Rosenkreuzer

Die Rosenkreuzerbewegung ging ursprünglich von morgenländisch-orientalischem Wissen aus, und dieses Wissen wurde damals der europäischen Anhängerschaft in den verschiedensten Graden mitgeteilt. Am Ende des 18. und namentlich zum Beginn des 19. Jahrhunderts verschwanden diese okkulten Schulen aus der Kultur Europas und die letzten Rosenkreuzer zogen sich zurück nach dem Orient. [1]

Es ist überhaupt bis in unsere Zeit hinein nicht möglich gewesen, auch nur das Elementarste aus dem Bereiche dieser Geistesströmung, die seit dem 14. Jahrhundert wirklich existiert hat und auch heute noch existiert, kennenzulernen. Alles, was in die Literatur übergegangen ist, was geschrieben und gedruckt worden ist, sind einzelne Bruchstücke, einzelne verlorene, durch Verrat an die Öffentlichkeit gekommene Dinge, die ungenau und in vielfacher Weise durch Charlatanerie, Schwindel, Unverstand und Dummheit verkehrt worden sind. Die wahre, echte Rosenkreuzerei ist, seitdem sie besteht, stets nur Gegenstand mündlicher Mitteilung an solche gewesen, welche sich eidlich zur Geheimhaltung verpflichten mußten. Daher ist auch nichts Erhebliches in die öffentliche Literatur übergegangen. [2] Der Orden, der bei seiner Begründung nur aus 7 Mitgliedern bestand, hat bis in unsere Zeiten herein ganz im geheimen gewirkt. Niemand hat auch jemals etwas über die Geheimnisse der Rosenkreuzer erfahren können. [3] Von den wahren Rosenkreuzern weiß gegenwärtig überhaupt niemand noch etwas, der ihr nicht durch die Mittel der Geheimwissenschaft nahegetreten ist. [4]

Die innere Schulung der Rosenkreuzerströmung war eine streng okkulte. Bei einer solchen okkulten Schulung nimmt man sehr wenig Rücksicht auf die Sprache, auf die Art und Weise, wie man sich ausdrückt. Innerhalb der Welt des 15., 16. und 17. Jahrhunderts lebte eine Art von schlichten Menschen, die nicht als besondere Gelehrte bekannt waren, auch keine besondere soziale Stellung einnahmen, die aber die okkulte Strömung der Rosenkreuzer weiterleiteten. Es waren nie sehr viele. Wirkliche Eingeweihte gab es nie mehr als 7 zu gleicher Zeit; die anderen waren Geheimschüler verschiedener Grade. Die Rosenkreuzer waren die Sendboten der weißen Loge. Von ihnen gingen in Wahrheit die weltbedeutenden Geschehnisse aus. Alles Wichtige, was in dieser Zeit geschah, führt in den letzten Fäden in die Loge der Rosenkreuzer hinein. Äußerlich haben ganz andere die Geschichte Europas gemacht, aber innerlich gesehen, waren diese die Werkzeuge der okkulten Individualitäten. Selbst Rousseau und Voltaire waren solche Werkzeuge von hinter ihnen stehenden okkulten Individualitäten. Diese konnten selbst nicht mit ihrem Namen auftreten. Die Anregung, die sie bei der Ausübung ihrer Mission anderen Menschen gaben, konnte äußerlich eine sehr einfache, unauffällige sein. Manchmal war die kurze Begegnung mit einem solchen schlichten Manne die Gelegenheit, bei welcher den Werkzeugen der okkulten Individualitäten der richtige Impuls gegeben wurde. Auch hinter den bedeutenden Staatsmännern stehen bis zur Französischen Revolution okkulte Mächte. Dann ziehen sie sich allmählich zurück, denn die Menschen sollen selbst Herr ihrer Geschicke werden. Zum ersten Mal sprechen Menschen als Menschen in den Reden der Französischen Revolution. Zu jeder wichtigen Entdeckung gaben die okkulten Bruderschaften den Anlaß; dann erst spielten sich die Ereignisse draußen in der Welt ab. Voltaire war ein im eminentesten Sinne von vorwärtsstrebenden Bruderschaften getriebener Geist, denn er war im wesentlichen dazu da, um die Menschen auf ihre eigenen Füße zu stellen. Andere standen im Dienste von retardierenden Bruderschaften, so zum Beispiel Robespierre im späteren Lebensalter. [5]

Es war so gegen das Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als auf einem unrechten Wege, durch eine Art Verrat, gewisse Geheimnisse der Rosenkreuzerei in die Offentlichkeit gekommen sind (siehe: Stein der Weisen). Damals wurde Verschiedenes darüber gedruckt; man konnte daraus entnehmen, daß die Betreffenden etwas haben läuten hören, aber es nicht verstanden haben. [6]

In dieser Form sollte das Rosenkreuzertum die streng geheimgehaltene Schule sein zur Vorbereitung dessen, was der Esoterik öffentlich als Aufgabe zufallen müsse um die Wende des 19. und 20. Jahrhunderts (siehe: Kali Yuga), wenn die äußere Naturwissenschaft zur vorläufigen Lösung gewisser Probleme gekommen sein werde. Als diese Probleme bezeichnete Christian Rosenkreuz: 1. Die Entdeckung der Spektralanalyse, wodurch die materielle Konstitution des Kosmos an den Tag kam. 2. Die Einführung der materiellen Evolution in die Wissenschaft vom Organischen. 3. Die Erkenntnis der Tatsache eines anderen als des gewöhnlichen Bewußtseinszustandes durch die Anerkennung des Hypnotismus und der Suggestion. Erst, wenn diese materiellen Erkenntnisse innerhalb der Wissenschaft ausgereift wären, sollten gewisse rosenkreuzerische Prinzipien aus dem Geheimwissenschaftlichen in die öffentliche Meinung eintreten. Für die Zeit bis dahin wurde die christlich-mystische Initiation in der Form dem Abendlande gegeben, in der sie durch den Initiator dem «Unbekannten aus dem Oberland» (siehe: Gottesfreund vom Oberland) erfloß in St.Victor, Meister Eckhart, Tauler und so weiter. [7]

Zitate:

[1]  GA 89, Seite 85   (Ausgabe 2001, 234 Seiten)
[2]  GA 55, Seite 177   (Ausgabe 1959, 278 Seiten)
[3]  GA 284, Seite 80   (Ausgabe 1993, 208 Seiten)
[4]  GA 284, Seite 41   (Ausgabe 1993, 208 Seiten)
[5]  GA 93a, Seite 114f   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[6]  GA 100, Seite 179   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[7]  GA 262, Seite 15   (Ausgabe 1967, 355 Seiten)

Quellen:

GA 55:  Die Erkenntnis des Übersinnlichen in unserer Zeit und deren Bedeutung für das heutige Leben (1906/1907)
GA 89:  Bewußtsein – Leben – Form. Grundprinzipien der geisteswissenschaftlichen Kosmologie (1903-1906)
GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 100:  Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis. Theosophie und Rosenkreuzertum – Das Johannes-Evangelium (1907)
GA 262:  Rudolf Steiner / Marie Steiner-von Sivers: Briefwechsel und Dokumente 1901–1925 (1901-1925)
GA 284:  Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongreß Pfingsten 1907 und seine Auswirkungen (1907)