Paracelsus

In Paracelsus eine Persönlichkeit lebte, für die die Religion so weit gilt, daß sie die Medizin mitumfaßt. In Paracelsus lebte eine Auffassung der Religion, die es ihm möglich machte, an dem Geistigen so festzuhalten, daß man sich mit ihm durchdringen kann bis in die Krankheit hinein, so daß der Arzt derjenige ist, der den Willen Gottes auf Erden ausführt in Bezug auf den Kranken. Für ihn war medizinischer Dienst religiöser Dienst. Und das ist das, was heute durchaus nötig ist: nicht nur ewig zu reden über das Ewige, sondern dieses Ewige hineinzutragen in alles Leben und es in allem Lebendigen regsam, wirksam zu machen. [1] Paracelsus und van Helmont versuchten zu formulieren, was die anderen schon nicht mehr formuliert haben. Aber in der Formulierung war etwas enthalten, was man eigentlich nur noch verfolgen konnte, wenn man etwas hellseherisch war, wie es ja Paracelsus und van Helmont ganz entschieden waren. So haben denn Paracelsus und später unter seinem Einfluß andere angenommen als die Grundlage für das Wirken der Flüssigkeiten im Organismus den Archäus. Den Archäus hat er angenommen, so wie wir etwa sprechen von dem Ätherleib des Menschen. Unser Ätherleib und auch der Paracelsussche Archäus ist ein Ausschnitt aus demjenigen, was nicht zur Erde gehört, was also von allen Seiten des Kosmos ins Irdische hereinwirkt. So daß also Paracelsus dasjenige, was man früher einfach als das Kosmische im Menschen bezeichnete und was mit der hippokratischen Medizin untergegangen ist, zusammengefaßt sah in seiner Anschauung eines ätherischen Organismus, der dem physischen zugrunde liegt. [2]

Die Heilkunde des Paracelsus ist ein Wiederaufleben dessen, was in den Tempeln des alten Ägyptens gelehrt wurde. Wer sich hineinvertieft in Paracelsus, der weiß, welch hoher Geist in ihm lebte. Er hat einen merkwürdigen Ausspruch getan, er sagte: In vielem habe er vieles gelernt, am wenigsten zwar habe er auf Akademien gelernt, er habe aber auf seinem Zuge durch die Länder viel von dem Volke und aus alten Traditionen gelernt. [3] Paracelsus hatte ein gewisses ursprüngliches Hellsehen. [4] Bei ihm hat man das Gefühl: seine Erkenntnisse steigen ihm wie atavistisch von innen auf, er trägt sie schon von einer überirdischen Welt in die Welt herein. [5] So etwas, nicht wie ein persönliches Zurückschauen, aber ein Zurückschauen auf die Art, wie man in der geistigen Welt vor dem irdischen Dasein angeschaut hat, das trat atavistisch bei Jakob Böhme und bei Paracelsus hervor. Dadurch haben solche Menschen mehr Beziehung zu den Elementargeistern der Natur als zu dem, was die Naturdinge äußerlich an ihrer Oberfläche darstellen. Sie sehen mehr die geistigen Wesenheiten, die in der Natur drinnen sind. Denn von dem, was man auf der Erde zum Beispiel Schwefel nennt, davon gibt es keine Anschauung im vorirdischen Dasein, wohl aber, wenn ich mich so ausdrücken darf, von dem Elementargeist, der dem Schwefel zugrunde liegt. Von ihm hat man die Anschauung im vorirdischen Dasein. [6]

Paracelsus brauchte nicht erst zu probieren, ebensowenig wie der Magnet zu probieren braucht, der das Eisen anzieht. Er konnte sagen, daß im Roten Fingerhut diese oder jene Heilkraft wohnt. Ein solches Wissen wird erst dann wiederkommen, wenn der Arzt erkennen wird, daß es nicht nur auf den intellektuellen Verstand, sondern auf die innere Lebenshaltung ankommt; wenn er weiß, daß er selbst ein ganz anderer Mensch werden muß. Wenn er Temperament, Charakter, die ganze Anlage seiner Seele umgewandelt hat, dann kann er erst jene Schau- und Erkenntniskraft gegenüber den Kräften der Welt entfalten, welche den Menschen harmonisieren. Das wird in gar nicht so ferner Zukunft möglich sein. [7]

