Pferd

Dadurch, daß der Mensch diese Tiergestalten als seine älteren Brüder aus seiner Entwickelungsreihe hinausgeworfen hat, ist er zu seiner jetzigen Höhe gekommen. Welche Tiergestalt haben wir herausgesetzt, um intelligent zu werden? Wären um uns nicht die Tiere, die repräsentiert sind durch die Pferdenatur, der Mensch hätte sich niemals die Intelligenz aneignen können. Herausgewachsen ist der Mensch aus einer Gestalt, die sozusagen das, was im Pferde verkörpert ist, noch in sich hatte, und in der Gestalt des Kentauren hat die Kunst noch hingestellt einen Menschen, wie er verbunden war mit diesem Tier, um an die Entwickelungsstufe des Menschen zu erinnern, aus der er herausgewachsen ist, von der er sich losgerungen hat, um der heutige Mensch zu werden. [1]

Kentaur, Malerei von der Nordseite der kleinen Kuppel

In manchen Gegenden galt den alten Deutschen das Pferd als Verehrungsgegenstand. Sie pflanzten einen Pferdeschädel als Symbol auf ihre Häuser. Die Wahl eines solchen Symbols zeigt, daß sie in einem ganz bestimmten Verhältnis zum Pferd standen. Woher kam das? Das Pferd entstand erst zu einer ganz bestimmten Zeit. In der Mitte der atlantischen Zeit trat diese Gattung Tiere, selbstverständlich nach und nach, auf. Die fiel zusammen mit der Entwickelung der Klugheit. Manche Hinweise finden sich in der Mythologie. So ersann (beispielsweise) die Klugheit des Odysseus ein hölzernes Pferd. [2]

Wenn wir die Gesetze des Hammurabi (1728-1686 vor Christus) studieren, dann finden wir, daß er unter den gezähmten Haustieren noch nicht das Pferd anführt. Es trat im Kulturleben aber gleich nachher auf. Das Pferd wird der Esel des Berglandes genannt, weil es von dem gebirgigen Osten herübergebracht worden ist. Völker, die aus Asien sich hineingeschoben haben in das Chaldäische, haben das Pferd mitgebracht, und damit ist dann das kriegerische Element aufgetreten. Man kann sagen, der Mensch hat sich nicht früher auf das Pferd gesetzt und sich gewissermaßen verstärkt als Individualität, dadurch, daß er ein Tier an sich kettete in seiner eigenen Bewegung, als bis er zu diesem Grade des Selbstbewußtseins erwacht war, wie es sich ausdrückte als das bildhafte Vorstellen der Chaldäer, wie es innerlich in dem traumhaften Leben der Ägypter ausgedrückt war. [3]

Zitate:

[1]  GA 104, Seite 95f   (Ausgabe 1979, 284 Seiten)
[2]  GA 97, Seite 293f   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[3]  GA 325, Seite 109f   (Ausgabe 1969, 173 Seiten)

Quellen:

GA 97:  Das christliche Mysterium (1906/1907)
GA 104:  Die Apokalypse des Johannes (1908)
GA 325:  Die Naturwissenschaft und die weltgeschichtliche Entwickelung der Menschheit seit dem Altertum (1921)