Rhythmus

Ein oberstes Gesetz beherrscht die Natur, das ist der Rhythmus. Das Verfahren des Adepten zur Befreiung seines Astralleibes besteht darin, daß er die Gefühle und Gedanken pflegt, die schon durch sich selbst einen bestimmten, dem physischen Körper mitteilbaren Rhythmus besitzen, und auf der anderen Seite alle diejenigen Gefühle und Gedanken zu vermeiden, die Unordnung und Zerrüttung in ihn hineintragen. Er verschmäht es, sich extremen Freude- und Schmerzgefühlen zu überlassen und gibt ein Vorbild für völliges seelisches Gleichgewicht. Wenn der Mensch die 12-blättrige Lotusblume (siehe: Astralleib-Organe) entwickelt hat, die sein astrales und geistiges Wahrnehmungsorgan (in der Herzgegend) darstellt, kann er über seinen Körper verfügen und ihm einen neuen Rhythmus geben, der die Ermüdungserscheinungen in ihm aufhebt. Dank diesem Rhythmus und dieser Wiederherstellung der Harmonie hat der Astralleib nicht mehr nötig, während der physische Leib schläft, seine Wiederaufbauarbeit zu vollziehen, ohne welche der physische Leib zerfallen würde. [1]

Etwa um das Jahr 1850 ist, ohne daß es eigentlich sehr deutlich bemerkt worden ist, verlorengegangen in großem Ausmaße das unmittelbare, elementare Gefühl für Rhythmus. [2] Früher, etwa bis in die Mitte unserer Erdentwickelung hinein, stimmte der Mensch in allen seinen Rhythmen viel mehr überein mit den äußeren Naturrhythmen. Seit jener Zeit, also seit der Mitte der atlantischen Zeit aber haben sich die Dinge übereinandergeschoben. Das Innere des Menschen hat sich unabhängig gemacht von dem äußeren Rhythmus. Innen hat es seinen alten Rhythmus beibehalten. Gerade durch das Nicht-Zusammenstimmen der Rhythmen hat sich der Mensch Unabhängigkeit und Freiheit erworben, sonst wäre die freiheitliche Entwickelung in der Geschichte der Menschheit nicht möglich geworden. Der Rhythmus des Menschen ist gegen den der Sonne, beziehungsweise der der Erde gegen den der Sonne, vorangeeilt. Ähnlich ist es mit den anderen Rhythmen, zum Beispiel mit dem des Astralleibes. Früher erlebte der Mensch in den 7 Tagen ganz verschiedene Stimmungsnuancen. Eine Zeitlang machte alles Äußere einen großen Eindruck auf ihn, eine andere Zeit lebte er mehr in seinem Innern. Weil die Rhythmen heute nicht mehr zusammenstimmen, deshalb bleiben die Zustände des inneren Erlebens auch in der Zeit, wo der Mensch an der Außenwelt mehr Freude hat, und umgekehrt. Sie mischen sich ineinander und gleichen sich aus, und der astralische Leib wird dadurch sozusagen gleichtemperiert. Bei den Menschen, die mehr in ihrem astralischen Leibe leben, kann man bei feiner Beobachtung solches Schwanken in den Stimmungslagen noch wahrnehmen. Bei Seelen- oder Geisteskranken kann man die Verschiedenheiten in den Zuständen des astralischen Leibes nachweisen. Für das Ich ist der Rhythmus am spätesten entstanden, aber auch da schieben sich die Dinge schon durcheinander. Der Mensch kann auch bei Tage schlafen und in der Nacht wachen. Aber früher stimmte dieser Rhythmus immer mit dem äußeren überein. In der Atlantis hätte sich etwas sehr Schlimmes ergeben, wenn der Mensch hätte tagsüber schlafen und nachts wachen wollen. Da hätte er sein ganzes Leben in Unordnung gebracht.

Der Mensch soll in einer urfernen Zukunft dazu kommen, aus seiner inneren Entwickelung heraus seinen Rhythmus wieder in die Welt hinauslaufen zu lassen. Wie es einst Wesen gegeben hat, die aus ihren Rhythmen heraus Sonne, Mond und Erde sich haben bewegen lassen, so wird auch der Mensch einmal seinen Rhythmus in die Welt hinausversetzen, wenn er die göttliche Stufe erreicht hat. Das ist der Sinn des Unabhängigwerdens im Rhythmus. Hieraus können wir die tieferen Grundlagen der Astrologie ahnen. [3]