Das menschliche Herz war in seiner Entstehung in Verwandtschaft mit dem, was draußen vor sich gegangen ist. In dem Augenblick, wo man sich in das Herz vertieft, schafft man sich die Umwelt, wie sie damals war, als in der lemurischen Zeit das Herz entstand. Durch Konzentration auf das Innere des Gehirns, das erst nach und nach während der atlantischen Zeit entstanden ist, sieht man die atlantischen Landschaften auftauchen. Konzentriert man sich auf das Sonnengeflecht, so wird man zu den Hyperboräern geführt. So steigt man rückwärts auf in die verflossenen Welten. Das ist kein In-sich-Brüten, sondern ein wirkliches Wahrnehmen der einzelnen Organe in ihrer Verwandtschaft mit der Welt. Auf diese Weise hat Paracelsus seine Mittel gefunden und kuriert. Er wußte, daß Digitalis purpurea (Roter Fingerhut) entstanden ist, als das menschliche Herz entstand. Durch Konzentration auf ein Organ erscheinen entsprechende Heilmittel. [8]

Die Art und Weise, wie die alten Ärzte an den kranken Menschen herangingen, war mit dem intuitiven Blick, der nicht auf das Physische losging, sondern der auf das dem Physischen zugrunde liegende Feinere, Ätherische losging. Von der Idee ging man aus: ist irgend etwas krank, so kommt es weniger darauf an, was an Veränderungen äußerlich wahrnehmbar ist, sondern auf das, was es bewirkt hat. Den Geist einer solchen intuitiven Medizin hatte Paracelsus in sich aufgenommen. Nun wirkte aber überall, wie eine Autorität, der römische Arzt Galenos. Er baut zwar äußerlich auf diesen alten Grundsätzen seine Medizin auf, und wenn man so äußerlich Galen liest, dann bekommt man die Vorstellung: Ja, was will denn Paracelsus, daß er so gegen den Galen kämpft und die ältere Medizin in Schutz nimmt? Ist es nicht dasselbe? So könnte es fast scheinen, aber es ist doch nicht so. Denn, was bei Galen zur Medizin geworden ist, das ist die materielle Äußerlichkeit, die Vermaterialisierung der ursprünglich geistigen Anschauung. Gegen die Methode, gegen dieses Abhandenkommen des intuitiven Blickes wendet Paracelsus sich. Zurück wollte er wiederum, aus der Erkenntnis der großen Natur heraus wollte er wieder die Mittel finden, wie man den Menschen heilen kann. [9]

Und da Paracelsus sich sagt, eine Krankheit versteht man nur, wenn man auf deren Ursprung zurückgeht, so sucht er den Grund der Erkrankung in den Trieben und Leidenschaften. Er sieht die Krankheit als eine Folge des seelischen Irrtums an und ganz zuletzt, also im höchsten Sinn, führt er sie auf moralische Eigenschaften zurück. [10] Paracelsus hat in einem viel größeren und edleren Sinne von dem Herausgeborensein des physischen Menschen aus der physischen Umgebung gesprochen als die heutige Abstammungslehre. Für ihn ist der Mensch ein Zusammenfluß von alledem, was draußen in der Natur lebt. Der Mensch hat Leidenschaften, er hat sie in sich, nur in gemilderter Form, wie sie zum Beispiel auch der Löwe hat, und wie sie in der Umwelt vorhanden sind. Wenn der Mensch im Sinne des Paracelsus auf den Löwen sieht, so sieht er dieselbe Kraft, die heute als seine Leidenschaft in ihm wohnt, herausgeboren aus der ganzen astralen Welt. In dem Löwen ist sie einseitig, beim Menschen ist sie gemischt mit anderen Kräften. So ist die ganze Tierwelt für Paracelsus die wie ein Fächer auseinandergelegte Menschheit. Er sieht alles, was in den Formen der Tiere verteilt ist, in sich selbst, unsichtbar in seinem inneren Menschen. So ist es in gewisser Beziehung auch, wenn der Mensch auf die Erde hinsieht. Auch die Metalle, die heute physisch geworden sind, sind herausgeboren aus derselben Wesenheit, aus welcher der physische Mensch herausgeboren ist. [11]

