Mondenrhythmus

Sie werden es schon öfter gehört haben, daß Menschen, die darauf angewiesen sind, produktive Gedanken zu haben und die Phantasie spielen zu lassen, nicht immer in gleicher Weise die Phantasie spielen lassen können. Die Menschen, die das bei sich selbst einmal beobachteten, würden sehen, daß jene Perioden der produktiven Gedanken, zu denen der Mensch Stimmung, Phantasie, ein gewisses warmes Gefühl braucht, merkwürdig abwechseln mit anderen, wo er mehr daran gehen kann, diese Stimmungen, diese Gebilde der Phantasie wiederum zu Papier zu bringen oder in Gedanken auszuleben. Diesen Wechsel gibt es durchaus. Die Menschen, welche das zu beobachten verstehen, wissen, daß es eine 14 tägige produktive Periode der Seele gibt. Wenn die vorbei ist, tritt für jeden Menschen, der mit einer gewissen Produktion der Gedanken zu tun hat, eine Erschöpfung ein, da produzieren die Gedanken weniger. Da ist die Seele wie eine ausgepreßte Zitrone. Aber sie kann dann darangehen, das Gewonnene durch den Willen zu verarbeiten. Darauf haben die Tagesverhältnisse gar keinen Einfluß, sondern die Zeit, in der die menschliche Seele mit dem Ich heraus ist aus dem physischen Leib und Ätherleib. Da werden während einer 14 tägigen Periode in den Menschen, der unabhängig ist vom physischen Leib und Ätherleib, die produktiven Kräfte gleichsam hineingegossen; während auf der anderen Seite dann keine produktiven Kräfte hineingegossen werden, wenn die anderen 14 Tage da sind. So geht der Rhythmus. Es ist das aber eine Erscheinung, die in bezug auf die verschiedenen inneren Seelenkräfte für alle Menschen vorhanden ist; nur bei produktiven Menschen drückt es sich deutlicher aus. Einen viel deutlicheren Beleg dafür können Sie aber in dem sehen, was man wahres, echtes geisteswissenschaftliches Forschen nennt. Dieses hängt auch von einem rhythmischen Verlauf ab. In der geistigen Forschung ist man allerdings nicht in einem Schlafzustand, man ist nur in einem Zustand, wo der menschliche physische Leib untätig ist gegenüber dem, was sonst von der Sinneswelt kommt. Aber der Mensch ist da nicht schlafend, obwohl er sozusagen außerhalb seines physischen Leibes und Ätherleibes ist. Denn der Mensch hat sich durch Meditation, Konzentration und so weiter die Fähigkeit errungen, daß sein Bewußtsein nicht erstirbt, wenn er herausgeht aus dem physischen Leib und Ätherleib, nicht etwa, daß da ein Schlaf eintreten muß, sondern daß der Mensch dann in der geistigen Welt wahrnehmen kann. Da gibt es nun für den auf der heutigen modernen Höhe stehenden Geistesforscher wiederum zwei streng voneinander geschiedene Epochen: die eine – wiederum eine 14 tägige – ist eine solche, in welcher er seine Beobachtungen machen kann, wo er sich besonders stark fühlt, wo sich von allen Seiten herandrängen die Ergebnisse der geistigen Welt; dann tritt die andere Periode ein, wo er durch jene Kräfte, die er während der eben charakterisierten Periode aufgenommen hat, nun besonders befähigt ist, diese Erleuchtungen (aus) der geistigen Welt, diese Inspirationen und Imaginationen mit seinen Gedanken zu durchdringen, mit seinen Gedanken zu durcharbeiten, so daß sie eine strenge wissenschaftliche Form annehmen können. Gedankentechnik und Inspiration stehen nun wiederum in einem rhythmischen Verlauf. Da ist nun der Geistesforscher nicht auf die Registrierung der äußeren Tatsachen angewiesen; er sieht einfach, wie diese Perioden abwechselnd sich ihm ergeben wie Vollmond- und Neumondwechsel. Aber es ist dabei zu bemerken, daß nur ihr rhythmischer Verlauf sich vergleichen läßt mit dem Vollmond und dem Neumond. [1]