Wie die Menschen einen äußeren Kalender haben, der seine große Bedeutung hat für die physischen Verrichtungen, so wird der Mensch für die Zukunft, wenn seine Seele an Intensität wächst, zum Beispiel innere Wochen fühlen, wird ein auf- und abwogendes Lebensgefühl und innere Sonntage fühlen. Denn nach der Verinnerlichung hin rückt die Menschheit vor. Vieles von dem, was die Menschheit früher erlebt hat in der Einteilung des äußeren Lebens zahlenmäßig, das wird der Mensch später innerlich erleben, das wird eine Auferstehung des Makrokosmischen in der Seele erleben, je weiter wir der Zukunft entgegengehen. Es wird ihm eine selbstverständliche Pflicht sein, nicht Tumult und Rumor in der menschlichen Entwickelung anzurichten, indem er die heiligen Gesetze der Seelenentwickelung fortwährend übertritt. Die Menschen werden aufsteigen zu dem Verständnis, daß es nur einem raffinierten, höheren Egoismus entspricht, wenn sie immer gleich das, was in ihrer Seele Platz greift, mitteilen wollen. Und die Menschen werden selbstverständlich dazu kommen, den Geist in ihrer Seele zu fühlen, und zwar nicht abstrakt, wie sie es heute tun, sondern sie werden empfinden, wie dieser Geist in ihrer Seele regelmäßig und gesetzmäßig wirkt. [4]

Je mehr die menschlichen Lebensverhältnisse dem Körperlichen zugeordnet sind, desto mehr wurde der alte Rhythmus beibehalten; je mehr aber die Verhältnisse sich dem Geistigen zuwandten, desto mehr Unordnung wurde in sie hineingebracht. Wir kennen auch Wesen, die dem Menschen der heutigen Erde übergeordnet sind. Sie sind viel geistigere Wesenheiten als der Mensch. Sie leben daher auch in höheren Welten. Aber sie richten sich in den geistigen Dingen durchaus nach dem Rhythmus des Kosmos. Ein Angelos würde nicht so ungeordnet denken wie der Mensch, aus dem einfachen Grunde, weil sein Gedankenablauf geregelt wird von den kosmischen Mächten und er sich danach richtet. Diese Angeloi kennen den Ablauf im Kosmos, und ihr Denkablauf entspricht dem geregelten Rhythmus. Der Mensch ist, als er in seiner jetzigen Gestalt die Erde betreten hat, aus diesem Rhythmus herausgekommen, daher das Regellose seines Denkens, seiner Empfindungen und seines Gefühlslebens. Während in den Dingen, auf die der Mensch noch weniger Einfluß hat, im Astralleib und Ätherleib, die Regelmäßigkeit fortherrscht, ist in den Teilen, die der Mensch in die Hand bekommen hat, also in seiner Empfindungsseele, Verstandesseele, Bewußtseinsseele Regellosigkeit und Unrhythmus, Rhythmuslosigkeit hineinge-zogen. Es ist noch das wenigste, daß der Mensch in unseren Großstädten die Nacht zum Tage macht. Viel mehr bedeutet es, daß der Mensch innerlich in seinem Gedankenablauf sich herausgerissen hat aus dem großen Weltenrhythmus. Wie der Mensch jede Stunde, jeden Augenblick denkt, das alles widerspricht in gewisser Beziehung dem großen Weltenablauf. [5]

Nicht darin besteht des Menschen wahrer Fortschritt und sein Heil, daß er zum alten Rhythmus wieder zurückkehrt, daß er sich (beispielsweise) sagt: wie lebe ich im Einklang mit den 4 Mondvierteln? Denn es war notwendig in den alten Zeiten, daß der Mensch wie ein Siegelabdruck des Kosmos war. Aber wesentlich ist es auch, daß der Mensch nicht etwa glaubt, daß er ohne Rhythmus leben könne. Wie er sich von außen verinnerlicht hat, so muß er sich von innen heraus wiederum rhythmisch aufbauen. Das ist es, worauf es ankommt. Rhythmus muß das Innere durchziehen. Wie Rhythmus den Kosmos aufgebaut hat, so muß der Mensch, wenn er beteiligt sein will an dem Aufbau eines neuen Kosmos, sich wieder mit einem neuen Rhythmus durchdringen. (Allerdings) unser Zeitalter ist gerade darin charakteristisch, daß es den alten Rhythmus – den äußeren – verloren und noch keinen neuen inneren Rhythmus gewonnen hat. Der Mensch ist der Natur – wenn wir den äußeren Ausdruck des Geistes Natur nennen – entwachsen und in den Geist selbst noch nicht hineingewachsen. Die Menschheit würde vollständig in die Dekadenz kommen, wenn sie nicht einen inneren Rhythmus aufnehmen würde. [6]

Zitate:

[1]  GA 94, Seite 73f   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[2]  GA 301, Seite 171   (Ausgabe 1977, 268 Seiten)
[3]  GA 107, Seite 157f   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[4]  GA 124, Seite 155f   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[5]  GA 107, Seite 196f   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[6]  GA 107, Seite 198f   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)

Quellen:

GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 107:  Geisteswissenschaftliche Menschenkunde (1908/1909)
GA 124:  Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums (1910/1911)
GA 301:  Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft (1920)