Nicht die Stoffe heilen, sagte er, die Liebe heile. – Und die Liebe wirkte auch von ihm auf die Kranken hinüber, denn er sah sich ganz und gar hinüberversetzt in die Natur des anderen Menschen. [12] Wir haben in der Faust-Figur (Goethes) etwas, an dem Paracelsus mitgewirkt hat. [13] Er wollte durch die Anwendung der ursprünglichen, sich immer mehr und mehr veredelnden Gemütskräfte in das Wesen der Dinge eindringen. Er ist auch einer der ersten Forscher, die die Bedeutung der Erfahrung im Prinzip anerkannten.

Mystischer Schwefel (Sulphur), Sal (Salz) und Mercurius waren bei Paracelsus, wie bei den Alchimisten überhaupt die drei Grundprinzipien, aus denen alles wahrnehmbare Sein besteht. Die drei Substanzen, die man mit diesen Namen bezeichnet, sind nur die sinnlichen Repräsentanten derselben, die erste (materielle) Art, wie jene sich manifestieren. [14] Noch Paracelsus, wenn er Sulfur, Salz, Merkur beschrieben hat, hat nicht diese gewöhnlichen physischen Stoffe beschrieben, sondern das, was ihm, wenn diese Stoffe Verwandlungen durchmachten, aus dem elementarischen Reiche herauslugte. Man kann daher nirgends den Paracelsus verstehen, wenn man seine Ausdrücke so nimmt, wie sie heute in der Chemie gebraucht werden. Was da aus der elementarischen Welt herauslugt, das sind auch die heilenden Kräfte. [15] Schwefel hängt seiner Natur nach mit dem Geiste, Quecksilber (Mercurius) mit der Seele und Salz mit dem Leibe des Menschen zusammen. Wir müssen uns klar sein, daß er immer das Ganze im Auge hat, so daß er sich sagt: Hat der Mensch eine Krankheit, so ist das eine Unterbrechung, eine Störung eines gewissen Gleichgewichtes, das er magnetisches Gleichgewicht nennt und – wie niemals nur ein Pol an der Magnetnadel entsteht, sondern immer Nord- und Südmagnetismus zusammengehört –, so gehört auch zu jeder Verdauung im Menschenleib eine Verdauung draußen in der Welt, die er dann aufsucht. Und im ätherischen Menschen sucht er den Ausdruck des Geistes. Insofern nennt er das Stoffliche die Mumie. Es ist eine gewisse Essenz, die dem Leiblichen zugrunde liegt; die Mumie ist anders beim Gesunden und anders beim Kranken, weil das Ganze und das Vereinzelte verändert wird. Deshalb braucht man nur die Mumie zu erkennen, die Veränderungen im Ätherleibe, um zu erkennen, was einem Menschen fehlt. [16] Er sah in einem kleinen substantiellen Rest des Menschen die Mumie, denn für ihn war die Mumie die Summe der Kräfte, die den Menschen in jedem Augenblick zum Tode bringen konnten, wenn er sich nicht in der Nacht (schlafenderweise) wiederum belebte. [17] (Siehe auch: Mumie der alten medizinischen Literatur).