Wenn wir unsere Erde betrachten, so ist sie hervorgegangen durch Entwickelung aus einem früheren Zustand. Aber es haben sich innerhalb unserer Erde selbst Reste jener Tatsachen erhalten, welche sich in früheren Verhältnissen auf der früheren planetarischen Verkörperung unserer Erde abgespielt haben. Und diese Reste haben wir in dem zu suchen, was sich heute als Mondenumlauf um die Erde herum abspielt. Geisteswissenschaftlich rechnet man den Mond zur Erde. Dasjenige, was Mondenumlauf ist, stellt einfach einen früheren Zustand der Erde dar. [2] Wie heute die Mondenkräfte sich in ihrem Verlaufe rhythmisch geordnet zeigen, und wie der innere Mensch rhythmisch geordnet ist, so waren die Mondenkräfte einst zusammenstimmend mit dem Menschen selber und bereiteten das vor, was der Mensch heute ist – so wie die Erde als Mondzustand (siehe: Mond alter) dasjenige vorbereitet, was sie heute als Erde ist. – So können wir sagen, daß die niedere Natur des Menschen, auf der sich aufbaut die Empfindungsseele, Verstandesseele und Bewußtseinsseele, uns zurückweist auf alte Erdenzustände, welche sich die Erde bewahrt hat in dem, was sich uns als Mondenumlauf heute noch zeigt. Und wir sehen, wie also des Menschen Inneres, indem es von Verkörperung zu Verkörperung geht, einen Rhythmus haben muß, der dem Mondenrhythmus entspricht. Gerade dadurch wird der Mensch selbständig und frei, daß er schon den Rhythmus, in welchem er drinnen steht, innerlich befreit; daß er ihn zwar als Rhythmus beibehält, aber nicht mehr von der Außenwelt abhängig ist. – Es ist so, wie wenn Sie eine Uhr nehmen, die zwar in 24 Stunden umläuft, die Sie aber so stellen, daß sie nicht mit der äußeren Zeit übereinstimmt. So macht sich der Mensch innerlich frei, indem er den äußeren Rhythmus zu einem innerlichen macht. So hat sich der Mensch schon längst in bezug auf den Mondenrhythmus, der sich auf sein Inneres bezog, innerlich frei gemacht. Deshalb haben wir es betont, daß der Mensch zwar die Mondenphasen innerlich erlebt, daß sie aber nicht angeregt sind durch den Mond am Himmel, sondern daß der Mond am Himmel nur in einem entsprechenden Rhythmus verläuft, weil der Mensch wohl den inneren Rhythmus behalten, aber sich äußerlich davon unabhängig und frei gemacht hat. [3]

Mondenumlauf und Ebbe und Flut entsprechen einander; aber sie stehen ebensowenig in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis, wie der heutige Mond in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis steht zu dem, was ich Ihnen als Rhythmus bei dem produktiven und hellsichtigen Menschen angeführt habe. Ebbe und Flut entsprechen einem inneren Vorgang in unserer Erde, der nicht nur Ebbe und Flut, sondern auch den Mondenumlauf bewirkt. Das sind Entsprechungen, die auf eine gemeinsame Ursache zurückgehen, die aber nicht einander bewirken. Der Mensch ist von der Bewußtlosigkeit fortgeschritten zu seiner heutigen Bewußtheit. Von der früheren Mondabhängigkeit und dem Mondeinfluß, der direkt war, ist der Mensch zu der heutigen Unabhängigkeit vom Mond – und zu der Abhängigkeit von der Sonne fortgeschritten. Daher müssen wir sagen: Weil der Mensch früher unmittelbar vom Monde abhängig war, so wird sich dasjenige, was sich dann abspielt, wenn sein Bewußtseinszustand heruntergedämpft ist, nach dem Mondenlauf richten. Das zeigt atavistisch, wie eine alte Erbschaft, noch einen Zusammenhang mit den Mondphasen. Bei medial veranlagten Naturen (siehe: Medien), bei denen das eigentliche Ich-Bewußtsein so heruntergedrückt ist, daß sie wie eine alte Erbschaft dasjenige zeigen, was früher einmal in der Entwickelung vorhanden war, bei ihnen zeigt sich daher noch der frühere Mondeinfluß. Ebenso wenn bei Menschen durch gewisse Krankheitszustände das Bewußtsein heruntergedrückt wird. [4]

Zitate:

[1]  GA 58, Seite 318ff   (Ausgabe 1984, 352 Seiten)
[2]  GA 58, Seite 320f   (Ausgabe 1984, 352 Seiten)
[3]  GA 58, Seite 323f   (Ausgabe 1984, 352 Seiten)
[4]  GA 58, Seite 325f   (Ausgabe 1984, 352 Seiten)

Quellen:

GA 58:  Metamorphosen des Seelenlebens – Pfade der Seelenerlebnisse. Erster Teil (1909/1910)