seite 127   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[3]  GA 191, Seite 191f   (Ausgabe 1983, 296 Seiten)
[4]  GA 60, Seite 366f   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[5]  GA 156, Seite 83f   (Ausgabe 1967, 183 Seiten)
[6]  GA 156, Seite 116uf   (Ausgabe 1967, 183 Seiten)
[7]  GA 277, Seite 199   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[8]  GA 279, Seite 59   (Ausgabe 1979, 276 Seiten)
[9]  GA 156, Seite 119f   (Ausgabe 1967, 183 Seiten)
[10]  GA 147, Seite 91   (Ausgabe 1969, 168 Seiten)

Quellen:

GA 60:  Antworten der Geisteswissenschaft auf die großen Fragen des Daseins (1910/1911)
GA 97:  Das christliche Mysterium (1906/1907)
GA 147:  Die Geheimnisse der Schwelle (1913)
GA 156:  Okkultes Lesen und okkultes Hören (1914)
GA 167:  Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste (1916)
GA 191:  Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis (1919)
GA 277:  Eurythmie – Die Offenbarung der sprechenden Seele. Eine Fortbildung der Goetheschen Metamorphosenanschauung im Bereich der menschlichen Bewegung (1918-1924)
GA 279:  Eurythmie als sichtbare Sprache. (Laut-Eurythmie-Kurs) (1924)