Paracelsus hatte noch eine Ahnung davon, daß das Geistige unter den Menschen so leben muß, daß es wirklich von den Menschen ausströmt und in die Handlungen hineingeht. Paracelsus wollte als Arzt ein religiös frommer Mensch sein. Die einzelne medizinische Tat, die therapeutische Tat sollte eine religiöse Tat sein. Für ihn war gewissermaßen das, was er am Kranken tat, ein Zusammenfügen der äußeren physischen Menschentat mit einer religiösen Verrichtung. Im Grunde genommen war für ihn das Heilen noch Kultushandlung. Und es war sein Ideal, es zur Kultushandlung zu machen. Das verstanden seine Zeitgenossen schon recht wenig, und in der Gegenwart wird es noch weniger verstanden.

Es tut einem immer das Herz weh, wenn man nach Salzburg kommt und hört, wie die Tradition davon lebt, daß Paracelsus ein Säufer gewesen sei, daß er einmal nachts betrunken nach Hause gegangen, über einen Felsen heruntergefallen sei und sich den Schädel zerschlagen habe, daß er auf diese Weise zugrunde gegangen sei. Würde man das Richtige erzählen, so würde man natürlich darauf hinweisen, was seine Feinde getan haben; denn für dieses Schädelzerschlagen hat nicht die Betrunkenheit des Paracelsus gesorgt, sondern diejenigen haben es getan, die dann auch die Märe von seiner Betrunkenheit aufgebracht haben. Heute sind die Sitten milder in dieser Beziehung, nicht gerade sehr viel anders, aber milder (aber mit gleicher Effizienz). [18]

Zitate:

[1]  GA 344, Seite 223f   (Ausgabe 1994, 285 Seiten)
[2]  GA 312, Seite 19   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[3]  GA 106, Seite 171   (Ausgabe 1978, 180 Seiten)
[4]  GA 143, Seite 33   (Ausgabe 1970, 248 Seiten)
[5]  GA 312, Seite 238   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[6]  GA 225, Seite 210   (Ausgabe 1990, 192 Seiten)
[7]  GA 96, Seite 168   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[8]  GA 93a, Seite 226   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[9]  GA 54, Seite 481f   (Ausgabe 1966, 540 Seiten)
[10]  GA 54, Seite 488   (Ausgabe 1966, 540 Seiten)
[11]  GA 54, Seite 491f   (Ausgabe 1966, 540 Seiten)
[12]  GA 61, Seite 113   (Ausgabe 1962, 536 Seiten)
[13]  GA 61, Seite 116   (Ausgabe 1962, 536 Seiten)
[14]  GA 1d, Seite 151 Anm1   (Ausgabe 1921, 2640 Seiten)
[15]  GA 222, Seite 38   (Ausgabe 1976, 130 Seiten)
[16]  GA 54, Seite 494f   (Ausgabe 1966, 540 Seiten)
[17]  GA 216, Seite 118   (Ausgabe 1965, 144 Seiten)
[18]  GA 216, Seite 95f   (Ausgabe 1965, 144 Seiten)

Quellen:

GA 1d:  J.W. GOETHE: Naturwissenschaftliche Schriften. Band IV (1897)
GA 54:  Die Welträtsel und die Anthroposophie (1905/1906)
GA 61:  Menschengeschichte im Lichte der Geistesforschung (1911/1912)
GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 106:  Ägyptische Mythen und Mysterien im Verhältnis zu den wirkenden Geisteskräften der Gegenwart (1908)
GA 143:  Erfahrungen des Übersinnlichen. Die drei Wege der Seele zu Christus. (1912)
GA 216:  Die Grundimpulse des weltgeschichtlichen Werdens der Menschheit (1922)
GA 222:  Die Impulsierung des weltgeschichtlichen Geschehens durch geistige Mächte (1923)
GA 225:  Drei Perspektiven der Anthroposophie. Kulturphänomene, geisteswissenschaftlich betrachtet (1923)
GA 312:  Geisteswissenschaft und Medizin (1920)
GA 344:  Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, III. Vorträge bei der Begründung der Christengemeinschaft (1922)