Novalis

Novalis (Friedrich von Hardenberg) war kein Schwärmer, kein Phantast. Trotzdem seine lyrische Poesie den höchsten Schwung nahm, den wir uns denken können, und uns hinauf in höchste Empfindungswärme führt, war Novalis – und das gilt für ihn, der nicht dreißig Jahre alt geworden ist – ein praktischer Geist, der auf der Bergakademie studiert hat, durch und durch Mathematiker, der Mathematik empfunden hat als ein großes Gedicht, nach dessen Linien die göttliche Geistigkeit die Welt gedichtet hat, der sich aber praktisch erwiesen hat für alles, was ein Bergingenieur braucht. Novalis war ein Geist, der trotz dieser Praxis für sein Gefühlsleben, für sein Herz umzusetzen wußte unmittelbar ins Leben das, was bei ihm theosophische Gesinnung war. Wahrhaftig, was wir kennen als seine Beziehungen zu Sophie von Kühn, das darf nicht als etwas aufgefaßt werden, was mit Sinnlichkeit zusammenhängt. Er liebte ein Mädchen, das mit vierzehn Jahren starb. Er fing eigentlich erst an, sie so recht glühend zu lieben, als sie bereits tot war. Er fühlte, er lebt jetzt in dem Reich mit, in welchem sie seit ihrem Tode ist. Er beschloß, ihr nachzusterben. Sein ferneres Leben war ein Mitleben mit einer physisch toten Persönlichkeit. Das alles zeigt uns, in was Novalis hineingewachsen ist durch den starken Zug seines spirituellen Wesens. [1]

Die Sinnenwelt war für ihn wenig praktisch vorhanden. Er verliebt sich in ein dreizehnjähriges Mädchen, welches bald starb. Er kannte dann keinen Unterschied zwischen der Lebenden und der Verstorbenen, er nannte sein ganzes Leben ein «ihr Nachsterben». Mit aufrichtigem Gefühl spricht er zu der Verstorbenen wie zu einer Lebenden. Später trat ihm ein anderes Mädchen nahe. Er trat ihr in übersinnlicher Weise entgegen, sodaß sie für seine Gemütswelt vollständig zusammenfloss mit dem ersten Wesen, das er geliebt hatte. Sie war für ihn ein Symbol. Das Sinnliche wurde für ihn ein Sinnbild für das, was darüber schwebte. [2] (Siehe auch: karmische Reihen).

Zitate:

[1]  GA 125, Seite 14f   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[2]  Euro 7/11, Seite 7   (Ausgabe 2003, 0 Seiten)

Quellen:

Euro 7/11:  Zeitschrift: Der Europäer, Jahrgang 7. Heft Nr. 11 (2003)
GA 125:  Wege und Ziele des geistigen Menschen. Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1910)